Bauwerk

Allianz-Arena
Herzog & de Meuron - München (D) - 2005
Allianz-Arena, Foto: Gerhard Hagen / ARTUR IMAGES
Allianz-Arena, Foto: Gerhard Hagen / ARTUR IMAGES

Stadion aus 3000 Seifenblasen

Vor dem Eröffnungsspiel: Die Allianz Arena in München der Architekten Herzog & de Meuron

7. Mai 2005 - Oliver Elser
Er wäre auch gerne Profi-Fußballer geworden, sagte vor gut zehn Jahren Jacques Herzog in einem Film-Interview. Es lag echtes Bedauern in seiner Stimme, und er fügte noch hinzu, dass es vieles gäbe, was interessanter sei als die Architektur: Gegenwartskunst, Naturwissenschaften oder eben ein Nachmittag auf dem Fußballplatz.

Zehn Jahre später haben Herzog & de Meuron, deren Büromannschaft bei Fußballturnieren innerhalb der Architektenszene immer wieder respektable Leistungen zeigt, ihr zweites Stadion gebaut und planen für die Olympischen Spiele in Peking im Jahr 2008 bereits ein noch größeres. Die nach dem Hauptsponsor benannte „Allianz Arena“ in München - die Versicherung zahlt für den Namen angeblich 110 Mio. Euro - wird Ende Mai offiziell eröffnet. Es ist nicht allein ein Bauwerk der technischen und logistischen Superlative, nicht allein eine Rieseninvestition mit Bestechungsaffäre, die zur Zeit noch vor Gericht verhandelt wird und dem österreichischen Baukonzern Alpine die Freude über die termingerechte Übergabe ein wenig trüben dürfte. Vor allem ist es ein Stadion von und für Fußballfans geworden, ein Kessel für Emotionen, der einem trotz seiner 66.000 Plätze selbst in den obersten Reihen der drei Ränge das Gefühl gibt, ganz nah am Ball zu sein.

Dass die Architekten die Architektur gar nicht so sehr interessiert, ist im Falle von Herzog & de Meuron keine kokette Tiefstapelei. Denn wie sonst wäre es möglich, ein Stadion zu bauen, das schillert wie tausend Seifenblasen? Nur der Import von Bildern und Metaphern aus der Welt jenseits der Architektur war die Gewähr dafür, nicht zur Unmenge nahezu identischer Stadien einfach ein weiteres hinzuzufügen.

Die Latte war in München allerdings auch hoch angesetzt. Nicht wegen der Architekturbegeisterung der Auftraggeber, der Fußballvereine FC Bayern München und TSV 1860. Deren Interessen ließen anfangs, ganz im Gegenteil, eher Schlimmes befürchten. Sondern weil München mit dem Stadiongelände, das von den Architekten Günther Behnisch und Frei Otto für die Olympischen Spiele im Jahr 1972 errichtet wurde, eine der wohl schönsten Sportanlagen besitzt, die jemals gebaut wurden. Auch damals konnte der unkonventionellste und „unarchitektonischste“ Entwurf sich durchsetzten. Doch das Olympiastadion, seinerzeit der bauliche Inbegriff des neuen, anderen und beschwingten Deutschlands, dieses Stadion der „heiteren Spiele“ war den knallhart kalkulierenden Managern der Fußballvereine lästig geworden. Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 sollte es umgebaut werden: Mehr Plätze, vor allem aber so genannte VIP-Bereiche, Business-Seats und vermietbare Logen wünschte sich Deutschlands Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer, der Präsident des FC Bayern und Vorsitzender des Organisationskomitees der Fußball-WM. Es folgte eine quälende Debatte, ob und wie diese äußert lukrativen Einnahmequellen in die denkmalgeschützte Arena integriert werden könnten. Der Architekt Behnisch schien dazu bereit zu sein, zog aber in letzter Sekunde unter großem öffentlichen Druck zurück. Ein Umbau hätte der filigranen Anlage, die nie als reines Fußballstadion gedacht war, schweren Schaden zugefügt.

Aus dem daraufhin ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Neubau auf Kosten der Vereine gingen Herzog & de Meuron im Februar 2002 klar als Sieger hervor. Die Befürchtungen, in Münchens Norden könnte eine triste Kommerzarena entstehen, waren mit einem Mal verflogen. Mehr noch: Die Allianz Arena ist sogar ein würdiger Nachfolger des Olympia-Stadions, das künftig nur noch für Leichtathletik-Wettkämpfe verwendet wird. Die Oberfläche aus insgesamt 2784 luftgefüllten Membran-Kissen verwandelt den eigentlich äußerst massiven Stahl-und Betonbau in ein fragiles, bei bestimmten Wetterlagen fast unsichtbares Gebilde, das ebenso leicht und heiter erscheint wie die Kunststoffsegel der bisherigen Spielstätte. Am Abend können die nur 0,2 Millimeter starken Rauten in den Farben des jeweils spielenden Vereins beleuchtet werden - rot für den FC, blau für den TSV, weiß bei der Weltmeisterschaft. Oder im blau-weißen Rautenmuster der bayrischen Landesflagge.

Es war jedoch nicht allein ein Stadion gefordert, sondern auch die Lösung eines riesigen Parkplatz- und Verkehrsproblems. So faszinierend die Bilder auch sein mögen, die dieser Tage von der Außenhaut des Stadions durch die Welt ziehen - die Bewältigung der Autos durch eine Parklandschaft, im doppelten Wortsinn und in gigantischen Ausmaßen, ist eine nicht weniger große Leistung.

Die Mehrzahl der Besucher aber erreicht die Arena über einen fast ein Kilometer langen Fußweg von der nächsten S-Bahn-Station. Er führt über das leicht gekrümmte Dach des 9000 Plätze fassenden Parkhauses. Es duckt sich in die karge Landschaft der Fröttmaninger Heide hinein und bildet ein künstliches Hochplateau, auf dem am äußersten Ende das Stadion wie ein Ballon zu schweben scheint.

Die Kontrolle der Eintrittskarten findet bereits vor Erreichen des Stadions statt. Das Gebäude hat keine Türen oder Schleusen, sondern ist auf der Eingangsebene rundum geöffnet. Nicht nur zum Außenraum, sondern auch zur Spielfläche. Durch einen umlaufenden Luft-Schlitz zwischen dem ersten und zweiten Rang sieht man sofort nach dem Hindurchtauchen unter der Membranhaut auf den Rasen. Das heilige Gras wird dadurch gut belüftet, und die Fans können sich erst einmal über die Stimmungslage informieren, bevor sie sich auf den Weg machen, ihren Sitzplatz zu finden.

Wer privilegiert ist, gelangt aus dem eigentlichen Erdgeschoss, sechs Meter unter der Eingangsebene für den Massenandrang, direkt hinauf. In eine der 106 Logen, die zwischen dem zweiten und dritten Rang untergebracht sind und für bis 240.000 Euro pro Jahr vermietet werden. Oder in die Business-Lounge, die Herzog & de Meuron wunderbar kitschig mit einer güldenen Ornamentdecke ausgestattet haben.

Farblich ist das Stadion ansonsten sehr zurückhaltend. Die eigens entworfene Bestuhlung schimmert silbrig, ebenso die Wände in den umlaufenden Verteilerebenen, wo auch die obligatorischen Wurstbuden untergebracht sind. Wer Herzog & de Meuron bisher mit exquisiten Details in Verbindung gebracht hat, der wird vielleicht ein wenig enttäuscht sein. Aber das ist in dieser Größenordnung trotz der Bausumme von etwa 286 Mio. Euro weder möglich, noch wäre es wünschenswert. Die Architektur hat ihren großen Auftritt auf der Außenseite. Im Innern regiert König Fußball, niemand sonst. Es wird atemberaubend sein, ihm dabei zuzusehen.

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