Bauwerk

Giacometti-Sammlung im Kunsthaus Zürich
Tobias Ammann - Zürich (CH) - 2002

Ein fester Platz für Giacometti

Die erste Etappe der Sanierung im Kunsthaus Zürich

1. Juni 2002 - Caroline Kesser
Nach dem Auszug der Verwaltung in die Villa Tobler ist im Erdgeschoss des Ostflügels Raum frei geworden für ein altes Projekt: eine permanente, umfassende Präsentation der Werke von Alberto Giacometti (1901-1966). Das Kunsthaus besitzt mit der Giacometti-Stiftung die bedeutendste Sammlung dieses Künstlers und wurde im Hinblick auf einen gebührenden Rahmen noch reich beschenkt, namentlich von Bruno und Odette Giacometti, so dass sein Werk nun in Zürich in allen Phasen und Facetten repräsentativ vertreten ist. Ein Grund zur Freude, selbst wenn man sich den architektonischen Rahmen subtiler gewünscht hätte. Der vom Architekten Tobias Ammann und seinem Team realisierte Umbau der ehemaligen Büros in ein Giacometti-Museum entsprach offensichtlich den Vorstellungen von Bruno Giacometti, dem jüngsten Bruder Albertos, war er, selbst Architekt, doch als Berater mit am Werk. Einwände seien dennoch erlaubt.

Er fühlt sich angenehm an, der graue Sandsteinboden, geradezu elastisch, und die unterschiedlich getönten Bodenplatten schmeicheln dem Auge. Schön auch, wie das Tageslicht durch die Fenster in die Räume flutet, die den als Graphisches Kabinett und Saal für Wechselausstellungen konzipierten zentralen Raum (mit reinem Kunstlicht) auf der Nord- und Südseite flankieren. Gelungen ist auch die Farbgebung, die Wahl der Grautöne, die sich über Boden und Wände ziehen und in den Sockeln eine Dunkelheit erreichen, die sowohl Gips als auch Bronze zur Geltung bringt. Viele Details sind sorgfältig ausgewählt und abgestimmt, dem neuen Museum im Museum fehlt jedoch der grosse Atem. Der Eindruck des Gediegenen paart sich mit dem Gefühl der Enge.

Man wollte die frei gewordenen Moser-Räume «rückbauen», ihnen gleichzeitig ein «zurückhaltend modernes, dem Anspruch der Kunstwerke angemessenes Erscheinungsbild» geben und ist dabei in der Mitte stecken geblieben. Weder wurde die Feinheit der 1910 entstandenen Architektur Karl Mosers wiederhergestellt noch eine zeitgenössische Schlichtheit erreicht. Dass die Räume so niedrig geworden sind, mag mit der Technik zu tun haben, die es in der Decke zu verstecken galt. Es lastet jedoch nicht nur die Decke, auch die grobe Wandverkleidung engt ein.

Kommen wir aber zum Ausstellungsgut, das sich bekanntlich in jeder Situation behauptet. Die Inszenierung ist chronologisch aufgebaut, betont den Motivzusammenhang, indem sie Bilder und Plastiken zusammenbringt, und hebt zentrale Werke mehr oder weniger diskret hervor. Die delikateren sind in Vitrinen eingeschlossen, was ihre Wirkung öfters beeinträchtigt.

Nach einem Auftakt mit Photographien im Vorraum, einem der zwei Verbindungsgänge zwischen Nord- und Südseite, beginnt die Präsentation mit der Evokation des familiären Umfelds, das für Albertos künstlerische Entwicklung so entscheidend war. Dazu gehören Bilder des Vaters Giovanni Giacometti, welcher den Sohn immer wieder malte, als Kind beim Zeichnen unter der häuslichen Lampe oder als angehenden, bei Bourdelle studierenden Bildhauer, der die Mutter porträtiert, während er selbst zu einem bevorzugten Modell seines Sohns wurde. Die 1925 einsetzende Auseinandersetzung mit der Avantgarde, mit Kubismus und aussereuropäischer Plastik, die in der idolartigen «Femme-cuillère» von 1926/27 einen Höhepunkt findet, ist ebenso gut dokumentiert wie sein unvergleichlicher, von einer unheimlich poetischen Aggressivität gekennzeichneter Beitrag zum Surrealismus. «Le cube» von 1934, eine schwere abstrakte Bronzeplastik, die er später auch als Kopf verstanden haben wollte, ist hier zwischen «Projet pour un passage» und «Pointe à l'œil» bewusst ins Zentrum gerückt und markiert den Abschied von der Ungegenständlichkeit und der Welt des Traums. Nun wendet sich Giacometti wieder der Realität zu, will er nur das Gesehene, darin allerdings die «Totalität des Lebens» erfassen.

Ein «Nature morte» betiteltes Gips-Flachrelief von 1937, das dem Kunsthaus kürzlich geschenkt wurde, steht für eine zehnjährige Übergangszeit und belegt mit der sachten Rückkehr zum Menschenbild die Bedeutung, die der Oberfläche in seinem reifen Werk zukommen wird. Lange gelingen aber nur kleine, immer winziger werdende Figuren. Das ändert sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Vorstoss in den Raum, zunehmend vertikal, fällt mit seiner internationalen Anerkennung zusammen. 1946 verfasst er für die von Skira herausgegebene Zeitschrift «Labyrinthe» den autobiographischen Text «Le rêve, le sphinx et la mort de T.». Das Manuskript gehört zu den kostbaren Schenkungen, die das Kunsthaus in jüngster Zeit entgegennehmen durfte. Die beiden dem reifen Schaffen gewidmeten Säle, die Werke wie «La main», «Homme qui marche», «Le chien» und «Le chariot» vereinen und gemalte Porträts mit dreidimensionalen dialogisieren lassen, sind natürlich die homogensten und vibrieren von dem einzigen Drang, ein sich ständig entziehendes Menschenbild wenigstens als Essenz zu fassen.

Bruno Giacometti hat dem Kunsthaus zur Eröffnung der neuen Giacometti-Räume eine der drei Büsten von Elie Lotar aus dem Jahr 1965 geschenkt, womit die Sammlung um das letzte, von Bruder Diego gegossene Werk bereichert wurde. Dieser Gabe ist vor einiger Zeit die Schenkung von zwanzig meist frühen Skizzenheften und mit Randzeichnungen versehenen Büchern vorangegangen. Giacometti kopierte mit Begeisterung aus dem «Handbuch der Kunstwissenschaft», «illustrierte» aber auch Literatur von Schiller, Heine, Maupassant bis hin zu Agatha Christie. Diese Dokumente sind nun erstmals ausgestellt und bescheren im zentralen Raum eine lehrreiche und vergnügliche Lektion.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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