Bauwerk

Museum mit Park
Annette Gigon / Mike Guyer - Bramsche-Kalkriese (D) - 2002
Museum mit Park, Foto: Zulauf und Partner
Museum mit Park, Foto: Udo Weilacher
Museum mit Park, Foto: Zulauf und Partner
Museum mit Park, Foto: Zulauf und Partner

Spuren in Stahl

Archäologen wissen um den Wert des Bodens als Gedächtnis der Erde: Mit seismographischer Empfindlichkeit registriert die Landschaft jede Veränderung und reift zur Kulturlandschaft, in der sich die Spuren der Geschichte unsichtbar überlagern.

1. Januar 2002 - Udo Weilacher
Archäologen wissen um den Wert des Bodens als Gedächtnis der Erde: Mit seismographischer Empfindlichkeit registriert die Landschaft jede Veränderung und reift zur Kulturlandschaft, in der sich die Spuren der Geschichte unsichtbar überlagern. Wäre man geübt im Lesen der Landschaft, würde man viele der friedlichen Landschaftsbilder Mitteleuropas mit ganz anderen Augen sehen. Nicht selten liegt unter der Oberfläche arkadisch anmutender Wald- und Weidelandschaften ein Schlachtfeld - so auch im Osnabrücker Land nahe der kleinen Ortschaft Bramsche-Kalkriese.

Hier fand ein britischer Leutnant und Hobbyarchäologe 1987, wonach jahrhundertelang erfolglos gesucht worden war: den fast 30 Quadratkilometer grossen Schauplatz der legendären Varusschlacht, in der drei römische Legionen von den Germanen unter der Führung des Cheruskerfürsten Arminius im Jahre 9 n. Chr. vernichtend geschlagen wurden. Der römische Versuch einer Expansion ins nördliche Germanien fand damit sein Ende, und der zweifelhafte Heldenmythos um den Befreier Germaniens, im Volksmund Hermann genannt, nahm seinen Anfang.

Die archäologischen Grabungen sind noch längst nicht abgeschlossen, doch das grosse öffentliche Interesse an der Varusschlacht verlangte nach einem Museum mit Park, in dem man den Besuchern einen Blick in die Geschichte bietet. Die Zürcher Architekten Gigon/Guyer und die Landschaftsarchitekten Zulauf + Partner aus Baden gewannen 1998 den Projektwettbewerb mit einem stringenten, abstrakt angelegten Entwurf von überzeugender Ausdruckskraft.

Den Auftakt bildet der mit grossformatigen rostroten Stahlplatten verkleidete Museumsbau, der in der Hauptansicht einem liegenden L gleicht. Vom 26 Meter hohen Aussichtsturm bietet sich dem Besucher ein guter Überblick über den zwanzig Hektaren grossen Park, den die Landschaftsarchitekten als ausgedehnte Lichtung im Baumbestand konzipierten. Grossflächige Aufforstungen veränderten im Laufe der Zeit das Landschaftsbild, das ehemals von dem bewaldeten Kalkrieser Bergrücken im Süden und der Moorniederung im Norden geprägt wurde.

Auf dem Rückmarsch von einem Sommerlager an der Weser waren die Legionen des Publius Quinctilius Varus mit ihrem Gefolge - 15 000 bis 20 000 Männer, Frauen und Kinder - gezwungen, sich auf einem schmalen Geländeabschnitt zwischen Waldrand und Moor zu bewegen. Im Wald, verschanzt hinter einem zwei Meter hohen Schutzwall aus Rasensoden, lauerten die Germanenverbände dem Tross auf und fielen den sonst kampftechnisch überlegenen Römern in die ungeschützte Flanke.

Den einstigen Verlauf des germanischen Schutzwalls markieren 2,8 Meter hohe Eisenstangen, die in jenen Abschnitten dichter gesteckt wurden, wo archäologische Grabungen die Linienführung der Verteidigungsanlage bereits verifizierten. Hinter der mäandrierenden Stangenreihe wird - um die noch unerforschten Grabungshorizonte nicht zu zerstören - mit flachwurzelnden Zitterpappeln, Birken und Weiden ein temporärer Waldbestand aufgeforstet. Erst wenn die archäologischen Grabungen auch dort beendet sind, können wieder langlebigere Waldbaumarten gepflanzt werden. So wird der Fortschritt der Grabungstätigkeiten am Landschaftsbild deutlich ablesbar.

Schmale Waldpfade versinnbildlichen das Wegsystem der Germanen, während der Weg der Römer nördlich des Schutzwalls aus 685 grossen Corten-Stahlplatten gebildet wird. Die 2 × 1 Meter grossen, unregelmässig verlegten Platten rufen Assoziationen an gefallene Schilde, Panzerungen oder Grabplatten wach und vermitteln ein eigentümliches Gefühl von gebrochener Stärke. 35 Platten wurden mit Inschriften und Zitaten römischer Geschichtsschreiber versehen und wirken wie unauffällige Bildunterschriften am Ort des Geschehens.

Nur an der sogenannten Zeitinsel unternahmen die Landschaftsarchitekten in Zusammenarbeit mit fachkundigen Beratern den Versuch, ein Stück Landschaft aus dem Jahre 9 n. Chr. mit Schutzwall, Wald und Moorloch zu rekonstruieren. Eingefasst in einen Rahmen aus Stahlspundwänden, wirkt die Landschaftsrekonstruktion wie in einem Guckkasten und steht im Kontrast zu den abstrakten Eingriffen in der Umgebung, die der Phantasie mehr Spielraum lassen.

Spielraum für neue Perspektiven und veränderte Wahrnehmungen der Landschaft wollten die Architekten in Zusammenarbeit mit den Designern Ruedi Baur und Lars Müller dem Besucher auch in drei minimalistisch gestalteten Pavillons bieten: Die rostroten Kisten, ebenfalls mit Corten-Stahlplatten verkleidet, liegen wie verstreute Ableger des Hauptgebäudes in der Landschaft. Während im Pavillon des Sehens und im Pavillon des Hörens verfremdete visuelle und akustische Erlebnisse geboten werden, die auch in einem anderen Kontext stehen könnten, wird im Pavillon des Verstehens gekonnt eine inhaltliche Brücke zum heutigen Zeitgeschehen geschlagen.

Auf einer Seite des Gehäuses blickt man durch Sehschlitze auf das ehemalige Schlachtfeld, während an der gegenüberliegenden Wand auf Videobildschirmen bewegte Bilder aktueller Kriege laufen. Manchem Besucher wird in diesem Pavillon schlagartig bewusst, dass er sich nicht an einer antiken Heldengedenkstätte befindet, sondern an einem Ort, an dem Tausende auf gleiche grausame Weise den Tod fanden, wie es noch heute, fast 2000 Jahre nach der Schlacht im Teutoburger Wald, überall auf der Welt geschieht.

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