Veranstaltung

Oswald Haerdtl
Ausstellung
5. Juni 2000 bis 15. September 2000
Ausstellungszentrum im Ringturm
Schottenring 30
1010 Wien


Veranstalter:in: Vienna Insurance Group

Eine Torte im Staatsstil

Architektur. Oswald Haerdtl versorgte das Wien der Nachkriegszeit mit eleganten, modernen Cafes und mit Reminiszenzen an Austrofaschismus und Nationalsozialismus.

30. August 2000 - Jan Tabor
So ist das Leben bedeutender Wiener Architekten nach dem Tode: Während die Hagiographen bereits emsig an einer ausstellungsmäßigen Untermauerung der architekturgeschichtlichen Bedeutung arbeiten, werden zugleich die Werke dieser Architekten gnadenlos demoliert.

So ist es kürzlich Oswald Haerdtl (1889 bis 1959) ergangen, dem langjährigen Mitarbeiter Josef Hoffmanns, Professor an der Wiener Kunstgewerbeschule und Staatsausstatter des Austrofaschismus und dessen Adaption für die Nachkriegszeit. Im Winter 1999/2000, während Adolph Stiller, Leiter der Veranstaltungsreihe der Wiener Städtischen „Architektur im Ringturm“, das umfangreiche Haerdtl-Nachlassarchiv intensiv bearbeitet und die Haerdtl-Ausstellung vorbereitet hat, wurde das Arabia Espresso am Kohlmarkt ausgeräumt, um einer Wiener Chanel-Filiale Platz zu machen. Hickhackzack ... und weg war das kleine strahlende Weltstadtwunder des trüben Nachkriegswiens.

Jammerschade um dieses 1951 fertig gestellte, bis zu seiner jetzigen Demolierung hervorragend erhalten gebliebene und stets mit prallem Großstadtleben und weltlicher Genusslust (Mehlspeisen) gefüllte Cafe. Es war ein höchst angenehmes Kaffeehaus und darüber hinaus ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument. Haerdtl brachte damals aus Mailand, der Metropole des neuen europäischen Designs und Lebensgefühls, die junge Kultur des italienischen Espressos nach Wien und damit auch den Hauch der weiten, offenen und optimistischen Welt in die Trostlosigkeit der Postnazizeit - und das Fernweh, das Grundgefühl der Fünfzigerjahre.

Mehr Glück hat der viel beschäftigte Wiener Cafe-Architekt Haerdtl mit dem Prückel, das er 1955 umgestaltete, wobei er das vorher existente Jugenstilcafe zerstörte. Als 1989 eine gründliche Renovierung fällig war, beauftragte man mit Johannes Spalt einen Feindenker unter den Wiener Architekten, der die Renovierung ungemein einfühlsam und ganz im Sinne Haerdtls durchführte.

Das Hauptwerk Haerdtls ist das Historische Museum der Stadt Wien auf dem Karlsplatz. Hauptwerk im Sinne von: sein größter Bau, keineswegs sein bester. Im Ausstellungskatalog bezeichnet Adolph Stiller das Museum als „weitgehend unterschätzten Bau“, ohne dass es ihm gelungen wäre, der Unterschätzung eine überzeugende Qualitätsneueinschätzung entgegensetzen zu können. Weder städtebaulich noch formal und schon überhaupt nicht funktionell oder konstruktiv ist der erste Prachtneubau in Wien der Aufbauzeit gut oder auch nur in den Details interessant gelöst. 1954 erhielt Haerdtl den Bauauftrag, obwohl er im Wettbewerb für den Museumsneubau bloß mit einem Ankauf bedacht wurde und obwohl unter den Einreichungen einige viel bessere und den zeitgenössischen Vorstellungen entsprechendere Entwürfe wie jene von Lois Welzenbacher, Ernst Hiesmayr, Karl Mang, Karl Schwanzer oder der Gruppe 4 (Holzbauer, Kurrent, Spalt) waren.

Haerdtls Bau ist ein Amalgam aus Formen und Auffassungen, die während des Berufslebens Haerdtls eine doktrinäre Bedeutung hatten: das an der Kunstgewerbeschule gepflegte Neobiedermeier der Zwanzigerjahre, der alpenländische Vorsichtsmodernismus der austrofaschistischen Ära, der NS-Neoklassizismus und - als Resultat - jene pseudomodernen Pathos- und Luxusmimikry, die man gemeinhin „Gewerkschaftsbarock“ zu nennen pflegt, obwohl der Stil weder echte Barockmerkmale aufweist noch von den Gewerkschaften erfunden oder bevorzugt worden wäre.

Einmal Tischler, immer Tischler. Bevor Oswald Haerdtl 1916 an der Kunstgewerbeschule zu studieren begann, hatte er eine Tischlerlehre absolviert. Als Innenausstatter, Möbel- und Glasdesigner war er ein perfekter Professionalist. Und die Architekturprobleme ging er an, als würde es sich um Möbelbau handeln. Seine Bauten sehen - am Historischen Museum wird es besonders deutlich - wie zu Gebäuden vergrößerte Schränke, Glasvitrinen oder Kredenzen aus. Das Material, die Oberfläche, die edle Oberflächenbearbeitung waren ihm wichtiger als der architektonische Raum oder die äußere Form.

Das Historische Museum ist ein Riesenschmuckkästchen für kostbare Überbleibsel der patriotischen Geschichte. Es war außerdem ein Staatsgeschenk zum 80. Geburtstag von Theodor Körner, dem damaligen Bundespräsidenten. Das Museum ist eine Geburtstagstorte im österreichischen Staatsstil, zu dessen Erfindern Haerdtl zählt. Er war der Innenarchitekt des Bundeskanzleramtes, wo er 1948 unter anderen die Repräsentationsräume und das Arbeitszimmer für den (schwarzen) Bundeskanzler gestaltete.Später fühlten sich dort auch die roten Bundeskanzler sichtlich wohl: Kristallluster von Lobmeyr (Haerdtl liebte Kristallluster), Edelholzwandtäfelungen, große Spiegel und jede Menge Staatswappen und andere Embleme, angebracht sogar in ionischen Kapitellen. Es ist jener Staatskitsch der Aufbauzeit, der den Gewerkschaften unterschoben wurde, obwohl er ganz eindeutig aus der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Zeit stammte. Hoffentlich kommt Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, ein Freund des modernen, aber schlechten Designs, nicht auf die Idee, einem seiner Designerfreunde zu einem Umgestaltungsauftrag zu verhelfen. Es wäre jammerschade um dieses wichtige kulturpolitische Denkmal.

Die Haerdtl-Ausstellung hat einige Vorzüge und einige Mängel. Zu den Vorzügen gehört die Fülle des Materials und die einfallsreiche Gestaltung. Dass die Retrospektive in die Ringturmgalerie hineingestopft wurde, anstatt sie im wesentlich geeigneteren Architektur Zentrum zu zeigen, ist der Grundmangel, der einen anderen Mangel bedingt - wegen Platznot werden nur wenige Originalfotos gezeigt. Dafür aber schöne Zeichnungen. Wie etwa die Entwürfe für den österreichischen Pavillon zur Pariser Weltausstellung von 1937.

Auf einer dieser kolorierten Entwurfszeichnungen habe ich auf einem Mast 23 österreichische Fahnen gezählt. Sonst aber war Haerdtls Österreich-Pavillon 1937 in Paris einer der wenigen, die man als wirklich modern bezeichnen konnte: eine riesige Glasvitrine, die ein Panoramafoto der soeben fertig gestellten Großglocknerstraße enthält. Der Staat Österreich wurde damals neu und bis heute gültig definiert: Österreich ist die österreichische Landschaft. Sonst rundherum furchtbarer Staatskitsch, damals in Paris 1937. Krieg der Architekturen als Vorkrieg. Darunter Österreich, drinnen wunderschön, draußen fragil.

Der austrofaschistische bzw. aufbauaustriakische Staatskitsch kam bei Haerdtl erst später an, erst nach der ethischen und ästhetischen Katastrophe der NS-Zeit. Das neue Arbeitszimmer des Bundeskanzlers in Wien von 1948 sieht dem Arbeitszimmer des Führers in Berlin von 1943 zum Verwechseln ähnlich. Ich würde meinen, Oswald Haerdtls Kitsch ist viel dichter als jener von Albert Speer. Haerdtl hatte entschieden weniger Platz am Ballhausplatz, er musste die staatsmännische Bedeutsamkeit stärker zusammenballen.

[ Die Ausstellung „Oswald Haerdtl, Architekt und Designer“ ist noch bis 15. September im Ringturm zu sehen. ]

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