Veranstaltung

Eine Zeit zum Bauen
Ausstellung
13. Juli 2005 bis 4. September 2005
Jüdisches Museum Wien
Dorotheergasse 11
A-1010 Wien


Veranstalter:in: Jüdisches Museum Wien

Die Zeit ist wichtiger als der Ort

Kommende Woche eröffnet im Wiener Palais Eskeles die Ausstellung „Jüdische Identität in der zeitgenössischen Architektur“

9. Juli 2005 - Ute Woltron
Als man Peter Eisenman, den Architekten des im vergangenen Mai in Berlin eröffneten Holocaust-Mahnmals, fragte, ob er an der zeitgleich stattfindenden Ausstellung „Jüdische Identität in der zeitgenössischer Architektur“ teilnehmen wolle, lehnte der Sohn emigrierter deutsch-französischer Juden das ab.

Dem STANDARD gegenüber argumentierte der Amerikaner damals so: „Als man Barnett Newman in den 50er-Jahren bat, an einer Ausstellung jüdischer Maler teilzunehmen, sagte er, er glaube nicht an so etwas wie jüdische Identität in der Malerei. Ich erinnerte mich daran und sagte jetzt dasselbe: Ich glaube nicht, dass es so etwas wie jüdische Identität in der Architektur gibt.“

Diese Ausstellung des Jüdischen Historischen Museums Amsterdam macht nun ab kommendem Mittwoch Station im Jüdischen Museum Wien - und es ist schade, dass Eisenman seine Teilnahme verweigerte. Denn die Kuratoren und Autoren der Schau kamen nach sorgfältigen Recherchen letztlich zu keinem anderen Schluss als er selbst.

„Es gibt viele jüdische Architekten“, schreibt etwa Samuel D. Gruber, Direktor des Jewish Heritage Research Center in Syracuse, im Ausstellungskatalog, "aber im Prinzip gibt es keine „jüdische“ Architektur. Bis zum frühen 19. Jahrhundert wurden sämtliche europäischen Synagogen von Nichtjuden errichtet, und heute bauen jüdische Architekten in offenkundig nicht jüdischen Kontexten. Richard Meier hat im Auftrag des Vatikans jüngst eine Kirche in Rom fertig gestellt. Man sollte nicht überrascht sein, dass ein Jude eine Kirche in Rom baut: Vor Jahrzehnten baute ein Jude - Louis I. Kahn - die Hauptstadt eines muslimischen Landes - Bangladesh."

Dennoch orten die Kuratoren der Schau, die Historikerin Angeli Sachs und Edward van Voolen, ebenfalls Historiker und Rabbi, in der zeitgenössischen Architektur eine „jüdische Avantgarde“, die sich weltweit vor allem in drei Bauaufgaben herauskristallisiert: in Museen, in Synagogen und Gemeindezentren und in Schulbauten. „Worauf dieser Begriff am ehesten anwendbar ist, ist die Berücksichtigung jüdischer Kultur und Religion, Symbole oder der hebräischen Schrift im architektonischen Entwurf.“ Und weiter: „Zum Teil sind diese avantgardistischen Projekte mit der Architektursprache des Dekonstruktivismus verbunden, die besonders geeignet scheint, die Diskontinuität der Geschichte, ihre Brüche, Einschnitte und Deformationen anschaulich auszudrücken. Aber sie ist nur eine unter vielen Möglichkeiten.“

Tatsächlich manifestiert sich gerade in jüngerer Vergangenheit eine, wenn man will, erstarkende jüdische Identität in interessanten musealen Bauten, in neu konzipierten Gedenkstätten und Gemeindezentren. Der Holocaust bleibt gezwungenermaßen stets präsent, doch die Erinnerung an diesen radikalsten Bruch in der Geschichte der Juden hat neue Orte und Räume definiert. Die an Konzentrationslager angeschlossenen Gedenk- und Ausstellungsräume bleiben, sie bleiben auch wichtig. Doch die neueren jüdischen Museen haben sich von diesen Orten abscheulichster Geschichtsschreibung gelöst und stehen als Solitäre da.

Daniel Libeskinds Jüdisches Museum Berlin, 1999 fertig gestellt, ist eines der eindringlichsten und bekanntesten Beispiele dafür. Wie man den zerrissenen, skulpturalen Bau deuten mag - als Blitz oder, wie Libeskind selbst, als etwas, das sich „zwischen den Linien“ abspielt - bleibt den Betrachtern überlassen. Es ist jedenfalls eine meisterlich in Szene gesetzte Leere, die das Haus bereits vor seiner Bespielung zu einem Anziehungspunkt für hunderttausende Besucher machte.

Die Juden hätten in der Feier des Sabbats und ihrer religiösen Feste „Kathedralen in der Zeit“ und nicht im Raum errichtet, zitiert van Voolen in einem klugen Aufsatz den Philosophen Abraham Heschel. Und über Jahrtausende sei in der jüdischen Religion und Tradition die Zeit - gedeutet und aktualisiert - wichtiger gewesen als der Ort. Doch irgendwie kann die Architektur auch die Zeit in Räume fassen, und ein gelungenes Beispiel dafür befindet sich mitten in Wien.

Bei den Grundierungsarbeiten für Rachel Whitereads Mahnmal auf dem Judenplatz war man auf Reste der mittelalterlichen Synagoge gestoßen. 1421 hatten sich darin achtzig Gemeindemitglieder eingeschlossen, waren tagelang belagert worden und hatten schließlich Selbstmord begangen, indem sie sich selbst verbrannten. Die Architekten Christian Jabornegg und András Palffy umschlossen den Ort mit einem Raum, der sich völlig zurücknimmt und nur durch einen unterirdischen Gang erschlossen ist.

Ein ganz ähnliches Konzept verwirklichten Etan Kimmel und Michal Eshkolot in der Jerusalemer Altstadt mit dem Davidson-Besucherzentrum: Das liegt bis zu acht Meter tief im historischen Stadtboden versenkt und offenbart Fundstücke aus der Periode des zweiten Tempels, der byzantinischen Herrschaft sowie der Zeit der ersten Omajjaden.

Ebenfalls in Jerusalem entsteht derzeit in Altstadtnähe ein „Museum der Toleranz“, mit dem das Simon Wiesenthal Center „die Versöhnung und den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern“ fördern will. Frank O. Gehry, 1928 als Frank Goldberg in Kanada geboren, entwarf dafür einen gewaltigen, dispersen Gebäudekomplex, der in Jerusalem keineswegs unumstritten ist.

Aus finanziellen Gründen bis dato unvollendet bleibt Daniel Libeskinds aufregender Entwurf aus dem Jahr 2000 für ein Jüdisches Museum in San Francisco. In die historische Backsteinhalle eines Kraftwerks, das nach dem Erdbeben von 1906 errichtet wurde, um die Energie für den Wiederaufbau zu liefern, setzte der polnisch-amerikanische Architekt mit wüster dreidimensionaler Bildsprache die hebräischen Buchstaben des Wortes „Chai“, was so viel bedeutet wie „Leben“.

Mindestens ebenso interessant wie die immer zahlreicher werdenden Museumsarchitekturen sind die neuen Synagogen und Gemeindezentren. Der Tessiner Architekt Mario Botta beispielsweise hatte noch nie in seinem Leben eine Synagoge betreten, als er eingeladen wurde, die Cymbalista-Synagoge samt angeschlossenem Gemeinde- und Kulturzentrum in Tel Aviv zu entwerfen. Im Gegensatz zu den Dekonstruktivisten arbeitete er mit strengen Symmetrien. Zwei kräftige Türme markieren diese Doppelsynagoge, die laut NZZ-Architekturkritiker Roman Hollenstein „eine doppeltürmige Burg des Glaubens“ darstellt, mit dem Botta „sich selbst übertroffen“ habe.

Dritter Schwerpunkt der Schau sind die Schulen und Ausbildungsstätten, und hier wurde die Ausstellung für Wien um einen eigenen Raum erweitert: Die Schülerinnen und Schüler der von Adolf Krischanitz 1999 in den Augarten gepflanzten Lauder-Chabad-Schule reflektieren in Zeichnungen und kleinen Kunstwerken, wie sie im täglichen Gebrauch mit ihrem Schulhaus und ihren Lieblingsplätzen darin umgehen. Und gelebte Architektur ist natürlich das Jüdische Museum in der Dorotheergasse 11 selbst - das Palais Eskeles, subtil adaptiert und in Szene gesetzt von den Architekten Eichinger oder Knechtl.

[ „Eine Zeit zum Bauen. Jüdische Identität in zeitgenössischer Architektur“, Jüdisches Museum Wien, 13. 7. bis 4. 9. Zur Ausstellung erscheint ein vorzüglicher Katalog im Verlag Prestel (59,- €). Info unter www.jmw.at ]

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