Veranstaltung

Santiago Calatrava
Ausstellung
27. März 2003 bis 25. Mai 2003
Kunsthistorisches Museum
Bassano-Saal
Maria Theresien-Platz
A-1010 Wien


Veranstalter:in: Kunsthistorisches Museum

Wie ein fliegender Schwan

DER BAUKASTEN. Anmerkungen zur Architektur

Diesmal: Ausstellungen über den tschechischen Otto-Wagner-Schüler Jan Kotera und den spanischen Architekten Santiago Calatrava.

30. April 2003 - Jan Tabor
Die Moderne in Böhmen und Mähren brach im Sommer 1910 aus. In diesem Jahr erschien die programmatische Schrift „Moderne Architektur“ von Otto Wagner in tschechischer Übersetzung, und an der Akademie der bildenden Künste in Prag wurde nach dem Wiener Vorbild eine Spezialschule für Architektur gegründet. Mit Jan Kotera wurde einer der vortrefflichsten Absolventen von „Otto Wagners Spezialschule für Architektur“ an der Akademie der bildenden Künste in Wien zum Professor berufen: ein Tscheche und ein Wagnerschüler an der Akademie in Prag - ein Wunder!

Doch es geschah. In einem auf Tschechisch verfassten Brief setzte der Rektor den Architekten Kotera von dessen Berufung in Kenntnis. Den Originalbrief kann man nun in der Ausstellung „Jan Kotera 1871-1923“ im Wiener Architekturzentrum lesen. Es lohnt sich, denn die k. k. Amtssprache war so k. und k. köstlich umständlich. Kotera glaubte, dass er seine unerwartete Berufung Tomas G. Masaryk zu verdanken hätte, und bedankte sich bei dem Reichtagsabgeordneten. Masaryks Antwort war knapp und eindeutig. Masaryk teilte „Mistr Kotera“ mit, er habe bloß den „ewigen Standpunkt (...) den Deutschen so viel wie uns“ vertreten und dabei im Einvernehmen mit dem deutschen Kollegen gehandelt.

Der wundersame „Aufbruch in die tschechische Moderne“, wie die von Vaclav Havel initiierte und aus Tschechien übernommene Schau im Untertitel heißt, wird in einer eigenen Vitrine angedeutet. Allerdings muss man Tschechisch können, deutsche Übersetzungen liegen nicht bei. Zu sehen sind unter anderem ein Exemplar der tschechische Ausgabe von „Moderne Architektur“ oder ein kleiner Stich mit der persönlichen, kaum lesbaren Widmung an den vortrefflichen Schüler Kotera von 1897: Er stellt den am Zeichentisch sitzenden Otto Wagner dar und zitiert dessen berühmten Spruch ARTIS SOLA DOMINA NECESSITAS. Das Bild ist so klein, dass man nicht erkennen kann, ob Wagner in seiner Hand einen Bleistift oder eine Zigarette hält.

Über Koteras Berufung dürfte er sich gefreut haben. Seine Strategie, die Wirkung seiner Schule abzusichern und damit den Aufbruch in die Moderne zu unterstützen und über die Grenzen von Wien zu verbreiten, war aufgegangen. Aus diesem Grund nahm Wagner möglichst viele Studenten aus den Provinzen auf. Von insgesamt 191 Absolventen der Wagnerschule stammten 36 aus Böhmen und Mähren. Sehr viele. Zum Vergleich: Nur je ein Student kam aus Oberösterreich beziehungsweise Tirol. Der hohe Anteil an böhmisch-mährischen Studenten ist allerdings nicht unbedingt auf eine Vorliebe Wagners für diese Länder zurückzuführen, sondern eher auf die hohe Qualität der dortigen Fachschulen, die damals fast ausschließlich deutsch waren. Kotera selbst, der in Brünn geboren wurde, absolvierte 1890 die Deutsche Gewerbefachschule in Pilsen, bevor er 1894 sein Studium bei Wagner in Wien begann. 1898 wurde er Professor an der Prager Kunstgewerbeschule. Durch seinen Wechsel 1910 an die Akademie wurde sein Professorenposten frei und Kotera setzte seinen engen Freund Joze Plecnik als Nachfolger durch. Otto Wagner hielt Plecnik für seinen besten Schüler und wünschte ihn sich als Nachfolger an der Wiener Akademie. Und obwohl die Professoren dreimal primo et unico loco Plecnik nominierten, wurde dessen Berufung vom k. k. Kultusministerium wiederholt verhindert - wegen seiner slawischen Abstammung.

Jan Kotera, das sieht man an den präsentierten Zeichnungen und Fotos seiner Bauten, war ein Wagnerschüler par excellance. In der Ausstellung fällt auf: Ein Wagnerschüler zu sein war mit der Verpflichtung auf eine Wagnerschuledoktrin verbunden. Wie groß die Tendenz zur ästhetischen Stagnation war, wird am Werk von Kotera offensichtlich. Über den „Aufbruch in die tschechische Moderne“ selbst ist in der Ausstellung nichts zu erfahren. Was man auch nicht sieht: Die Bedeutung Koteras für die tschechische Moderne lag in dessen immenser kultur-organisatorischer Tätigkeit, nicht in dessen Bauten. Außerdem war Kotera Lehrer von vielen bedeutenden Architekten, die dazu beitrugen, dass der tschechische Funktionalismus in den 1930er-Jahren Weltniveau erreichen konnte. Die Bauten der Schüler von Kotera waren viel bedeutender als die des Wagnerschülers Kotera. Bei Otto Wagner war es genau umgekehrt: Seine Bauten waren bedeutender als die seiner Schüler.

Bemerkenswert ist, dass Masaryk, der Philosoph und ein kosmopolitischer Nationalist war, offensichtlich erkannt hatte, dass Koteras Fähigkeiten als Architekt doch nur von beschränkter Bedeutung waren. Als er zum Staatspräsidenten der neu gegründeten tschechoslowakischen Republik gewählt worden war und den Hradschin zu seinem Sitz bestimmt hatte, betraute Masaryk den Slowenen Joze Plecnik mit der Aufgabe, die Prager Burg zu einer „slawischen Akropolis“ umzugestalten. Die tschechische Moderne war schockiert, die Antimoderne noch mehr. Aber die Architekturhistoriker wissen es längst: Es war eine weise Entscheidung gewesen.

Die fantasielos übernommene und ordentlich installierte Kotera-Ausstellung bietet viel Wagnerschüler-Nostalgie und Genuss am Antiquarischen, kaum aber neue Einblicke und Erkenntnisse. Im Architekturzentrum herrscht gediegene Langeweile.

Überbordende Fantasie und Frühlingsstimmung hingegen herrschen im Kunsthistorischen Museum. Ein Archäologe (Wilfried Seipel, im Hause), ein Ornithologe (Ernst Bauernfeind, Naturhistorisches Museum) und eine Kunsthistorikerin (Liane Lefaivre, Universität für angewandte Kunst) haben sich im Bassano-Saal zusammengefunden, um einem lebenden Architekten so zu huldigen, als ginge es um die Epiphanie einer Vogelgottheit: Santiago Calatrava. Entstanden ist die erste Architekturausstellung in der Geschichte des Kunsthistorischen Museums. Sie heißt „Wie ein Vogel“. Es ist ein Fest der Skelette. Es ist surreal.

Vögel zwitschern, singen und schreien hier. Ein riesiger Kolibri flirtet mit einer Blume. Unterhalb des Screens mit den Kolibri-Großaufnahmen befinden sich Vitrinen mit Vogelskeletten: das Becken eines Straußes etwa; ein Steinadler aus dem Nachlass von Kronprinz Rudolf und allerlei Knochenvögel im Augenblick des Anflugs - „Meisterwerke der Natur und Taxidermie“, wie Kuratorin Lefaivre schreibt. Erstaunliche Apparate. Unübertreffliche Konstruktionen. Wie ein Calatrava.

Das Skelett eines Schwans schwebt, aufgehängt an dünnen Fäden, dahin, als wäre es unterwegs zu Leda. Präpariert wurde der fliegende Schwan speziell für die Calatrava-Ausstellung. Geil. Hoffentlich hat man nicht Zeus erwischt. Darunter, unter dem imaginären Flug des Knochenschwans, befinden sich, versenkt im Dämmerlicht einer Reliquienkammer, mehr als dreißig Modelle von ausgeführten oder projektierten Bauten des spanischen Architekten. Aufwendige Modelle, die weiß und fragil sind wie die Unschuld der Leda und so wirken, als handelte es sich tatsächlich um Lebendigkeit vortäuschende Meisterwerke der Taxidermie.

Beflügelt vom Besuch einer Calatrava-Schau in Athen, hatte der KHM-Direktor beschlossen, diese Ausstellung nach Wien zu bringen. Das Architekturzentrum lehnte ab. Also machte Seipel den Bassano-Saal frei für die fantasievoll adaptierte Calatrava-Schau. Das Gerücht, er sei Seipels Wunscharchitekt für die geplante unterirdische Erweiterung des Museums unter dem Maria-Theresia-Platz, wirkt dadurch verdächtig überzeugend.

Calatrava wird nicht vorgestellt, er wird zelebriert. Als einer, dessen Architektur auch zu den zoologischen Sammlungen des benachbarten Naturhistorischen Museums vortrefflich passen würde - vor allem in eine beide Museen vereinigende Seipel AG. Denn es erscheint tatsächlich als ökonomisch außerordentlich vorteilhaft, den unterirdischen Ausbau für beide Museen gemeinsam durchzuführen. Gleichsam mit einem Flügelschlag.

[ „Jan Kotera. Aufbruch in die tschechische Moderne 1871-1923“
bis 7.7. im Architekturzentrum Wien

„Santiago Calatrava. Wie ein Vogel“
bis 25.5. im Kunsthistorischen Museum ]

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