Veranstaltung

Barfuß auf weiß glühenden Mauern
Ausstellung
Barfuß auf weiß glühenden Mauern © Foto: Eisenman Architects/MAK
15. Dezember 2004 bis 22. Mai 2005
MAK
Weiskirchnerstraße 3
1010 Wien


Veranstalter:in: MAK
Eröffnung: Dienstag, 14. Dezember 2004, 21:00 Uhr

Der letzte Silberprinz

In einer bemerkenswerten Ausstellung im Mak erinnert sich Peter Eisenman an seine Werke und Ideen, mit denen er den Funktionalismus der frühen Moderne auf die Spitze treiben und damit überwinden wollte.

22. Dezember 2004 - Jan Tabor
Zu Peter Eisenman fällt einem vor allem Peter Eisenman ein. So wie einem zu Le Corbusier zuerst Le Corbusier einfällt und erst danach die Villa Savoye oder die Regierungsstadt Chandigarh. Peter Eisenman ist ein prachtvoller Kerl. Fotogen selbstbewusst bis zum Sendungsbewusstsein. Das weiß auch Mak-Direktor Peter Noever (der ebenfalls einen Prachtkerl abgibt). Daher hat er auf die Plakate und Einladungen der Eisenman-Ausstellung im Mak den eindrucksvollen Dreiviertelkopf von Eisenman mit Noevers Mak im Hintergrund anbringen lassen und nicht etwa das fast ein Jahrzehnt lang heftig diskutierte und nun doch so gut wie fertige „Mahnmal für ermordete Juden Europas“ in Berlin. Das Denkmal ist offensichtlich in Begriff, zu jenem signifikanten Bauwerk zu werden, das einem bald zum Namen Eisenman einfallen wird; so wie man das Haus am Michaeler Platz mit Adolf Loos, das Haus Schröder mit Gerrit Rietveld oder die Casa dei fascio mit Guiseppe Terragni assoziiert - um eben jene Proponenten der klassischen Moderne zu erwähnen, auf die sich Eisenman neben Le Corbusier am stärksten beruft.

Peter Eisenman sieht aus wie ein Architekt, der eine Vision hat und eine Mission erfüllen muss. Er pflegt eine große Brille mit runder dünner Nickelfassung zu tragen (was ihn von Le Corbusier unterscheidet, der eine große Brille mit runder dicker Hornfassung bevorzugte). Meist hat er ein dick gestreiftes Hemd an und dazu breite Hosenträger sowie eine Fliege (auch dann, wenn er einen dünnen Pullover mit Rundhalsausschnitt trägt). Sein kurz geschnittenes dichtes Haar ist seit Jahren silbergrau. Peter Eisenman lächelt stets fröhlich (auch das unterscheidet ihn von Le Corbusier, der stets grimmig und gehetzt aussah) und strahlt Zuversicht und Gelassenheit aus. Er ist der letzte Silberprinz.

Silver prince. Der Amerikaner Tom Wolfe, Schriftsteller („Fegefeuer der Eitelkeiten“), Dandy und ein Passionseuropäer wie Eisenman, veröffentlichte 1981 ein dünnes, aber ungemein erfolgreiches Buch, das Pamphlet „From Bauhaus to Our House“. Wolfe griff darin jene Moderne, die man nun klassisch zu nennen pflegt, als unamerikanisch und verderblich an. Ihre Proponenten bezeichnete er als „Silberprinzen“, von denen einige nach Amerika geraten seien, um die amerikanische Aschenbrödel-Architektur wachzuküssen. Sie, die - wie Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius - vor allem als Emigranten aus Nazideutschland kamen, seien für den Niedergang der amerikanischen autochthonen Baukultur verantwortlich.

Über die Auswirkungen dieses Buchs, das wenig später unter dem Titel „Mit dem Bauhaus leben“ auf Deutsch erschienen ist, lässt sich nur spekulieren. Weil es den Aufschwung der Postmoderne und das Renegatentum unter den Jüngern der reinen Lehre der Moderne zu beschleunigen half, dürften sie heftig gewesen sein. Seine Jünger heißen Michael Graves, Charles Gwathmey, John Hejduk, Richard Meier und - dessen Cousin - Peter Eisenman. Als Gruppe traten die Genannten 1969 in einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York auf und zeigten Arbeiten, die durch einen radikalen Rückgriff auf die frühe Moderne der Zwanzigerjahre gekennzeichnet waren. Es waren ausschließlich Einfamilienhäuser, allerdings mehr Architekturmanifeste als Häuser fürs unbeschwerte Wohnglück. Zeitweise sah es so aus, als würden Graves - und davor auch Eisenman - zu Kronprinzen der 1977 vom britischen Theoretiker Charles Jencks ausgerufenen Postmoderne avancieren. Das ist dann doch nicht ganz so gekommen.

Obwohl Eisenman 1932 in Newark/New Jersey als Sohn einer amerikanisch assimilierten jüdischen Familie geboren wurde, sieht er wie ein europäischer Architekt und europäischer Intellektueller aus - allerdings so, wie sich die Amerikaner einen solchen vorstellen. Eisenman weiß, dass zu einer richtigen Architekturtheorie, die Einfluss haben will, auch das richtige Erscheinungsbild des Architekten gehört. Es ist das Outfit der klassischen gutbürgerlich-revolutionären Männlichkeit der Zwanzigerjahre, der so genannten „weißen“ Moderne, auch Funktionalismus, Neue Sachlichkeit, Internationaler Stil oder Bauhausstil genannt. Das „Klassische“ an ihr wird als Hinweis auf ihre strengen Regeln, auf die ästhetische und soziale Verbindlichkeit ihrer Architektur verstanden.

In Wirklichkeit stammt der Begriff „klassische Moderne“ von Peter Eisenman, der als Architekturtheoretiker an der frühen Moderne von Le Corbusier, Rietveld oder Terragni kritisiert, dass sie sich nur verbal und theoretisch von der Tradition gelöst habe, faktisch aber eben „klassisch“ geblieben sei. Eisenmans Kritik ist eine konstruktive. Als Architekturpraktiker versucht er in seinen Projekten, die klassische Moderne weiterzutragen, weiterzuentwickeln, sie zu „dynamisieren“, um mit einer von ihrer Klassizität und den damit einhergehenden Verpflichtungen und Dogmen befreiten, bei aller Kritik aber heiß geliebten europäischen „weißen“ Moderne in die Tiefen der menschlichen Seele vorzudringen. Mit seiner Architektur will Eisenman in die dunklen Verliese des menschlichen Unterbewusstseins vorstoßen.

Die Moral des Architekten besteht Eisenman zufolge nämlich nicht in der Erfüllung irgendwelcher Funktionen und Erwartungen, sondern vor allem darin, „die Psyche des Menschen für das Unbewusste und Verdrängte“ zu öffnen. Daher will Eisenman „das Präsente zurücktreten lassen, um Raum für das Absente zu schaffen“. Man kann es auch mit „sich erinnern“ umschreiben, mit „jaddá“, dem hebräischen Wort für die aktive Übernahme des Gewesenen in die Gegenwart, das weder mit Tradition noch mit verordnetem Nichtvergessen übersetzt werden kann.

Von all dem erzählt die Mak-Ausstellung, die „Barfuß auf weiß glühenden Mauern“ betitelt ist. In dreißig Kapiteln in Form von weißen Kojen, „Säulen“ genannt, erinnert sich Eisenman an seine Werke und seine Ideen: dreißig White Cubes. Manchmal enthalten sie Modelle, oft kleine oder größere Versatzstücke, die für verwirklichte oder nur geplante Bauten stehen - Installationen, welche die Gedanken des Architekten veranschaulichen. Manche Kojen (und Ideen) lassen sich betreten, manche sind nur durch Schlitze einsehbar. Manche sind greifbar, manchen, eben nicht.

Außerhalb dieser Kojen bewegt man sich in einem dunklen, undefinierbaren Raum ohne Orientierungshinweise. Die niedrige Decke drückt aufs Gemüt. Falls Beklemmungen entstehen, dann ist dies beabsichtigt. Es handelt sich mehr um eine Archivmetapher als um eine Ausstellung.

Der White Cube wird im Mak zur Black Box. Die metaphysische Begegnung mit Peter Eisenman als Architekturausstellung ist einzigartig. Man weiß nicht, was man erfährt, aber man erfährt sehr viel - über Architektur, das Denken und das Dazwischen.

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