Veranstaltung

Otto Wagner
Ausstellung
Otto Wagner © Wolfgang Thaler
15. März 2018 bis 7. Oktober 2018
Wien Museum
Karlsplatz 8
A-1040 Wien


Veranstalter:in: Wien Museum

Moderner als Otto Wagner?

Der vor 100 Jahren verstorbene Otto Wagner wird dieser Tage – gebührend – nicht zuletzt durch Ausstellungen geehrt. Was sich allerdings jenseits seiner Wiener Schlüsselbauten von Stadtbahn bis Postsparkasse architektonisch begab, ist kaum je im Fokus der Aufmerksamkeit. Zeit für eine Revision.

11. März 2018 - Otto Kapfinger
In Großausstellungen werden heuer die vor 100 Jahren gestorbenen Heroen von „Wien um 1900“ gefeiert. Um der Rückvergewisserung Tiefenschärfe zu geben, lohnen Blicke auf zeitgleiche Phänomene, die im historischen Streit um den Stil der Zeit und bis heute eher unterbewertet sind. Innerhalb der Recherche für die große Retrospektive „Otto Wagner“ im Wien Museum war es möglich, ein solches Wiener Phänomen zu studieren: den Bauboom innovativer Mehrzweckhäuser 1909 bis 1914.

Es sind dies zwei Dutzend Gebäude im Stadtkern. An ihnen manifestierte sich eine Synthese technologischer und kultureller Modernisierung. Es waren durchwegs Pionierbauten in der damals brandneuen Eisenbetontechnik. Mit armiertem Beton wurde es möglich, die tragenden Massen gegenüber dem Ziegelbau stark zu reduzieren. Größere Nutzlasten und Spannweiten konnten mit kleineren Dimensionen bewältigt werden. Die Substanz der Häuser lockerte sich. Aus Mauerbauten wurden Gerüste, deren statische Fixierung auf Knotenpunkte in weitmaschigen Netzwerken schrumpfte. So konnten die Grundrisse offener, die Räume elastischer werden.

Bei den angesprochenen Gebäuden sind diese Vorteile genutzt, um auf engen innerstädtischen Parzellen vertikale Überlagerungen verschiedener Nutzungen einzuführen – im Speziellen dazu, um in die Überbauung mit sieben, acht Stockwerken erstmals große, direkt dem Straßenraum zugeordnete Säle zu integrieren, in vielen Fällen für die sich gerade stürmisch entfaltende Kinematografie, für Varietés, Kellertheater und mehrgeschoßige Restaurants. So zeigen die meisten dieser Stadthäuser einen flamboyanten „Unterbau“: für neuartige Freizeit- und Kulturerlebnisse geöffnete Tiefenschichten unter den darüber situierten Laden-, Büro-, Wohnungs- und Atelieretagen.

Ein Bau wie der „Residenzpalast“ von Arthur Baron an der Ecke Fleischmarkt/Rotenturmstraße, der im Souterrain ein Theater mit 500 Plätzen und daneben ein Kino mit 300 Sitzen bot, darüber zwei transparente, beliebig teil- und vermietbare Geschäftsetagen legte, darauf noch Büroetagen setzte sowie auf dem Dach Fotoateliers und einen Reformturnverein, war 1909/10 in Wien einzigartig. Über die Typologie der von Wagner und seiner Schule erdachten Geschäfts- und Wohngeschäftshäuser hinausgehend schuf dieser Bau mit etlichen weiteren dieser Art Vorformen dessen, was Rem Koolhaas am Beispiel der New Yorker Hochhäuser der 1930er- Jahre als neuen Typus „surrealer“ Stapelung disperser Welten stilisierte.

Die schwache Wertschätzung dieser Bauten kann mehrere Gründe haben: Die Architekten kamen zum Teil von Provinzschulen, waren vor allem Absolventen der Technischen Hochschule Wiens, wo Karl König und Karl Mayreder unterrichteten, die pragmatischen Kontrahenten von Otto Wagners Moderne-Kaderschmiede. Sie stammten mehrheitlich, wie König selbst, aus dem assimilierten jüdischen Bürgertum Wiens oder der Kronlande. Sie wurden nicht im führenden Diskursmedium „Der Architekt“ publiziert, sondern in der wöchentlichen Fachzeitschrift „Der Bautechniker“, wo sich interdisziplinär die Entwicklung in den deutschsprachigen Teilen der Monarchie dokumentierte. Sie nahmen am Stildiskurs der Zeit kaum teil – ihre besten Sachen kamen nach dem „Ver Sacrum“ der Secession, als ab 1907/08 wieder Neoklassizismus, Heimatstil und Neobarock in den Vordergrund rückten.

Schon in den 1990er-Jahren hatte Ursula Prokop diese „späten“ Wiener Stadthäuser der Forschung unterzogen. Unter dem Aspekt „Eisenbeton macht Großstadthäuser“ konnte ich ihre Arbeit nun um technische, soziale und biografische Aspekte ergänzen.

Wagner selbst hat bis zu den letzten Realisierungen – Miethäuser Neustiftgasse/Döblergasse – das aufgehende Mauerwerk in verputztem, mit Keramik oder Steinplatten verkleidetem Ziegelbau konzipiert und Mittelmauern mit Kaminen eingesetzt. Eisenbeton kam bei ihm hauptsächlich in den Geschoßdecken und Treppen, etwa bei der Postsparkasse, zum Einsatz.

Bei den hier gezeigten Beispielen fällt hingegen auf, dass sie samt und sonders mit den in Wien im Eisenbetonbau aufstrebenden, mit ihren Patenten europaweit führenden Firmen gestaltet sind. In Deutschland und Österreich wurde etwa die 1886 in Berlin und Wien etablierte Firma Wayss & Freytag aktiv. Sie erwarb von Monier und Hennebique, den französischen Erfindern, die Lizenzen und verbesserte diese Systeme mit eigenen Versuchen und Testbauten. Auf der Weltausstellung 1900 in Paris machte Wayss mit einem 16 Meter weit gespannten Betonbogenfeld mit 16 Zentimeter Konstruktionsstärke Furore. Bis 1904 hatte die Firma in der Zahl der Dependancen in Mittel- und Osteuropa mit Hennebique gleichgezogen. 1902 bis 1904 berechnete sie die Betonstrukturen in dem von Fellner & Helmer geplanten Warenhaus Gerngross, Mariahilfer Straße 42, in dem in vieler Hinsicht avanciertesten Gebäude der Zeit in Wien.

Parallel dazu profilierte sich das 1898 von Eduard Ast gegründete „Unternehmen für Betonbau, Betoneisenbau und Wasserkraftanlagen“. Nach Brücken und Industrieanlagen ist die von Ast & Co. 1899 konzipierte Druckerei Gistel & Comp. in der Münzgasse der erste bekannte Wiener Hochbau im innerstädtischen Bereich, der über fünf Etagen rein als Beton-Pfeiler-Decken-System ausgeführt ist, mit Nutzlasten von 1000 Kilogramm pro Quadratmeter. Ast & Co., die ebenfalls mit eigenen Versuchsobjekten die Technik vorantrieben, verantwortete auch die Betonstruktur in Parterre und Mezzanin des von Jože Plečnik 1903 bis 1905 geplanten Geschäfts- und Wohnhauses für den Industriellen Johann Evangelist Zacherl am Wildpretmarkt, die Betonarbeiten bei Otto Wagners Postsparkasse 1904 bis 1906 und bei dem 1905 nach Plänen von Josef Hoffmann fertiggestellten Sanatorium Purkersdorf.

Ein erstmals auch in der Außenhülle mit Beton ausgeführtes Wiener Stadthaus realisierten 1905 bis 1906 Wayss & Co. mit Baumeister Johann Walland für den als Bauherr agierenden Architekten Karl Hofmeier an der Ecke Kärntner Straße/Himmelpfortgasse. Dort ist nur das Stiegenhaus in Ziegelmauern gefasst, sonst formen Eisenbetonpfeiler mit eingespannten Plattenbalkendecken stützenfreie Etagen für Läden und Büros. Auch die Parapete und Lisenen der Fassade sind aus Beton, etagenweise in Holzschalungen gestampft. Als Finish wurden die Außenseiten fein gestockt. Mit dieser Technik gab es gegenüber Ziegelbauweise einen Gewinn von zehn Prozent an Fläche pro Stockwerk. Adolf Loos lobte es als das „schönste neue Gebäude“ der Stadt.

Im Bereich der Theoriebildung waren in dieser Phase zwei mit der Technischen Hochschule Wien verbundene Ingenieure tonangebend: Friedrich Ignaz von Emperger, der 1903 an der TH das erste Ingenieurdoktorat erwarb, sowie Rudolf Saliger, an der TH ausgebildet, ab 1910 dort auch Professor. Emperger gründete 1901 das Fachmagazin „Beton und Eisen“, entwickelte Berechnungsmethoden und Konstruktionsarten, war in Ausschüssen und Instituten tätig. Saliger publizierte 1906 mit dem Band „Der Eisenbeton, seine Berechnung und Gestaltung“ ein Grundlagenwerk, das in mehreren Auflagen und Sprachen weltweit Beachtung fand. Im Jahr 1907 erloschen alle einschlägigen internationalen Patente und Lizenzen – und begründete sich der Österreichische Betonverein. Im selben Jahr publizierte Emperger mit dem Handbuch für Eisenbetonbau ein zweites, weltweit anerkanntes Standardwerk aus Österreich.

Zufall oder nicht, fast im Gleichschritt entstanden zwei Leittechnologien des 20. Jahrhunderts: Mitte der 1890er-Jahre kamen die ersten Patente im Eisenbeton – und gab es die ersten Filmvorführungen. Im Gründungsjahr des Österreichischen Betonvereins, 1907, konstituiert sich auch der Verband österreichischer Kinematografenbesitzer. Und mit dem Bauboom vor dem Krieg, in den Hauptstraßen der Inneren Stadt, entlang der merkantilen Verbindung zum Westbahnhof, geht der Gründerboom Wiener Kinos einher. Werner Michael Schwarz zählt in seinen einschlägigen Publikationen mehr als 100 damals neu eröffnete Spielstätten Wiens, und ihm fällt auf: „Unter den Gründern der Großkinos ist ein hoher Anteil von Architekten und Baumeistern.“

Beispielhaft dafür stehen die Brüder Emanuel, Eduard und Max Schweinburg, planende und ausführende Baumeister und Architekten. Sie gründen und finanzieren in diesen Jahren – unter anderem – mehrere Kinos, Theater, Varietés. 1909 agieren sie zusammen mit einem Schwager, Arnold Knedel, sowie Baumeister Viktor Schwadron, Chef der expandierenden Tonwaren- und Fliesenfirma, als Bauherrschaft/Eigentümerkonsortium des erwähnten Residenzpalastes. Weitere Schweinburg-Bauten: Ecke Neubaugasse/Mondscheingasse mit großem Saal – heute noch als Theater in Betrieb; Wohnanlage Porzellangasse 19 mit Saal unter dem Hof, ab 1913 Varieté, ab 1978 „Schauspielhaus Wien“; Eckhaus Siebensterngasse 42, mit „Kosmos-Theater für wissenschaftliche und künstlerische Kinematografie“ – heute als Theater genutzt . . .

Auch Architekt Leopold Fuchs spielt mehrmals die Rollen von Grundeigentümer, Bauherr und Planer in Personalunion. Zu seinen Realisierungen zählen in der Mariahilfer Straße die Eckhäuser der Neubaugasse. Beim 1912 eröffneten Bau Mariahilfer Straße 68 konzipiert er auf der Eckparzelle die Betonstruktur so, dass im Souterrain ein Gastlokal Platz findet, aus dem später ein Klub und eine bekannte Diskothek wird. Das in Beton und Glas überwölbte Dachgeschoß mietet die Polo-Film-Vertriebs GmbH, die da auch einen Vorführraum betreibt.

Beim größeren Haus gegenüber integriert Fuchs 1914 ebenerdig die von Adolf Loos gestaltete Filiale der Anglo-Österreichischen Bank – und schafft direkt darunter einen Saal für 520 Sitzplätze. Dieses 1917 eröffnete Maria-Theresien-Kino wird eine der wichtigsten Spielstätten der Stadt. Im ersten Stock zieht bald die Wiener Kunstfilm-Industrie GmbH ein – samt Vertriebsbüro, Vorführraum. Hier in Neubaugasse 1 und 2 und im 1913 nach Plänen von Hans Prutscher errichteten Elsa-Hof, Neubaugasse 25, konzentrieren sich dann die nationalen Filminstitutionen und internationalen Verleihfirmen. 1914 hat Wien mehr als zwei Millionen Einwohner, 28 Tageszeitungen, 53 Postämter innerhalb des Gürtels, 85 Kilometer Rohrpostnetz, 30 Theater und Varietés – und mehr als 150 Kinosäle.

Der Residenzpalast, Fleischmarkt 1. Auf der Eckparzelle, in Gehdistanz zum Stephansplatz, plant 1908/09 Arthur Baron im Auftrag des genannten Errichterkonsortiums ein siebenstöckiges Geschäfts- und Bürohaus. Außer bei den Stiegenhäusern und den Kamingruppen an den Feuermauern gibt es keine tragenden Ziegelwände. Alle Stützen und Decken sind aus Eisenbeton. Die Fassaden der Geschäftsetagen sind zur Straße transparent, gehüllt in vor die Pfeiler gesetzte Glaswände. In den Büroetagen darüber ergänzen Parapete und Gewände in Ziegel die Betonrahmen, fassen die Fenster, das Ganze ist mit polychromen Fliesen verkleidet. Das Dachgeschoß ist mit Kupfer verblecht, mit Atelierfenstern auf Straße und Hof.

Zahl und Dimension der im Parterre und Mezzanin achteckigen Pfeiler sind durch Béton fretté minimiert. Die erste Anwendung solcher mit Spiralbewehrung „umschnürter“ Betonsäulen in der Monarchie ist 1905 an einer Druckerei in Brünn nachweisbar. Wayss & Freytag erwarb die Lizenz für diese Technik, verwendete sie beim Residenzpalast erstmals für ein innerstädtisches Waren- und Bürohaus.

Mit der neuen Technik gelang es auch, den Unterbau des Hauses hochwertig zu nutzen. Brückenartige Betonbögen vergrößern die Spannweite der darüber in acht Metern Abstand stehenden Pfeilerpaare auf zwölf Meter, sodass im Souterrain 7,50 Meter hohe Säle mit eingehängter Galerie beziehungsweise seitlichen Logen möglich wurden. Im Herbst 1910 erhält das Ganze die amtliche Benützungsbewilligung. Im Dachgeschoß gibt es ein Fotoatelier mit Dunkelkammer und gebogener Verglasung nach Norden – und im Trakt über dem Kino die Turnschule „Physische Erziehung – Schwedische Gymnastik“. Leiterin ist die aus Schweden stammende Diplomgymnastikerin Ester Hulda Strömberg, verheiratet mit Stefan Grossmann, einem erfolgreichen Autor und politischen Aktivisten im Kreis um Victor Adler. Die Ausstattung der Privatschule stammt von Josef Frank. Für den blutjungen Frank, der wie Baron bei König an der TH Wien studierte, ist es einer der ersten Aufträge. Er überzieht die nackten Betonbinder der Turnhalle mit farbigen Mustern, die Wände mit Blumentapeten und stellt mit Intarsien geschmückte Möbel auf.

Das Theater eröffnet am 14. Oktober 1910, 1916 kommt die Namensänderung auf „Kammerspiele“, 1921 die Uraufführung des „Reigen“ von Arthur Schnitzler – einem der größten „Skandale“ im Wiener Theaterleben, begleitet von antisemitischen Kampagnen. Bis in die späten 1930er-Jahre firmieren die Brüder Schwadron und Schweinburg als Eigentümer und Bauführer, unter anderem 1930/31 bei der Umrüstung des Kinos für Tonfilm. 1938/39 „Arisierung“; 1941 zieht in zwei Stockwerken die Ostmärkische Zeitungsverlags-Kommanditgesellschaft ein; Schließung des Kinos, Umbau des Saales für Druckereimaschinen; nach Kriegsende Übernahme durch den Globus-Zeitungsverlag, 1956 abgelöst durch „Die Presse“; in den 1960er-Jahren im Besitz der Bawag; 1962 legendäre Aufführung des „Herrn Karl“ von/mit Helmut Qualtinger in den Kammerspielen; 1985 bis 1990 Adaptierung für die Bawag; problematischer Ausbau der Dachzone zu luxuriösen Penthäusern für Direktor Flöttl und Gewerkschaftspräsident Verzetnitsch; 2006 Bawag-Affäre und -Pleite, Verkauf an einen US-Fonds; 2011 bis 2014 neuerlich Adaptierungen; im Eckgeschäft ist die originale, offene Betonstruktur deutlich präsent; auch die Kammerspiele zeigen im Saal nach wie vor die alte Raumfigur.

Verlags- und Druckereigebäude Steyrermühl, Fleischmarkt 3. Auf einer Grundfläche von 20 mal 20 Metern erzielt die Tragstruktur aus armiertem Beton für alle neun Etagen weitgehend stützenfreie Räume – mit Höhen von vier bis sechs Metern. Hohe Glas-Metallraster zwischen den Fassadenpfeilern bringen sowohl von der Straßen- als auch von der Hoffront Tageslicht in die tiefen Grundrisse. Es ist der Sitz des größten privaten Medienkonzerns der Zeit in Wien. Die Steyrermühl Papier- und Verlagsgesellschaft war 1872 von August von Barber und Moritz Szeps gegründet worden. Szeps wirkte als einer der führenden Publizisten der Stadt. Der Salon seiner Tochter Bertha Zuckerkandl war ein geistiges Zentrum der Ära. Die Steyrermühl-Gesellschaft produzierte das „Neue Wiener Tagblatt“, das „Neue Wiener Abendblatt“, später auch die „Volks-Zeitung“ und edierte 1923 bis 1938 die „Tagblatt“-Bibliothek, eine Buchreihe mit 1200 Titeln in der Art der Reclam-Reihe.

Der Neubau, 1912 bis 1914 von Arthur Baron geplant, erweiterte bestehende Betriebsgebäude an der Griechengasse und im Nachbarhaus. Äußerlich fallen die hohen, mit Erkern vorgewölbten Verglasungen zwischen steinverkleideten Pfeilern auf – eine in Wien einzigartige Fassade. Man denkt eher an Chicago, Glasgow oder London.

Das Erdgeschoß ist sechs Meter hoch, erster und zweiter Stock haben fünf Meter Raumhöhe. Das Parterre diente dem Parteienverkehr und dem Rangieren des Expedits. Die zwei Etagen darüber waren Großraumbüros, Setzereien und Redaktionen, mit zentraler Regal- und Flurzone unter Betonbindern, welche die Säle quer überspannen; dritter und vierter Stock, vier Meter Raumhöhe, hatten abgeteilte Einzelbüros, Besprechungsräume, außen kenntlich am Fensterrhythmus; im Dachraum, von Beton-Glas-Schale überwölbt, die Grafikateliers.

Bei Steyrermühl arbeiteten 500 qualifizierte Angestellte, gingen unzählige Autoren ein und aus. Sechs Rotationsdruckmaschinen produzierten täglich 500.000 Zeitungsexemplare. 43 Motordreiradler verteilten sie vom Fleischmarkt zu 2300 Verschleißstellen. Ein 1931 publiziertes Schaubild illustriert die Dichte und Komplexität dieser „Publizistik-Zitadelle“. Im September 1938 „Arisierung“, Umwandlung der Steyrermühl in die Ostmärkische Zeitungsverlagsgesellschaft; 1941 bis 1943 Umbauten und Verbindung zu den Räumen der „Ostmärkischen“ im benachbarten Residenzpalast. Nach Kriegsende und Befreiung wird bestimmt, das Verlagshaus der sowjetischen Besatzungsmacht zuzuteilen; beide Häuser werden dem Globus-Verlag übergeben, dem Verlag der Kommunistischen Partei Österreichs. 1955/56, nach dem Staatsvertrag, Verlegung des Globus-Verlags in die Neubauten am Höchstädtplatz im 20. Bezirk, Restituierung des Steyrermühl-Besitzes. Ab 1956 Nutzung in beiden Häusern durch „Die Presse“ und den Molden Verlag, die 1963 ins neue Pressehaus in der Muthgasse übersiedeln. In den 1960er-Jahren ist auch das Steyrermühl-Haus im Besitz der Bawag; Einbau einer Konsumfiliale im Parterre; derzeit eine Spar-Filiale . . .

Was hier an zwei Beispielen erzählt ist, könnte für ein Dutzend Neubauten dieser Jahre fortgesetzt werden, in denen acht weitere Kinos und zwei Varietés entstanden – darunter noch zwei Projekte von Arthur Baron sowie qualitätvolle, bis heute existierende Häuser der Architekten Eugen Felgel von Farnholz, Hans Prutscher, Ignaz Nathan Reiser, Karl & Wilhelm Schön, Emmerich Moses Spielmann & Alfred Teller. Bei all diesen ist das Kriterium für Modernität keine Form- oder Stilfrage. Signifikant ist die in zeitlicher und räumlicher Dichte einmalige Nutzung neuer Bautechnologie zur Schaffung neuer Haustypologien, die auf neue Kulturtechniken reagieren. Es ist ein rasantes Ineinanderwirken von Unternehmern, Bauherrschaften, Baufirmen und Planern „am Puls der Zeit“. Sämtliche Komponenten vom Tragwerk bis zu den Details stehen auf derselben, nachhaltigen Stufe der Qualität.

So gelingt es, in der Konjunkturphase vor dem verheerenden Krieg, der Stadt „bottom up“ eine Schicht ihrer Identität hinzuzufügen und für das urbane Leben prägende, selbstverständliche Räume zu schaffen. Bleibt anzumerken, dass hier mehrheitlich Netzwerke der Unternehmer und Planer aus der jüdischen Bevölkerung der Stadt am Werk waren – für die diese Hausse 1914/18 zunächst kriegs- und konjunkturbedingt zu Ende ging, für die sich dann aber 1938 jegliches Terrain brutal und definitiv verschloss.
Ausstellung

Das Wien Museum zeigt ab 15. März die Großausstellung „Otto Wagner“, in der das Gesamtwerk des Wiener „Weltstadtarchitekten“ in den Blick genommen wird: ein zentrales Stück Wiener Architekturgeschichte von der Ringstraßen-Ära über das Fin de Siècle bis zum Ersten Weltkrieg. Zahlreiche Objekte werden erstmals in Wien zu sehen sein. Kuratiert wurde die Schau von Andreas Nierhaus und Eva-Maria Orosz.

Der Beitrag Otto Kapfingers ist die vom Autor für das „Spectrum“ eingerichtete Version eines Textes, der unter dem Titel „Eisenbeton macht Großstadthäuser“ im Katalogbuch zur Ausstellung erscheint.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at