Veranstaltung

Konstantmodern
Ausstellung
4. Juni 2009 bis 19. September 2009
aut. architektur und tirol im Adambräu
Lois-Welzenbacher-Platz 1
A-6020 innsbruck


Eröffnung: Mittwoch, 3. Juni 2009

Spät? Post? Nur modern?

Eine Ausstellung in Innsbruck führt ein neues Adjektiv in die Architekturgeschichte ein: „konstantmodern“. Über Sinn und Stammbaum eines in die Jahre gekommenen, immer noch schillernden Begriffs – der Moderne.

8. August 2009 - Christian Kühn
Wer gern mit Begriffen spielt, wird am Wort „modern“ seine Freude haben. In seiner einfachsten Bedeutung bezeichnet es alles, was gerade in Mode ist. In der Architekturgeschichte steht „die Moderne“ dagegen für einen Stil, der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ansetzt und Ende der 1970er seine maßgebende Bedeutung an eine Reihe von „post-modernen“ Strömungen verliert. Wer feinere Nuancen liebt, darf zwischen verschiedenen Modernen unterscheiden, zuerst der „frühen Moderne“, wie sie in Wien etwa von Otto Wagner repräsentiert wird. Dem war der Begriff bereits so unheimlich, dass er seine wichtigste Publikation, ursprünglich 1896 unter dem Titel „Moderne Architektur“ erschienen, in einer späteren Auflage auf „Die Baukunst unserer Zeit“ umbenannte.

Aufhalten ließ sich der Erfolg des Begriffs nicht. Er steht für die Architektur des 20. Jahrhunderts, wobei zwischen der „klassischen Moderne“ der 1920er-Jahre, verbunden mit „Meistern“ wie Walter Gropius, Le Corbusier, Mies van der Rohe und Alvar Aalto, und der „Nachkriegsmoderne“ zu unterscheiden ist, die in Europa mit der Massenproduktion für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist und als „Spätmoderne“ bis heute nachwirkt.

Die Moderne in der Architektur verstand sich dabei immer als das Gegenteil des Modischen. Sie verfolgte das Ziel, unabhängig von traditionellen Bindungen und unter Berücksichtigung neuer bautechnischer Möglichkeiten eine rationale, allen Menschen gemeinsame und für alle verständliche Welt zu schaffen. Insofern war sie ein Produkt der Aufklärung und teilte mit dieser auch das Schicksal, in den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts die dunkle Seite ihrer Utopie von einer vereinheitlichten Welt realisiert sehen zu müssen. Stilistisch mögen sich Vor- und Nachkriegsmoderne ähneln, und auch die „Meister“ der klassischen Moderne waren nach dem Krieg noch durchaus aktiv, aber dass die Bewegung nach 1945 nicht an die Utopien der 1920er-Jahre und ihr Versprechen, die Welt durch gutes Bauen von allen Übeln zu erlösen, anschließen konnte, wurde mit jedem Jahr des Wiederaufbaus klarer. Die Avantgarden der 1950er- und 60er-Jahre suchten nach einer anderen Moderne, die weniger rationalistisch, bunter und rauer sein sollte als die nach dem Krieg dominierende glatte Massenware. Le Corbusiers Spätwerk, das sich durch ausgiebige Verwendung von plastisch gestaltetem rohem Beton – „béton brut“ – von seiner Vorkriegsarchitektur abhebt, wurde zum Bezugspunkt einer Bewegung mit dem wenig sympathischen Namen „Brutalismus“, die auf Körperlichkeit und Rauheit setzt. Im Unterschied zur „klassischen Moderne“ sollte diese Architektur wieder Patina ansetzen können und wollte ganz bewusst nicht perfekt, also abgeschlossen, sondern offen für Veränderungen sein.
Die Suche nach einer „anderen“ Moderne wurde spätestens Ende der 1960er-Jahre aufgegeben, als sich post-moderne Bewegungen etablierten, deren Charakteristikum es war, Architektur als Zeichensystem zu praktizieren, entweder zitathaft-ironisch mit klassizistischen Säulen und Elementen der Populärkultur oder dekonstruktiv als Aufbrechen aller Sinnzusammenhänge, um den Bruchstücken ein offenes Spiel neuer Verkettungen zu erlauben. Eine Position hatte man in diesem Kontext, wie es der deutsche Philosoph Odo Marquard in seiner „Apologie des Zufälligen“ formuliert hat, nur „im nautischen Sinn“.

Es gibt in der Architekturszene heute kaum mehr Dissens zur Feststellung, die Moderne sei tot. Diese Überzeugung steht im seltsamen Widerspruch zur Beobachtung, dass die bei Weitem überwiegende Masse der globalen Bauproduktion einer verdünnten, ab und zu auch postmodern dekorierten Spätmoderne zuzurechnen ist, die offenbar auch ohne kulturellen Stammbaum ihr renditeträchtiges Auskommen findet.

Die Ausstellung „konstantmodern“, die Arno Ritter für das Innsbrucker „aut“ (Architektur und Tirol) kuratiert hat, versucht auf eine sehr eigenwillige Art zu zeigen, dass die Moderne noch durchaus lebendig, wenn auch fortgeschrittenen Alters ist (noch zu sehen bis 19. September, Lois-Welzenbacher-Platz 1). Sie stellt, wie es der Untertitel formuliert, „fünf Positionen zur Architektur“ vor, keine nautischen allerdings, sondern eben: konstant moderne. Das Alter der Protagonisten reicht vom 90-jährigen bayrischen Architekten Werner Wirsing über den 84-jährigen Salzburger Gerhard Garstenauer und den 82-jährigen Tiroler Johann Georg Gsteu bis zu dem mit 68 Jahren jüngsten Teilnehmer, Rudolf Wäger aus Vorarlberg. Die fünfte Position wird vom Schweizer Büro atelier 5 aus Bern repräsentiert, dessen Gründergeneration heute in ihren Neunzigern wäre. Gezeigt werden je drei Projekte aus unterschiedlichen Schaffensperioden, begleitet von Videos mit Interviews, die Arno Ritter mit den Architekten geführt hat. Deutlich wird dabei deren Prägung durch die Suche nach einer anderen Moderne in der Zeit von 1950 bis 1970, die schließlich zu sehr individuellen, kontinuierlich beibehaltenen Positionen führt. Neben den Plänen und Fotos aus der Entstehungszeit sind in der Ausstellung Fotoserien von Nikolaus Schletterer, der alle Projekte neu dokumentiert hat, zu sehen. Und hier zeigt sich plötzlich, wie diese Bauten tatsächlich die Zeit überdauert und durch ihre Patina oft noch gewonnen haben: Werner Wirsings genial einfachen Wohnhäuser aus den 1960er-Jahren ebenso wie das Seelsorgezentrum Baumgarten von Johann Georg Gsteu, Gerhard Garstenauers aus dem Berg gehauenes Felsenbad in Bad Gastein und das Würfelhaus von Rudolf Wäger in Götzis, und schließlich die Betonstrukturen des atelier 5, das mit seiner Siedlung in Halen aus dem Jahr 1955 eines der Meisterwerke des Brutalismus geschaffen hat.

Im hervorragend gestalteten Katalog zur Ausstellung sind die Interviews, die Plandokumentation und die neuen Fotoserien von Nikolaus Schletterer nachzustudieren. Was bleibt, ist der Hinweis auf das Potenzial des Einfachen angesichts einer Welt, die auch ohne das Zutun der Architektur kompliziert genug ist. Wie drückt es Werner Wirsing im Gespräch so schön aus: „Ich wollte immer nur das machen, was ich wirklich begriffen habe. Diese Einstellung hat sich dann zum überzeugten Streben nach dem Einfachen verdichtet.“ So viel entspannte Selbstironie und Gelassenheit würde man der Baukunst unserer Zeit oft wünschen.

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