Veranstaltung

8. Architektur-Biennale Venedig 2002
Ausstellung
6. September 2002 bis 3. November 2002
Giardini della Biennale, Arsenale
I-30122 Venedig


Veranstalter:in: Biennale di Venezia

No ethics, only aesthetics

Noch nie war die Architekturbiennale in Venedig so langweilig und reaktionär wie heuer. Im Josef-Hoffmann-Pavillon aber erlebt man die wahre Qualität des Österreichischen.

23. Oktober 2002 - Jan Tabor
Es empfiehlt sich, sich dem österreichischen Beitrag für die Architekturbiennale in Venedig von hinten zu nähern. Man geht über die Viale Trento durch die Giardini pubblici, biegt ins Arbeiterviertel S. Giuseppe ab und überquert die Brücke vom Rio dei Giardini. Von hier aus sieht man hinter der hohen Parkmauer üppiges Gebüsch, aus dem ein verglastes Eck des österreichischen Pavillons herausragt. Ist man einmal drinnen, hat man von dort aus - dank Heidulf Gerngross, der hier auf drei Ebenen seine Privatgemächer eingerichtet hat - einen herrlichen Ausblick auf diese entlegene Gegend, in die sich kaum ein Tourist verirrt.

Doch zuvor steht eine Entscheidung. Wenn man umsonst in die Biennale-Giardini gelangen will, kann man jene hölzerne Leiter benützen, die als Zugang zu einem an der Kaimauer festgemachten Boot dient. Über die Sträucher sind rhythmisch-kunstvoll gelbe Holzstangen gestreut. Architekt Rainer Köberl wollte die Mauer hier öffnen (insofern wäre ein illegaler Eintritt durchaus im Sinne Köberls) und die dem österreichischen Pavillon beigefügten Zubauten beseitigen. Die Denkmalschutzbehörde von Venedig hat dies untersagt, sodass Köberl eine Ersatzstrategie entwickeln musste. Die Stangeninstallation draußen ist ein räumliches Abbild seiner unerfüllbaren Absicht.

Wer die Biennale legal betreten will, löst beim Haupteingang eine Eintrittskarte für zwölf Euro. Auch in diesem Fall empfiehlt es sich, gleich in den österreichischen Pavillon zu gehen, hier den Rundgang zu beginnen und zu beenden. Denn die wahre Qualität des Österreichischen erschließt sich erst am Ende des anstrengenden Weges durch die Weltausstellung des wahren Bauens. Dies ist die Architektur-Biennale der Superlative: NEXT, l'8a. Mostra Internazionale di Architettura, Venezia, Direttore Deyan Sjudnic. Schlicht NEXT. Eine Superschau: ordentlich, klar, üppig und unverschämt eindeutig. No ethics, only aesthetics. Sonst nichts.

Noch draußen vor dem Tor ins Arsenal, wo sich die exklusive Hauptschau befindet, kommen mir zahlreiche österreichische Baukunstbummler entgegen, die bereits drinnen gewesen sind. Ihre Augen strahlen. Sie sagen: Dies sei die beste, schönste, ordentlichste, verständlichste Architekturbiennale seit langem. Nichts sei übrig geblieben vom Chaos von vor zwei Jahren in der Biennale mit dem 68er-Titel „Città: less aesthetics, more ethics“. Manche sagen: super. Einige sagen: Wir Österreicher sind super vertreten: Hollein, Coop Himmelb(l)au, Podrecca, Piva, Baumschlager und Eberle sowie Delugan und Meissl.

Draußen noch, vorm Arsenal-Tor, trefe ich Elke Meissl-Delugan und Roman Delugan. Jene zwei jungen Wiener Architekten, die souverän das schwer erreichbare Gleichgewicht von architektonischer Qualität und kostengünstiger Massenhaftigkeit im sozialen Wohnbau herzustellen wissen. Ich gratuliere. Trösten soll ich sie, sagen sie. Sie wissen nicht, was sie hier zu suchen haben. Außerdem sind sie die Einzigen ohne Modell.

Drinnen: Man versteht Delugan-Meissl sehr rasch sehr gut. Direttore Sjudic hat seine Staransammlung in elf typologische Bereiche aufgeteilt. Die Reihe beginnt mit „Wohnen“, wobei die Wohnbauprojekte für den Wienerberg von Delugan-Meissl die ersten Exponate sind. Und die einzigen, die sozial relevante Architektur repräsentieren. Keine Kindergärten, Schulen, Altersheime, Krankenhäuser. In diesem Festival der Großkapitalknechte sind Delugan-Meissl tatsächlich fehl am Platz.

„Wohnen“: neben Küstenvillen, Villen für chinesische Neureiche neben der Großen Mauer oder einem Penthaus auf einem Manhattan-Wolkenkratzer auch die kleinstadtartige Villa eines Ölscheichs, die durch zwei Aspekte auffällt: durch einen Tiergartengraben mit Giraffen, Löwen, Pferden und Hirschen im Modell. Und durch eines der vielen Schlafzimmer - wohl nur, weil es von John Pawson entworfen wurde. Man begreift: Dieses Bauwerk wird nur gezeigt, weil Pawson sonst nichts zu zeigen hätte außer seinen Entwürfen für Calvin Klein.

Dieses Globalkapitalarchitekturnirwana ist, was die Macht und die Vorstellungen der Developer und ihrer Architekten betrifft, die wahrhaftigste Biennale aller Zeiten. Sie ist die verlogenste und reaktionärste, wenn man sich die Wirklichkeit in der Welt, auch in der Welt des wirklichen Bauens, anschaut. Sie ist auch die bisher langweiligste, weil hier keine jungen Architekten zugelassen wurden. Es ist eine Antiquitätenmesse für Architekturmodelle.

Zum Glück gibt es die nationalen Pavillons mit ihren nationalen Kommissären. Die meisten dürften an The next world of Sjudic nicht so recht glauben. Überraschenderweise zählt auch Dietmar Steiner zu ihnen. Mit seiner verrückten Nominierungsmischung aus drei lebenden Architekten und einem toten Architekturtheoretiker, Jan Turnovsky, und dem verrückten Titel „Integrazione. Denn Wahnsinn braucht Methode“ hat Steiner Glück. Gratulation. Der österreichische Pavillon ist der erfolgreichste (beste, schönste, körperlichste).

Die Besucher kehren hier gern ein und verweilen lang. Sie ruhen sich in unserem nationalen, von Nelo Auer üppig bepolsterten und von Gerngross und Köberl mit weichen Sitzgelegenheiten reichlich bestückten Pavillon ausgiebig aus. Er ist der heimeligste. Man spürt es hier am eigenen Körper, wie tief die Fremdenverkehrsmentalität ins Unterbewusstsein des Österreichischen vorgedrungen ist.

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