Bauwerk

Wohnhaus Kirchstrasse
Beda Dillier - Sarnen (CH) - 2003

Gestalterische Disziplin

Die Arbeiten von Beda Dillier in Obwalden

Die Bauten des Sarner Architekten Beda Dillier unterscheiden sich durch ihre gestalterische Klarheit und konzeptionelle Prägnanz von der sonst eher üblichen Bauproduktion auf dem Land. Sie bilden eine überraschende Symbiose mit den historischen Bauwerken und den mehr oder weniger intakten Naturlandschaften ihrer Umgebung.

6. Juni 2003 - Peter Omachen
Bereits in der Planungsphase löste das Wohnhaus an der Kirchstrasse im Obwaldner Kantonshauptort Sarnen Kontroversen aus. Ausschlaggebend war die exponierte Lage schräg gegenüber dem barocken Rathaus. Die bis dahin unbebaute Wiese im geschützten Ortsbild von nationaler Bedeutung liegt am Fusse des geschichtsträchtigen Landenbergs, unmittelbar am Ufer der Sarneraa. Entlang der Kirchstrasse mit ihren qualitätvollen Einzelbauten des 13. bis 20. Jahrhunderts ist die charakteristische Streusiedlung besonders deutlich ausgeprägt. Mitten in dieses heterogene Ensemble entwarf der Sarner Architekt Beda Dillier einen markanten Neubau.

Disziplinierte Architektur

Wie ein Möbelstück ruht das dreigeschossige Mehrfamilienhaus in der parkähnlichen Umgebung. Der mit Holzplatten verkleidete Kubus wird geschossweise von schmalen Betonbändern umgürtet. Auf der flussseitigen, vollständig verglasten Fassade erweitern sich diese zu durchgehenden, nach Südosten orientierten Balkonen. Die regelmässig angeordneten Fenstertüren verweisen auf den rigiden Gebäuderaster, der dem Entwurf zugrunde liegt. Dieser wird im Innern als spannungsreiches Oszillieren zwischen kammerartig geschlossenen Räumen und offenen Bereichen in der Art eines plan libre inszeniert. Bei sechs Wohnungen ergibt sich dabei durch das Weglassen oder Versetzen von Wänden entlang der Rasterlinien eine schier endlose Vielfalt von Variationsmöglichkeiten. Das kleine Attikageschoss auf dem begrünten Flachdach gleicht einem Gartenpavillon und erinnert an die ehemals unbebaute Wiese. Das Projekt resultierte aus der Weiterentwicklung eines 1997 entstandenen Dreifamilienhauses, das sich ebenfalls an der Sarner Kirchstrasse befindet. Das steile Hanggrundstück erlaubte hier nur eine geringe Gebäudetiefe von zwei Raumschichten. Das zentrale Wohnzimmer übernimmt die Verbindungsfunktion für die rückwärtigen, dienenden Räume und die beiden seitlich angeordneten Zimmer. Das Konzept äussert sich in einem schlichten, verputzten Baukörper mit vorgesetztem Stahlbau der Balkone.

Beide Entwürfe sind geprägt von einer grossen gestalterischen Disziplin, die fast asketische Züge annimmt. Mit dieser Haltung hat es der 1966 geborene Beda Dillier im ländlichen Umfeld nicht immer leicht. Anfangs war es keineswegs klar, dass der an der ETH Zürich Ausgebildete dereinst in das renommierte Sarner Büro seines Vaters einsteigen würde. Als er sich schliesslich doch gegen eine mögliche Musikerkarriere entschieden hatte, war er entschlossen, in der Architektur eigene Wege zu gehen. Seine Forschungen im Bereich der Städtebaugeschichte des 20. Jahrhunderts beeinflussen sein Streben in Richtung einer von der Person ihres Autors möglichst losgelösten, allgemein gültigen Architektur, die den Tugenden der Angemessenheit und ästhetischen Dauerhaftigkeit nachlebt. Sein Interesse gilt der Reduktion auf das Essenzielle.

Schwieriges Umfeld

Diese angestrebte Prägnanz ist ihm bei seinem bisher grössten Werk gelungen, einer Industrieanlage für innovative Hochtechnologieprodukte im obwaldnerischen Kägiswil. Bei dem 2001 nach einer Bauzeit von nur einem Jahr fertiggestellten 25-Millionen-Gebäude war Dillier für Entwurf und Ausführungsplanung verantwortlich. Im Gegensatz zu den einschränkenden Rahmenbedingungen im historischen Umfeld konnte hier buchstäblich auf der grünen Wiese geplant werden. Die Analyse der anfänglich wenig definierten Bauaufgabe führte zum Prinzip einer vielseitig nutzbaren und erweiterbaren Baustruktur. Das Ergebnis sind zwei einfache Volumen: eine eingeschossige Produktionshalle und ein darüber liegender, zweigeschossiger Verwaltungs- und Labortrakt, der als langgezogener Gebäuderiegel auf der vollen Länge der Hallendachkante zu balancieren scheint. Die Auskragung wird von einer Stützenreihe aufgefangen und bildet einen grosszügigen Eingangsbereich. Der flache, rückseitig erweiterbare Hallenbau ist mit einer homogenen, silberfarbenen Lochblechfassade umhüllt. Die dahinter liegenden Fenster sind damit vor Sonneneinstrahlung und neugierigen Blicken geschützt. Die Produktionshalle ist über zwei kräftig artikulierte Betontreppenhäuser mit dem repräsentativen Verwaltungstrakt verbunden. Dieser ist allseitig rahmenlos verglast und blickt auf eine weitgehend intakte Wiesen- und Berglandschaft.

Nicht immer erhält Beda Dillier von seinen Auftraggebern die Gelegenheit zu solch klaren architektonischen Äusserungen. Im ländlichen Umfeld von Obwalden besteht eine eher geringe Nachfrage nach gestalterischer Qualität. Dillier ist dadurch immer wieder mit Bauherren konfrontiert, die von seinen kulturellen Ambitionen eher irritiert zu sein scheinen, als dass sie ihn um derentwillen als Architekten ausgewählt hätten. Es steht zu hoffen, dass sich seine Qualitäten weiter herumsprechen werden.

[ Beda Dillier stellt seine Arbeiten am 11. Juni um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich am Neumarkt 15 vor. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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