Veranstaltung

13. Architektur-Biennale Venedig 2012
Ausstellung
29. August 2012 bis 25. November 2012
Giardini della Biennale, Arsenale
I-30122 Venedig


Veranstalter:in: Biennale di Venezia

Was hält uns zusammen?

Die Architekturbiennale in Venedig nimmt sich diesmal die ganz großen Fragen vor. Und überhebt sich dabei gewaltig.

8. September 2012 - Christian Kühn
In den Sprachwissenschaften versteht man unter „Common Ground“ die gemeinsame Vorstellungswelt, die es Gesprächspartnern erst erlaubt, sich zu verständigen. David Chipperfield hat diesen Begriff aus zwei Gründen als Leitthema für die heuer von ihm kuratierte Architekturbiennale gewählt. Einerseits sei es ihm um den „Common Ground“ zwischen Architektur und Gesellschaft gegangen: Ist die Architektur als Profession hellhörig genug für das, was die Gesellschaft von ihr erwartet, und kann sie umgekehrt ihre Anliegen verständlich machen? Andererseits müsse sich die Architektur der Frage nach ihrem eigenen „Common Ground“ stellen, nach der Summe an Erkenntnissen und Erfahrungen, die sie von anderen Professionen unterscheidet, die sich ebenfalls der Gestaltung der gebauten Umwelt widmen.

Das sind wichtige Fragen, und man durfte gespannt sein, ob Kazuo Sejimas fabelhafte Biennale von 2010 heuer eine angemessene Fortsetzung finden würde. Sejima hatte unter dem Leitthema „People Meet in Architecture“ eine sehr gelassene Ausstellung kuratiert, die faszinierende Rauminstallationen mit historischen Rückblicken und Beiträgen aus der Kunstszene verband und auch ihr eigenes Werk ohne falsche Bescheidenheit in Szene setzte. Auch damals ging es um einen „Common Ground“, allerdings um jenen, zu dem Architektur wird, wenn sie Menschen hilft, sich in ihr zu begegnen.

Wer David Chipperfields Architektur kennt, durfte eine systematischere, empirisch ausgerichtete Ausstellung erwarten, die an Chipperfields eigener Vorstellung eines architektonischen „Common Ground“ Maß nehmen würde: einem tiefen Verständnis der Architektur- und Kulturgeschichte, das nicht zur Kopie verleitet, sondern zum souveränen Umgang mit Referenzen fähig macht. Um dieses Konzept umzusetzen, hätte es freilich eine selektive Einladungspolitik und klare Vorgaben gebraucht, zu denen sich Chipperfield aber nicht durchringen wollte oder konnte. So begegnet man jetzt weitgehend den üblichen großen Namen und vielen Freunden aus Chipperfields Netzwerk, die in ihren Beiträgen recht beliebig über den „Common Ground“ spekulieren dürfen. So richtig Feuer haben dabei nicht einmal die Akteure gefangen, deren bekannt konservative Positionen hier einmal Gelegenheit gehabt hätten, sich in der ersten Reihe zu präsentieren. Hans Kollhoff zeigt Projekte von Studierenden, die über die Jahre seiner Lehrtätigkeit an der ETH Zürich entstanden sind, ein Gipsmuseum klassizistischer Langeweile, Vittorio Magnano Lampugnani den „Novartis Campus“ in Basel, als Privatstadt eines Pharmakonzerns ein zweifelhaftes Vorbild für einen harmonischen Städtebau.

Gleich daneben finden sich Beiträge von Norman Foster, Zaha Hadid und Herzog & de Meuron, was durchaus interessant sein könnte, da sie ja für ganz andere Vorstellungen eines „Common Ground“ stehen: Foster für eine technoide Spätmoderne, die weiterhin an eine weltweit verständliche Sprache glaubt, Hadid für einen biotechnischen Determinismus, der sich inzwischen unter dem von Patrik Schumacher geprägten Begriff „Parametrismus“ als neuer globaler Stil zu verkaufen versucht, und Herzog & de Meuron als Kontextualisten, die nicht am Urgrund der Architektur interessiert sind, sondern in jeder Situation ein spezielles Potenzial entdecken und aktualisieren wollen. Stattdessen sieht man in allen drei Fällen entweder oberflächliche oder desinteressierte Präsentationen, die wenig zum Thema beitragen. In Fosters Installation füllen Projektionen von Architektennamen in kleiner, fast unleserlicher Schrift den Raum und scheinen wie Ameisen über das Publikum zu laufen, während großformatige Projektionen an den Wänden abwechselnd aufgeregte Menschenmassen im öffentlichen Raum und ruhige Architekturszenen zeigen. Hadid/Schumacher präsentieren schöne Modelle, Herzog & de Meuron ihre Elbphilharmonie in Hamburg als Pressespiegel ohne weiteren Kommentar.

Dazwischen gibt es viel und auch manches Interessante zu sehen, in Summe bleibt der Besucher der von Chipperfield kuratierten Beiträge aber ratlos zurück. Erinnern wird man sich an Thomas Demands großformatige Fotos von Modellen des Architekten John Lautner, winzige Details in praller Materialität, daneben gespensterhafte Originalfotos von Modellen aus den russischen WchUTEMAS der 1920er-Jahre. Im Dachgeschoß des Hauptpavillons zeigen Rem Koolhaas/AMO eine Dokumentation über scheinbar anonyme „Beamtenarchitektur“ aus mehreren europäischen Ländern, erstaunlich experimentelle Projekte mit wechselvoller Geschichte. Nur für Insider eine Reise wert ist Valerio Olgiatis Beitrag: Er lud Kollegen ein, ihm jeweils bis zu neun Abbildungen aus ihrem Bilderkosmos zur Verfügung zu stellen, Bilder, die ihnen wichtig sind, nicht unbedingt von eigenen Arbeiten. Auf einem großen Tisch unter niedriger Decke aufgelegt, wird daraus ein Spiel von Identitäten, denen nachzurätseln durchaus ein Vergnügen ist.

Unter den Länderpavillons stechen die Niederlande mit einer Rauminstallation der Architektin und Künstlerin Petra Blaisse hervor, einem beweglichen Vorhang, der alle paar Minuten seine Position verändert und den Raum anders teilt. Im französischen Pavillon werden drei Stadtentwicklungsgebiete an der Pariser Peripherie präzise und unaufgeregt präsentiert, im englischen geht es um Inspiration durch Projekte aus anderen Ländern. Der deutsche Pavillon setzt zum Thema reuse/reduce/recycle auf eine bewusst unspektakuläre Gestaltung: Ein an die Seite verlegter Eingang, raumhohe Fotos von intelligenten Zu- und Umbauten, verbunden durch die Stege, die in Venedig bei Hochwasser den Gehsteig ersetzen: Viel mehr hat es nicht gebraucht, um dem Pavillon sein Pathos zu nehmen und ihn zu einem angenehmen Alltagsort zu machen.

Im österreichischen Pavillon hat man das Gegenteil versucht: Eine bedeutungsschwangere Inszenierung von Wolfgang Tschapeller, die auch auf die Kunstbiennale gepasst hätte. Es geht um die Frage, was uns zusammenhält, wenn der menschliche Körper selbst zum gestalteten Objekt geworden ist. Ästhetisch ist die Installation durchaus gelungen: Eine Spiegelwand teilt den Raum, Projektionen zeigen schwebende, computeranimierte Figuren, die sich teilweise zu einem Knäuel zusammenballen, teilweise allein oder in Zweiergruppen einen „danse macabre“ aufführen und sich an ihren Extremitäten auflösen.

Nach der Marktschreierei, die Eric Owen Moss als Onkel aus Amerika letztes Jahr im österreichischen Pavillon aufführen durfte, ist man hier am anderen Ende der Skala angekommen: beim tiefgründigen Geraune, zu dessen Aufklärung auch der Katalog nichts beitragen will. So wie die gesamte Biennale hat sich auch dieser Beitrag mehr vorgenommen, als in der kurzen Vorbereitungszeit zu leisten war. Um wieder zu einem Zentrum des Architekturdiskurses zu werden, wird die Biennale wohl tatsächlich einen Neuanfang brauchen.

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