Veranstaltung

Groneggers Werkstatt
Ausstellung
7. Dezember 2000 bis 22. Januar 2001
Museumsquartier, Museumsplatz 1, A -1070 Wien

Veranstalter:in: Architekturzentrum Wien

Dekor galore!

Der Wissenschaftler und Künstler Thomas Gronegger bemüht sich um die Rehabilitation des Baudekors.

17. Januar 2001 - Jan Tabor
Die Beziehung der modernen Wiener zum Ornament ist zwiespältig, geheimnisvoll erregt, unergründbar - und vermutlich dennoch überaus innig. Die Wiener Seele ist ein Ornament.

Eines der größten ästhetischen und psychologischen Mysterien der europäischen Kulturgeschichte im 20. Jahrhundert ist jenes reinigende Gewitter, das nach der Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 über die Wiener Hausfassaden niederging. Mit einer geradezu revolutionären Wut wurde von zahlreichen Gründerzeit- bzw. Jugendstilhäusern der einst mit verschwenderischer Lust angebrachte Fassadenschmuck bis zum letzten Dekorrest heruntergeschlagen. Die Häuser wurden dann glatt und schlecht neu verputzt. Es sei ökonomisch unerlässlich gewesen, die kriegsbeschädigten Fassaden auf diese Weise zu renovieren, lautet die gängige Erklärung für diesen in ganz Europa und selbst im übrigen Österreich einzigartigen Feldzug gegen das Dekor am Bau. Das wirtschaftliche Argument trifft aber allenfalls in einzelnen Fällen zu, wurde die radikale Befreiung der Fassaden doch straßenweise auch dort vorgenommen, wo gar keine oder nur geringe Kriegsschäden vorhanden waren.

Die andere, semirationale Erklärung für die Wiener Antidekornachkriegswut besagt, dass die Beseitigung des Baudekors eine Maßnahme der längst fälligen Gesamtmodernisierung der Stadt war. Modernisierung im Sinn von Adolf Loos, der das Ornament in die Nähe des Verbrechens stellte („Ornament und Verbrechen“, 1908), für vergeudete Arbeit hielt und als des modernen Menschen unwürdig einstufte. Seither gilt Loos als einer der Hauptverantwortlichen für die Dekorlosigkeit der Moderne.

Die modernisierten Wiener hörten freilich keineswegs auf, das Dekor weiterhin, zeitweise geheim, zu lieben. Ihre abgöttische Liebe zu Friedensreich Hundertwasser, dem selbst ernannten „Architekturdoktor“ und Befreier von der modernen Ornamentlosigkeit („Los von Loos“, 1968) bezeugt es.

Den Wiener Künstler Thomas Gronegger, der mit dem für einen Bildhauer ungewöhnlichen Titel Doktoringenieur (Dr.-Ing.) dekoriert ist, verbindet mit Hundertwasser die Auffassung, dass das Baudekor rehabilitiert werden müsse. Man kann diese Einstellung auch als obsessive Liebe bezeichnen, die allerdings derart ist, dass dies die Verwendung des Pleonasmus obsessive Leidenschaft rechtfertigen würde. Diese Leidenschaftlichkeit ist aber auch schon alles, was die beiden Dekordoktoren verbindet.

Thomas Gronegger, 1965 in München geboren, an der Wiener Angewandten ausgebildet und an der Hamburger Hochschule für bildende Künste promoviert, ist Wissenschaftskünstler und Kunstwissenschaftler in einem. Seine künstlerische Vorgangsweise kann der Sparte „Spurensicherung“ zugeordnet, seine wissenschaftliche Arbeitsweise als komparative Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Formforschung bezeichnet werden. 1994/1995 hielt sich Gronegger in Florenz auf, wo er sieben Monate lang täglich zwei Stunden vor deren Öffnung in der Biblioteca Laurenziana verbrachte, um das Geheimnis einer der bedeutendsten Stiegen der Architekturgeschichte zu lüften. Ein 1:1-Nachbau der Stiege des Michelangelo, die man als den Beginn der barocken Architektur bezeichnen kann, schwebt schräg am Ende der Ausstellung. Die dreiläufige Stiege, die im Original der Inbegriff einer noch nie gewesenen raffinierten Plastizität und eines fulminanten Spiels zwischen Form und Funktionalität ist, wird von Gronegger - absichtlich und im wahrsten Sinne des Wortes - verflacht.

Vor diesem Sperrholzmodell stehen Vitrinen mit langen Reihen von Schwarz-Weiß-Fotos, auf denen Details von einigen antiken und barocken Bauwerken festgehalten werden: das „Roma Decorum“ des Thomas Gronegger, das als gleichnamiges opulentes Kassettenwerk kürzlich erschienen ist. Vor dem endlosen Zeugnis dieses beeindruckenden Forschungsdrangs stehen einige eigene bildhauerische Werke von Gronegger wie etwa die durch Verflachung und Streckung verformten Gesimse und Säulenbasisformen aus Gips oder kleine schwarze Modelle von Skulpturen und Menschen in Außenräumen - zu wenige und zu unbestimmte Exponate, um feststellen zu können, wie weit sich die ungeheure analytische Anstrengung an all dem alten berühmten Dekor für die eigene künstlerische Arbeit gelohnt hat. Gelohnt im Sinn von Loos.

Die Ausstellung „Groneggers Werkstatt“ ist noch bis 22. 1. im Architektur Zentrum Wien (1., Museumsplatz 1) zu sehen. Der vom Architektur Zentrum Wien herausgegebene Band „Roma Decorum“ (828 S., 194 Skizzen, 250 S/W- und 200 Farbabbildungen; öS 1250,-) ist im Salzburger Anton Pustet Verlag erschienen.

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