Veranstaltung

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Ausstellung
22. Juni 2006 bis 22. Oktober 2006
Architekturmuseum der Technischen Universität München
Barer Straße 40
D-80333 München


Veranstalter:in: Architekturmuseum der TU München

Bewegte Farbwelten

Die Berliner Architekten Sauerbruch Hutton in München

Die Architektur von Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton setzt durch ihre farbigen Fassaden und die oftmals organisch geschwungenen Gebäudeformen Akzente. Eine Münchner Ausstellung gibt nun einen Überblick über das Werk der Wahlberliner, die zu den wichtigsten Vertretern der mittleren Architektengeneration in Deutschland zählen.

21. Juli 2006 - Jürgen Tietz
Sind runde Gebäude besser als eckige? Für den Architekten Matthias Sauerbruch ist die Antwort einfach: «Wenn ich zu wählen hätte, würde ich vermutlich intuitiv ‹rund› wählen», schreibt er im ausgezeichneten, erstmals einen Gesamtüberblick über das Œuvre des Berliner Büros vermittelnden Katalog zur Ausstellung «1 2 3 4. Die Architektur von Sauerbruch Hutton», die das Architekturmuseum der TU München derzeit in der Pinakothek der Moderne zeigt. Zwei Grundzüge kennzeichnen die Architektur von Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch: Die kräftige Farbigkeit ihrer Bauten geht mit einer organischen Grundstruktur einher. Dabei verzichten die beiden Wahlberliner keineswegs bei allen Bauten auf rechte Winkel, die geschwungene Form erweist sich somit keineswegs als Dogma. Auch das Expressive einer allzu aufgeregt plastischen Architektur liegt ihnen nicht. Vielmehr stehen ihre Bauten in der Traditionslinie der organischen Architektur der Moderne. Folgerichtig interessieren sie sich «für Räume, die Bewegung suggerieren», wie bei Hans Scharoun und Alvar Aalto.

Eigenständige Sprache

Das zweite dominierende Gestaltungsmotiv ihrer Architektur ist die intensive Farbigkeit. Mit ihr sorgten sie schon bei ihren ersten beiden bedeutenden Berliner Projekten für Furore, dem Kreuzberger GSW-Hochhaus (1991-99) mit seinem Sonnenschutz, der in unterschiedlichen Rottönen changiert, sowie beim amöbenförmigen Photonic Centre (1995-98) in Adlershof. Inzwischen gehören Sauerbruch Hutton zu den renommierten deutschen Architekturbüros, die dank ihrer eigenständigen Sprache international Anerkennung erfahren. In Deutschland freilich müssen sie sich auch kritischer Stimmen erwehren. Bilden die geschwungenen Formen und leuchtenden Farben ihrer Bauten doch einen Gegenpol zum kubischen Minimalismus, der gleichsam das andere Ende der heutigen Architektur beschreibt. Und mit dem historisierenden Retro- Schick, wie er das deutsche Baugeschehen zwischen Dresden, Frankfurt und Berlin dominiert, haben Sauerbruch Hutton nichts am Hut.

Ein drittes Leitmotiv ihrer Architektur tritt dagegen weniger offensichtlich zutage: das ökologische Konzept. Exemplarisch haben sie es im 2005 fertig gestellten Bundesumweltamt in Dessau verwirklicht, das neben einer Photovoltaikanlage und thermischen Sonnenkollektoren auch über einen grossen Luft-Erdwärme-Tauscher verfügt. Mit seiner Fassade aus farbigem Glas und Holzelementen schlängelt sich der Bau einer ehemaligen Industriebrache entlang und macht in seiner dynamischen Form fast vergessen, dass er immerhin 800 Mitarbeitern Platz bietet.

Der Ausstellungstitel «1 2 3 4» bezieht sich auf die vier Kapitel der Münchner Schau: Form, Inhalt, Oberfläche und Mittel, denen jeweils ein eigener Raum gewidmet ist. Den Auftakt machen rund zwanzig Modelle von Bauten und Projekten. So entsteht eine Stadt im Kleinformat, in welcher die Besucher umherwandeln können. Und vielleicht fragen sie sich ja insgeheim, wie es sich wohl in einer solchen Stadt leben würde, deren Farbigkeit nicht allein von grellen Werbeflächen und Neonlichtern bestimmt wird, sondern von farblich wohltemperierten Fassaden. Eine Stadt, in der sich neben den klassischen Blockrandbebauungen zunehmend auch organisch geschwungene Räume entwickeln dürfen? Anstelle des rechtwinkligen Strassenrasters würden sich luftige Stadtlandschaften entfalten, die ein Wechselspiel mit ihren kubischen Nachbarn entfachen.

Farbiges Mikado

Eine Ahnung von diesen städtischen Qualitäten zeigt der Entwurf für die neue ADAC-Zentrale in München, die 2009 fertig gestellt werden soll. Neben einem Hochhaus modelliert dort ein flacherer, fünfgeschossiger Bauteil fliessende Stadträume, die unmittelbar auf die umgebende Bebauung reagieren. Platzartige Weitungen wechseln sich mit Bereichen ab, an denen der Neubau dicht an den gebauten Bestand herangeführt wird. Sauerbruch Hutton verfügen über die Fähigkeit, starke Orte zu schaffen, die sich nicht nur aus einer ebenso eigenwilligen wie eigenständigen Architektur heraus definieren, sondern vor allem aus einem sensiblen Gefühl für den städtischen Raum. So auch bei dem Entwurf für ein Bürogebäude am Kölner Rheinufer (1999). Jenseits von Blob-Strukturen und Nierentisch-Romantik sollen die geschwungenen Fassadenfronten der einzelnen Baukörper auch dort eine spannungsvolle Raumwirkung erzeugen. Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass sich Stadt nicht allein aus dem Aneinanderreihen streng rechtwinkliger Geometrien und geschlossener Blockränder konstituieren muss - die Projekte von Sauerbruch Hutton liefern ihn.

Allenthalben herrscht eine lustvolle Leichtigkeit vor, eine spielerische Eleganz, die sich schon in den Entwurfszeichnungen widerspiegelt, die gelegentlich den Charme der fünfziger Jahre in sich bergen. Entscheidend geprägt wird diese Wirkung durch die farbigen Fassaden. Ihnen ist in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet, in dem vier grossformatige Fotos des finnischen Künstlers Ola Kolehmainen mit Detailansichten gezeigt werden. Seit Bruno Tauts revolutionären farbigen Bauten in Magdeburg und Berlin, die in den 1920er Jahren entstanden sind, hat die Farbe wohl bei keinen anderen Architekten eine so zentrale Rolle gespielt wie bei Sauerbruch Hutton.

Das zeigt sich auch im letzten Kapitel der Ausstellung. Es ist dem Neubau des Brandhorst-Museums vorbehalten, das derzeit gleich neben der Pinakothek der Moderne entsteht. Ab 2007 wird es eine grosse Privatsammlung zeitgenössischer und moderner Kunst beherbergen. Und so bietet der letzte Ausstellungsraum den Blick in eine Architekturwerkstatt mit Modellen, Skizzen und Plänen, die deutlich machen, wie viel Aufwand und Detailarbeit in einem Gebäude stecken. Das gilt auch für die Suche nach der Fassadenfarbe bei der Sammlung Brandhorst, die in einem 1:1-Ausschnitt vorgestellt wird. Glasierte Terrakottastäbe fügen sich dort zu einer bunt schillernden Oberfläche zusammen. So entsteht ein Fassaden- Mikado mit Überraschungseffekt, das auf der Münchner Museumsmeile eine ganz eigenständige Wirkung entfalten wird.

[ Bis 22. Oktober in der Pinakothek der Moderne in München. Katalog: Sauerbruch Hutton. Archiv. Lars Müller Publishers, Baden 2006. 342 S., Fr. 89.90 (Euro 38.- in der Ausstellung). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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