Veranstaltung

9. Architektur-Biennale Venedig 2004
Ausstellung
12. September 2004 bis 7. November 2004
Giardini della Biennale, Arsenale
I-30122 Venedig


Veranstalter:in: Biennale di Venezia

Baukünstlerische Metamorphosen

Eröffnung der neunten Architekturbiennale in Venedig

Mit der neunten Architekturbiennale öffnet heute in Venedig die weltgrösste Architekturausstellung ihre Pforten. Unter dem suggestiven Titel «Metamorph» präsentiert der diesjährige Ausstellungsdirektor, der Schweizer Kurt W. Forster, eine Blütenlese neuer Bauten und Projekte. Gleichzeitig zeigen die Länderpavillons eigene Beiträge.

11. September 2004 - Roman Hollenstein
Als Venedig 1980 mit der von Paolo Portoghesi unter dem Titel «Strada Novissima» veranstalteten Ausstellung die erste Architekturbiennale durchführte, glaubte wohl kaum jemand, dass dieses im Schatten der Kunstbiennale spriessende Pflänzchen wirklich gedeihen könnte. Die folgenden drei Veranstaltungen waren denn auch nicht mehr als Provinzereignisse; und obwohl die Architekturbiennale 1991 anlässlich ihrer fünften Ausgabe einen kräftigen Anstoss erhielt, sollte es noch neun Jahre dauern, bis die mittlerweile zum architektonischen Grossanlass gewordene Veranstaltung in der siebten Ausgabe (2000) ihren Zweijahresrhythmus fand. Gleichzeitig gewann die Architekturbiennale ein gewisses intellektuelles Profil. Waren die 1996 vom damaligen Ausstellungsdirektor, dem Wiener Hans Hollein, unter dem Titel «Sensori del Futuro» in Aussicht gestellten Zukunftsentwürfe nur ein Vorwand, möglichst eigenwillige und für ein breites Publikum attraktive Bauten und Projekte vorzustellen, so suchte sein Nachfolger, der Römer Massimiliano Fuksas, im Jahre 2000 mit «Less Aesthetics, More Ethics» den architektonischen Diskurs - wenn auch wenig überzeugend - vom Formalen hin zum Philosophischen zu lenken, während sich vor zwei Jahren der Londoner Deyan Sudjic damit begnügte, künftige architektonische Realitäten zur Diskussion zu stellen.

Schwanengesang auf den Blob

Nun wäre die Zeit zweifellos reif gewesen, um mit der neunten Architekturbiennale, die heute in den Corderie und in den Giardini feierlich eröffnet wird, dem baukünstlerischen Diskurs neue Impulse zu vermitteln. Der diesjährige Ausstellungsdirektor, der von seiner Tätigkeit in Los Angeles, Montreal und Zürich her bestens ausgewiesene Schweizer Kunsthistoriker Kurt W. Forster, schien dafür ebenso ein Garant zu sein wie das von ihm gewählte Thema «Metamorph». Mit diesem auf das sich stark wandelnde Erscheinungsbild der Architektur verweisenden Begriff, der gleichermassen biologisch-physiologische, geologische und mythologische Assoziationen weckt, versprach die Architekturbiennale eine derzeit höchst aktuelle Entwicklung kritisch zu befragen, die - ohne Rücksicht auf Vitruvs «Utilitas» - Nutzbauten bald in neo-kubistische, bald neo- organische Hüllen verpackt oder sie in blubbernde Blob-Formen oder gar in Aliens verwandelt.

Doch leider erweist sich der Ausstellungstitel auch diesmal als zu hoch gegriffen. Statt wie angekündigt «die fundamentalen, in der zeitgenössischen Architektur auf den Gebieten der Theorie, der Entwurfspraxis und der neuen Konstruktionstechniken stattfindenden Veränderungen» darzustellen, begnügt sich Forster mit einer reichlich diffusen Präsentation von Werken einer für Venedig rekordhohen Zahl von rund 140 Architekturbüros, von denen gut ein Drittel aus dem angelsächsischen, aber - mit Ausnahme einiger in den USA oder in London tätiger «Exoten» - keines aus Südasien, China, Afrika oder Südamerika stammt. Dazu lässt er in den Corderie eine betörende «Symphonie» anklingen, die mit «Transformationen» einsetzt und über die heute viel diskutierten Aspekte «Topographie» und «Oberfläche» zum leider etwas flachen Finale der «Hyperprojekte» führt. Die fast unendlich lange Halle der Corderie wurde vom trendigen New Yorker Büro Asymptote, das heute im Peggy-Guggenheim-Museum mit dem Friedrich-Kiesler-Preis geehrt wird, eingerichtet: Wie venezianische Gondeln scheinen die fischförmigen Präsentationstische zwischen den schweren Säulen zu tanzen. Sie tragen eine Vielzahl von Modellen, zu denen an den Wänden auf nüchternen Bildtafeln knappe Informationen gegeben werden.

Auffällig ist, dass Forster architektonische Metamorphosen vor allem mit amorphen Bauformen in Verbindung bringt. So wird denn die Schau über weite Strecken zu einer Hymne auf Raumhüllen, die sich frei von tektonischen Gesetzen entfalten. Doch all diese Schnecken, Knoten und Zerknitterungen ermüden das Auge bald. Damit wird - ungewollt - klar, dass organische Architektur sich in der Masse gegenseitig totschlägt und so keine Städte bilden kann. Gleichzeitig erweist sich die Schau als Schwanengesang auf die angesagten Blob-Formen, die kaum je expressive Raumerweiterungen bieten.

Dies wird leider im italienischen Pavillon in den Giardini, dem zweiten Austragungsort von Forsters theoretisch-rhetorischer Vorstellung, nicht besser. Hier hat Forster - wohl um seine alten Freunde Frank Gehry mit der Disney Concert Hall in Los Angeles, Peter Eisenman mit dem Kulturzentrum von Santiago de Compostela und Rafael Moneo mit dem «Kursaal» von San Sebastián ins rechte Licht zu rücken - inhaltlich nicht ganz konsequent den Fokus auf Konzerthallen gelegt. Dabei ging es erneut mehr um die Form als um den Raum, variieren doch die meisten Säle nur Scharouns Berliner Weinberg-Prinzip. Auch wenn die exzentrischen Hüllen im Zentrum stehen, hätten Jean Nouvels Luzerner Musiktempel, Santiago Calatravas Auditorium in Santa Cruz, vor allem aber Rem Koolhaas' nahezu vollendetes Musikhaus in Porto dabei sein müssen. Ohnehin sucht man Koolhaas und (von einigen kleinen Fotos abgesehen) auch Herzog & de Meuron, die das Architekturgeschehen der letzten Jahre weitgehend dominierten, vergeblich, während man allenthalben auf verwässerte Aufgüsse ihrer Erfindungen trifft.

Stattdessen versucht Forster die jüngste Architekturgeschichte neu zu schreiben, indem er den intellektuell brillanten, architektonisch aber nicht immer überzeugenden Eisenman, der den diesjährigen Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhält, zum Vater aller Blobs macht und dazu - im einzigen historischen Exkurs der Schau - Unrealisiertes wie den Frankfurter Rebstockpark oder das Berliner Max-Reinhardt-Hochhaus bemüht.

Gewiss, nichts ist einfacher, als in einer Übersichtsausstellung Auswahl und Gewichtung zu beanstanden. Und dennoch drängen sich Fragen auf. Etwa die nach der sozialen oder ästhetischen Relevanz der meisten Arbeiten, nach dem Sinn der hier gepriesenen Hyperprojekte oder nach dem heutigen Stand der Architektur, die zwischen pseudokünstlerischen Attitüden, Kommerzialisierung und dem Niedergang des Handwerks zu stranden droht. Da hätte statt der Flucht in eine Flut von Exponaten die Konzentration auf Schlüsselwerke ebenso nützlich sein können wie eine vertiefte Auseinandersetzung mit der niederländischen Kreativität, dem spanischen Sinn für Grösse und Eleganz oder der Schweizer Einfachheit, Detailsorgfalt und Ökologie. Aber die unaufgeregten Schweizer sind in dem in Venedig entfachten baukünstlerischen Wirbel offensichtlich fehl am Platz. Forster hat deshalb nur gerade Gigon & Guyer, Bernard Tschumi sowie das Büro AGPS Architecture eingeladen. Dessen kubisches Doppelhaus in Zürich wirkt denn auch in den Corderie geradezu erfrischend «fremdartig».
Phantasiearme Länderpavillons

Hier hätte der Schweizer Pavillon in die Bresche springen und zeigen können, dass es zwischen Basel, Genf und Lugano noch andere interessante Architekten gibt. Doch das Bundesamt für Kultur setzte auf den Baukünstler Christian Waldvogel. Das von ihm vorgestellte utopische Projekt einer Umstülpung und Vergrösserung der Erde, das gleichermassen naiv-verspielt und unheimlich anmutet, bildet zweifellos den eigenwilligsten Beitrag zum Thema «Metamorph». Auch andere Länder haben Forsters Motto aufgenommen: So träumt Frankreich von nachhaltigen Metamorphosen der nördlichen Stadtlandschaft von Paris, während Israel unter der Überschrift «Metamorphosisrael» Neuland für Tel Aviv im Meer sucht, Lettland «geschichtlich-kulturellen Metamorphosen» nachspürt, Slowenien «Metamorphosen der Erinnerung» vorschlägt, die Niederlande ihre Verwandlung in einen hybriden Städtecluster dokumentieren, aber auch amerikanische, brasilianische und skandinavische Metamorphosen Aufmerksamkeit erheischen. Die erstaunlichste Länderschau aber nennt sich «Deutschlandschaft» und zeigt ein riesiges collagiertes Vorstadtpanorama von geradezu erschlagender Präsenz, in welches ganz subversiv neue, in unserem Nachbarland viel diskutierte Bauten integriert sind. Damit findet im deutschen Pavillon - als einzigem Ort der ganzen Biennale - auf rein visueller Ebene eine überzeugende Kritik an der Gesichtslosigkeit der wuchernden Agglomerationen und am künstlerisch-individuellen Bauen statt, die sich spielend gegen den Lärm der sonstigen Veranstaltung zu behaupten vermag.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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