Veranstaltung

Vienna Architecture Conference 2010
Veranstaltung
Sonntag, 13. Juni 2010, 13:00 Uhr
Universität für Angewandte Kunst, Lichthof B
Oskar-Kokoschka-Platz 2
A-1010 Wien


Veranstalter:in: MAK, Universität für Angewandte Kunst Wien

Autonomie und Inbrunst

Vom Anspruch, Erfinder der Architektur zu sein: über eine Konferenz „in Abwesenheit von Raimund Abraham“ und eine Ausstellung auf der Suche nach neuen Grenzen.

12. Juni 2010 - Christian Kühn
Im März dieses Jahres ist der Architekt Raimund Abraham im Alter von 76 Jahren in Los Angeles bei einem Autounfall ums Leben gekommen, auf dem Heimweg von einem Vortrag, den er als Gastprofessor am Southern California Institute of Architecture gehalten hatte. Man habe, so erklärte dessen Direktor Eric Owen Moss, mit Abraham einen„unersetzlichen, einzigartigen und kraftvollen Fürsprecher der Architektur“ verloren. Sein gebautes Werk ist vergleichsweise schmal: ein Stadthaus in Berlin, ein Teil einerkompakten Reihenhaussiedlung in Wien-Inzersdorf, eine Bankfiliale in seiner Heimatstadt Lienz in Osttirol. Sein bekanntester Bau ist das Österreichische Kulturinstitut in New York, das der Architekturkritiker Kenneth Frampton bei der Eröffnung 2001 als das „signifikanteste Beispiel moderner Architektur“ bezeichnete, das in New York „seit dem Seagram Building und dem Guggenheim Museum errichtet wurde“.

An diesem Wochenende veranstalten das Museum für angewandte Kunst und die Universität für angewandte Kunst eine Architekturkonferenz „in Abwesenheit von Raimund Abraham“, die in ihrem Anspruch mit einer Seligsprechung des verstorbenen Architekten zu vergleichen ist. Eröffnet wird die Konferenz mit einem Einleitungsreferat von Thom Mayne, in Österreich bekannt als Architekt der Hypo-Alpe-Adria-Zentrale in Klagenfurt. Danach erinnern sich Absolventen der „Angewandten“ in einem Podiumsgespräch an Begegnungen mit Raimund Abraham und seinen Einfluss auf ihr Denken und ihre Praxis. Die eigentliche Zeremonie findet im zweiten Teil der Veranstaltung satt. Kenneth Frampton hält eine Laudatio, Bundeskanzler Werner Faymann ist mit einem „Plädoyer für zeitgenössische Architektur“ angekündigt, und danach folgt eine Gesprächsrunde mit Vito Acconci, Peter Eisenman, Thom Mayne, Eric Owen Moss, Peter Noever, Wolf D. Prix, Lebbeus Woods sowie den Filmemachern Peter Kubelka und Jonas Mekas.

Dieses Großaufgebot an Prominenz ist nicht allein mit dem Werk Abrahams erklärbar, auch nicht mit seiner langjährigen Lehrtätigkeit am Pratt Institute und an der Cooper Union in New York. Abraham verkörperte in idealer Weise ein Architektenbild, wie es Wolf D. Prix in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des goldenen Ehrenzeichens der Stadt Wien 2005 charakterisiert hat: Abraham gehöre „zur Urgesteinsgeneration der Wiener Verweigerer“ und war „getragen vom Anspruch, Erfinder der Architektur zu sein, und ausgestattet mit dem moralischen Bewusstsein, der Beste zu sein. (?) Seine Architekturen waren Feste, manchmal brutal, manchmal hart, schwer oder einfach nur da wie die Quellenheiligtümer in Sardinien oder die schroffen Tempel in Mexiko. Abrahams Architekturen sind der Raum als Ziel.“ Dass Abraham wenig gebaut hat, liege an seiner kompromisslosen, nur diesem Ziel verpflichteten Haltung, die ihn zwangsläufig in Konflikt mit der „Bequemlichkeit der Bauherren“ gebracht hätte, deren „Ansicht von Architektur niemals Aussicht, sondern nur Einsicht in Rechnungsbücher ist.“

Dieses heroische Architektenbild ist in den 1960er-Jahren als Gegenposition zum vorherrschenden Bauwirtschaftsfunktionalismus entstanden: Architektur als absolute Form- und Raumkunst, niemandem verpflichtet außer sich selbst. Es ist kein Zufall, dass Prix Tempel und Heiligtümer als Referenzen anführt. Abraham hätte wohl noch die „Elementare Architektur“ des alpinen Raums ergänzt, deren Formen für ihn genauso absolut waren wie jene von Bergen oder Pflanzen und der er 1963 ein eigenes Buch gewidmet hat.

Wie relevant diese Vorstellung von der Architektur als autonomer Disziplin heute noch ist, wird bei dem Architekturkongress wohl kaum zur Debatte stehen, zu sehr ist das Podium mit Vertretern der Disziplin besetzt, die diese Vorstellung mit derselben Inbrunst verteidigen wie der Vatikan die unbefleckte Empfängnis. Geändert hat sich seit den 1960er-Jahren allerdings der Rahmen, in dem diese Vorstellung vertreten wird: Nach dem langen Marsch durch die Institutionen ist sie heute der akademische Standpunkt geworden, der mit entsprechendem Selbstbewusstsein vertreten wird. Zaha Hadids Antwort auf den Vorwurf eines Journalisten, dass man es „auf Ihrem Sofa Iceberg keine zehn Minuten aushält“, ist bekannt: „Da müssen Sie noch an Ihrer Sitztechnik feilen.“ Zur Aura der Autonomie gehört auch die Tendenz, Budgetüberschreitungen zur selbstverständlichen Begleiterscheinung jedes architektonischen Geniestreichs zu erklären und entsprechende Kritik gnadenlos als erbsenzählerisches Banausentum zu diffamieren.

Beide Strategien haben eine gewisse Berechtigung: Würde Architektur ausschließlich die aktuellen Bequemlichkeiten bedienen und nicht auch zu Haltungsänderungen auffordern, bliebe jede Entwicklung aus. Und der Schaden, der durch zu knappe Budgets, niedrige Qualität und Gleichgültigkeit gegenüber der Gestaltung unserer Umwelt entsteht, ist sicher um vieles größer als jener durch Budgetüberschreitungen aufgrund überspannter Ambitionen. Offen ist, von welcher Seite man diese Fragen nachhaltiger beeinflussen kann: durch Aufklärung der Bauherren und Nutzer oder durch Institutionalisierung eines architektonischen Hohepriestertums.

Wie verletzlich die letztere Strategie ist, lässt sich an einer Ausstellung ablesen, die derzeit im Zumtobel Lichtforum zu sehen ist. Kuratiert von Florian Medicus, zeigen 28 jüngere Architektenteams, Absolventen von Architekturschulen in Österreich und der Slowakei, zum überwiegenden Teil mit einem Bezug zur Angewandten, was sie als „New Frontiers“ wahrnehmen. Viele der Aussteller können wahrscheinlich besser zeichnen als Raimund Abraham und sind geschickter als Wolf D. Prix im computergestützten Generieren von Formen. Ohne den akademischen Schutzmantel wird hier aber deutlich, wie schmal der Grat zwischen gelungener Provokation und offensichtlicher Peinlichkeit, zwischen Tiefsinn und geistiger Hochstapelei ist. Der Frage, wogegen, wofür und vor allem für wen die meisten dieser Arbeiten geschaffen wurden, bleibt weitgehend unklar. In der Kunstszene würde vieles als „Schmunzelkunst“ untergehen (ein Begriff, den Hermann Czech schon vor 40 Jahren aus ähnlichem Anlass bei seinem Aufruf, Architektur als Hintergrund wirken zu lassen, geprägt hat). Trotzdem scheint in diesen Arbeiten ein Potenzial jenseits der gut einstudierten Provokationen der Väter und Überväter durch. Um dieses Potenzial herauszufordern, bräuchte es freilich etwas Unzeitgemäßes: ein Publikum, dem es wieder darauf ankommt, was gesagt beziehungsweise entworfen und gebaut wird und nicht nur von wem und wo.

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