Veranstaltung

Europas beste Bauten. Mies van der Rohe Award 2001
Ausstellung
24. Januar 2002 bis 22. März 2002
Wiener Städtische
Allgemeine Versicherung AG
Ausstellungszentrum im Ringturm
Schottenring 30
A-1010 Wien


Veranstalter:in: Vienna Insurance Group, Mies van der Rohe Foundation

„Mies ist unser Gewissen“

Der erstmals verliehene Mies van der Rohe Pavillon Preis belohnt die schönsten Bauten Europas mit der scheußlichsten Trophäe der Welt.

6. Februar 2002 - Jan Tabor
Der Architekturkritiker Harry Weese schrieb 1966: „Mies ist weiterhin unser Gewissen. Aber wer hört heutzutage schon auf sein Gewissen?“ Den folgenden Satz schreibe ich ungern, aber im Sinne von Weese müsste man sagen: Wäre Mies van der Rohe mit dem Mies van der Rohe Pavillon Preis ausgezeichnet worden, dann hätte er nicht gewusst, ob er sich über diese Ehrung freuen oder ärgern soll.

Eine so scheußliche und zugleich skurrile Auszeichnung wie diese habe ich schon lange nicht gesehen. Das Ehrending sieht aus wie ein Kruckenkreuz in Eisen aus der Dollfuß-Zeit. Das Kunstwerk besteht aus einem Traverse-Stück, an dessen Schaft vier Winkeleisen seitlich angeschweißt sind. Diese „Mies-van-der-Rohe-Pavillon-Skulptur“, entworfen von Xavier Corberó, ist befestigt auf dem Deckel einer Schatulle aus einem Edelholz - vermutlich Makassar-Ebenholz, die gleiche Holzsorte, die der Materialfetischist Mies im deutschen Pavillon in Barcelona (1928/29) und in der Villa Tugendhat in Brno (1928/30) verwendete. Zuerst habe ich gedacht, es handelte sich um einen zur Reliquie erhobenen Abschnitt einer Eisenbahnschiene samt Schwelle. Der Deckel liegt an zwei Holzstäben, welche die Wände des Edelholzkästchens durchstoßen. Die Stäbe können herausgezogen, der Deckel kann dann umgedreht in die Schatulle gelegt und mit den beiden Stäben fixiert werden.

Der Mies-Kenner kapiert: Form follows function - angeblich das Architekturcredo von Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969). Der Mies-Kenner erkennt außerdem: Die zusammengeschweißten Eisenstücke symbolisieren jene revolutionäre Tragwerk-Erfindung, die Mies zuerst im Barcelona-Pavillon und gleich anschließend in der Villa Tugendhat eingesetzt hat: Vier Winkeleisenstangen wurden kreuzförmig zusammengenietet, um als ungemein dünne und doch tragfähigen Stützen verwendet zu werden. Die Bündel wurden mit Chromblech ummantelt. Die Eisenstücke der Auszeichnungsskulptur nicht: Sie steht auf einem Sockel aus edelgerostetem Stahlblech.

Es ist unklar, ob es die Reste des bereits 1929 demolierten Originalpavillons oder ob es sich um abgesägte Konstruktionsteile der 1986 hergestellten Replik handelt. Diese architekturhistorisch spektakuläre Rekonstruktion dürfte den Anstoß für die Schaffung der ersten EU-eigenen Architekturauszeichnung bewirkt haben. Mit vollem Titel heißt sie „Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur - Mies van der Rohe Pavillon Preis“, wird seit 2001 alle zwei Jahre verliehen und ist mit 50.000 Euro ziemlich knausrig dotiert. Dies ist auch das Letzte, was man an dem Mies-Preis bemängeln kann.

Die Wanderschau mit dem leicht übertriebenen Titel „Europas beste Bauten“ - auf Englisch heißt sie „European Architecture“ - ist für das Programm im Ausstellungszentrum im Ringturm der Wiener Städtischen charakteristisch: Die meistens unspektakulären, dafür ungemein informativen und gediegen gestalteten Ausstellungen sind für Wien längst die wichtigsten Informationsquellen über Architekten und Baukultur im Ausland geworden. Für das Programm ist der Architekturtheoretiker Adolph Stiller zuständig.

Es bewegt sich doch etwas in Europa. In der Auswahl der überwiegend spanisch besetzten Jury - die selbstredend im Barcelona-Pavillon II tagte - herrschen zwar Spanier vor. Aber was früher fast unmöglich oder rare und gönnerhafte Ausnahme war, ist nun ganz selbstverständlich geworden: Es werden auch Bauwerke aus dem ehemaligen Osten vorgestellt. Die Handelskammer in Ljubljana von Jurij Sadar, BosÇtjan Vuga und Sadar Vuga oder das Bürohaus Muzo Zentrum in Praha von Stanislav Fiala und D3A.

An der Ausstellung stört allerdings, dass bei keinem der 37 vorgestellten Bauwerke das Baujahr genannt wird. Als wäre alles der Zeit - und damit dem Einfluss der allmächtigen Moden - enthoben. Ist es aber nicht, wie man sieht. Man sieht sogar etliche altbekannte Oldies, etwa die Kuppel des Berliner Reichstags von Norman Foster. Der gezeigten Auswahl, allesamt preiswürdige Bauten, liegen 200 Nominierungen zugrunde, die von den Ländern vorgenommen wurden. Für Österreich hat sich Otto Kapfinger vom ArchitekturZentrum Wien durch die Menge qualitätsvoller Kandidaten gequält. In der Ausstellung werden die Botschaften der nordischen Länder in Berlin von den Wiener Architekten Alfred Berger und Tiina Parkkinen sowie die Wohnhausanlage Wohnen am Lohbach in Innsbruck von Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle präsentiert.

Völlig zu Recht, weil gänzlich Mies-gerecht, wurde mit dem Mies-Preis der Palacio-Kursaal in San Sebastián, Spanien, von Rafael Moneo ausgezeichnet: ein transluzides Raumgedicht, ein urbanes Wunder. Mit einer „besonderen Anerkennung für viel versprechende junge Architektur“ ehrte die Jury das Holzlagerhaus Kaufmann in Bobingen, Deutschland, Baujahr unbekannt, von Florian Nagler, Jahrgang 1967. Auch wunderschön lichtdurchlässig. Auffällig die vielen neuen Museen und Kulturhäuser in unserem schönen EU-Europa: die herrlichen Innenräume, die schlichte Eleganz des Erscheinens, die Präzision, mit der die Formen den Funktionen folgen, die Souveränität in der Materialverwendung, die Vielfalt der Lösungen. Wenn man das Roger Raveelmuseum in Machelen aan de Leie, Belgien, von Stéphane Beel, das Museum Het Valkhof in Nijmegen, Niederlande, von Ben van Berkel oder das Altamira-Museum in Cantabria, Spanien, von Juan Navarro Baldweg sieht, dann muss man sich freuen und ärgern zugleich. Das MuQua in Wien will einem nicht aus dem Sinn kommen.

Wenn es in Tschechien so weiter geht, zeichnet sich die Gefahr ab, dass neben dem Schrottkraftwerk Temelín auch ein berühmtes Gebäude in Brno zum Schrottbauwerk wird: das Haus Tugendhat von Mies van der Rohe. Soeben - im Dezember 2001, gleichzeitig mit der Innenstadt von Wien - wurde die Villa zum Weltkulturerbe erklärt. MAK-Direktor Peter Noever befürchtet, dass dieses Haus von unschätzbarem architektonischem und kulturellem Wert zu einem „kommerziellen Mausoleum verkommt“. Damit es nicht das gleiche Schicksal erleidet wie der Messepalast in Wien, lud das MAK unter dem Titel „Villa Tugendhat - Weltkulturerbe in Gefahr“ zu einem rettenden Pressegespräch ein. Was die unbelehrbaren Tschechen wieder anrichten wollen, darüber werden wir berichten.

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