Veranstaltung

Architektur in Bukarest 1920-1945
Ausstellung
Architektur in Bukarest 1920-1945 © Pierre Levy
15. September 2004 bis 12. November 2004
Ausstellungszentrum im Ringturm
Wiener Städtische Allgemeine Versicherung AG
A-1010 Wien, Schottenring 30


Veranstalter:in: Vienna Insurance Group
Eröffnung: Dienstag, 14. September 2004, 18:30 Uhr

Hastige Moderne

BAUKASTEN Anmerkungen zur Architektur. Diesmal: Besuchen Sie Bukarest, solange es noch nicht renoviert ist. Rumänische Architektur mal zwei.

6. Oktober 2004 - Jan Tabor
Grob geschätzt befindet sich Wien auf halbem Weg zwischen Paris und Bukarest. Die Gründerzeit von Bukarest ereignete sich etwa ein halbes Jahrhundert später als jene von Wien, diese wiederum ein Vierteljahrhundert später als jene von Paris. Das in der Zwischenkriegszeit weit verbreitete Klischee, wonach Bukarest das Paris des Ostens sei, wird weiterhin gerne bemüht, entbehrt aber jeglicher Grundlage. Paris ist weit entfernt. In jeder Hinsicht.

Die rumänische Hauptstadt war eine von vielen osteuropäischen Städten, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine rasante Umwandlung von einem Kaff in eine Großstadt erfuhr, die man als pulsierend und modern, mitunter sogar als „westlich“ zu bezeichnen pflegte. Bukarest war und ist faszinierend als Bukarest.

In der Zeit zwischen 1918 und 1939 stieg die Einwohnerzahl von 380.000 auf 870.000. Bemerkenswert ist, dass diese Zahlen mit jenen für Wien zwischen etwa 1848 und 1870 weitgehend übereinstimmen. Offensichtlich folgt urbanes Bevölkerungswachstum gleichen Gesetzen. Diese enormen Einwohnerzuwächse verursachten einen enormen Bedarf an Bauten aller Art und Größe. Wer durch Bukarest fährt, staunt, wie westlich diese Stadt ist: Ganze Straßenzüge entlang sieht man Bauten der klassischen Moderne, von denen die offizielle, das heißt westliche Architekturgeschichte bisher kaum Notiz genommen hat. Im „Hatje-Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts“, einem Standardwerk, kommt Rumänien nicht vor. Auch kein einziger rumänischer Architekt.

Es gibt zumindest ein Haus dort, das es unbedingt verdient hätte, in die Lexika der Weltarchitektur aufgenommen zu werden: die Villa Juster, errichtet 1931 von Marcel Iancu (1885-1984), der an der ETH in Zürich studierte und dort Mitbegründer der Dada-Urzelle Cabaret Voltaire war. Die plastische Hauptfassade des Hauses Juster ist eines der besten Beispiele für den Einfluss des De Stijl außerhalb von Holland. In der Ausstellung „Architektur in Bukarest 1920-1945“ im Wiener Ringturm ist die einzigartige Qualität dieses Hauses schon deshalb nicht zu übersehen, weil es auf einem großformatigen Foto in den Vordergrund gestellt wird. In ihrer emotionslosen Sachlichkeit gibt die Aufnahme von Pierre Levy nicht nur die eindrucksvolle Komposition der Hauptfassade, sondern auch den jämmerlichen Zustand des Hauses wieder.

Der Luxemburger Levy war unlängst der Architektur wegen in Bukarest unterwegs. Rund fünfzig seiner schwarz-weißen Außenaufnahmen wurden von den Mitarbeitern des Münchner Architekturhistorikers Winfried Nerdinger ausgewählt und mit Erklärungstexten und Grundrissen ergänzt. Diese als repräsentativ geltenden Bauwerke werden durch den Fotografen - der als „Fotodesigner“ bezeichnet wird - nicht verklärt. Er mag, das sieht man, die modernen Häuser sehr, aber er hält Abstand. Sie werden in jenem Zustand präsentiert, in den sie der Lauf der Jahre und die gesellschaftlichen Umstände gebracht haben: Die Fassaden sind von der Zeit gezeichnet und oststaatenlädiert, also romantisch verlottert. Meist aber nicht arg beschädigt, denn man baute damals zwar rasant schnell, aber solid. Die Bauten befinden sich also in einem zweifachen Originalzustand, dem ursprünglichen und dem von der Zeit zugefügten. Fabelhaft.

Die Bukarester Moderne wird im Pressetext als „sanft“ apostrophiert. Eher war es eine hastige, pragmatisch harte Moderne. Ihre Proponenten bezogen ihre Vorbilder von dort, wo gerade welche zu haben waren, aus Köln, Rom, Prag, Amsterdam, Wien und auch aus Paris. Adaptiert wurden diese schnell, ohne lange über die vielen Dogmen der strengen Moderne, die man heutzutage die klassische nennt, nachzudenken.

Die Behauptung, die rumänische moderne Architektur sei hauptsächlich von der französischen geprägt, ist falsch. Von der mondänen Eleganz und Leichtigkeit der Viel-Glas-und-wenig-Baumasse-Architektur ist nicht viel zu merken. Ohne auf Wiener Vorbilder zu pochen: Ähnlichkeiten zwischen der Architektur der Zwischenkriegszeit in Bukarest und in Wien - vor allem bei den kommunalen Wohnhausanlagen - drängen sich bald auf. Vor allem die monumental schweren, mitunter aggressiv wirkenden Balkone und Loggien als schmückende Kennformen der Zeit - obwohl es in Bukarest keinen sozialen Wohnbau gab. Rasant pragmatische Moderne wie in Wien: harte, modellierte Baumasse als Ornament.

Man sollte sich von dieser unauffälligen Ausstellung dazu anregen lassen, nach Bukarest zu reisen. Und zwar bald, solange man noch nicht begonnen hat, diese vergessene Moderne zu demolieren oder (was oft schlimmer ist) zu restaurieren. Bevor Superomania vollendet wird.

„Superomania. Selling Architecture“: Trotz des Titels ist der rumänische Beitrag auf der 9. Architekturbiennale in Venedig besonders unauffällig und uneitel. Auch besonders hinterhältig (selbst-)kritisch. In Form von Leuchtkästen mit perfekten Farbfotos denken die Rumänen darüber nach, was der so genannte Westen dem so genannten Osten nach der ein halbes Jahrhundert andauernden Trennung nun an Architekturen andrehen will. Kein „Paris des Ostens“ mehr, sondern das überall gleiche und gleich aggressive Weltfirmen-Baudesign, das das Stadtbild aller neokapitalistischen Länder beherrscht.

Details von rund zwanzig Neubauten, die in den letzten Jahren von Firmen wie IBM, Nokia, Shiseido oder Rolex in Rumänien errichtet wurden. Keine Angaben ergänzen die Superbauwerke. Kein Architektenname, kein Baujahr, keine Adresse. Anonyme Moderne von heute, entsetzlich. Und der immer gleiche Bildtext mit jeweils anderen Markennamen. „If Swarovski would have designed buildings“ zu Beispiel.

[ „Architektur in Bukarest 1920-1945“: bis 12.11. im Ringturm (1., Schottenring 30). 9. Architekturbiennale: bis 7.11. in Venedig. ]

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