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TEC21 2007|15
Kulturgut Wettbewerbe
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Verlag: Verlags-AG

Die schöne Kunst des Wettbewerbs

Nicht alle Architekturwettbewerbe kommen so breitspurig daher wie der für das Verlags- und Redaktionsgebäude der «Chicago Tribune» im Jahr 1922. Hunderttausend Dollar hatte man in spektakulärem Fettdruck als Preissumme jener Entwurfskonkurrenz ausgesetzt, die sich die nach eigenem Bekunden «grösste Zeitung der Welt» zu ihrem 75. Geburtstag schenkte. Nicht nur wollte man der Belegschaft komfortable Arbeitsplätze und ein «Monument dauerhafter Schönheit» bescheren, obendrein sollte der Bau auch noch späteren Generationen von Zeitungsverlegern als leuchtendes Beispiel vor Augen stehen.

10. April 2007 - Andreas Tönnesmann
Auch wenn der «Chicago Tribune»-Wettbewerb (Bild2) in erster Linie ein Werbegag war – in die Architekturgeschichte ist er trotzdem eingegangen. Schon weil Koryphäen der europäischen Moderne wie Walter Gropius und Adolf Loos sich daran beteiligt haben. Sie blieben damals zwar erfolglos, aber ihre Entwürfe haben überdauert. Es ist unbestreitbar: Wettbewerbe sind das Salz in der Suppe der Architektur. Sie machen die Bahn frei für den Vergleich, lassen Ideen und Konzepte gegeneinander antreten. Oft genug haben sie ein subversives Potenzial, bringen einen Hauch von Demokratie in das meist so autoritäre Geschäft der Architektur. Sie zwingen zur Entscheidung. Und sind doch seit 600 Jahren viel mehr als das, nämlich ein Instrument zu architektonischer Erkenntnis – vielleicht das präziseste, über das wir nach wie vor verfügen.

Schon zu Beginn der Neuzeit wird das offenbar. War es doch ein Wettbewerb, der einem berühm­ten Aussenseiter sein Entree ins Baumetier verschaffte: Filippo Brunelleschi, der die Domkuppel von Florenz ersann. Mass und Umriss des monumentalen Gewölbes hatten zwar schon die Kathedralbaumeister des 14. Jahrhunderts in groben Zügen festgelegt. Einen gangbaren Weg zur Ausführung konnte aber erst der öffentliche Wettbewerb aufzeigen, den die Dombaukommission im Jahr 1418 ausschrieb. Scheinbar unlösbare technologische Probleme hatten das Projekt in eine Sackgasse geführt: Die riesigen Dimensionen – der untere Kuppeldurchmesser beträgt 46 Meter – machten nämlich das traditionelle Bauverfahren mit hölzernem Lehrgerüst untauglich, weil kaum auszuführen und viel zu teuer. Brunelleschi, gelernter Goldschmied und exzentrischer Erfinder, war der Einzige, der eine freitragende Konstruktion vorschlug (Bild 3). Sie lasse sich, beteuerte er, allein mit Hilfe beweglicher Arbeitsbühnen aufmauern.

In seine raffinierte, zugleich stabile und gewichtsparende Mauerwerkskonstruktion liess Brunelleschi eine Reihe eigener Beobachtungen einfliessen, die er beim Studium der Pantheonkuppel in Rom gewonnen hatte. Die Konkurrenz führte also zu einer Lösung, die nicht auf professionell erworbenem Erfahrungswissen aufbaute – Brunelleschi hatte nie als Maurer gearbeitet –, sondern auf historischer Einsicht und systematischer Problemanalyse. Die Wettbewerbspraxis öffnete das Bauwesen für die revolutionäre Methodologie der Renaissance. Ihr sollte auf allen Wissensgebieten die Zukunft gehören.

Von den erfolglosen Konkurrenzentwürfen für die Domkuppel wissen wir so gut wie nichts – in die Florentiner Anekdotensammlung ist nur die Geschichte von jenem Witzbold eingegangen, der vorgeschlagen hatte, die Kuppel über einem gewaltigen Sandhaufen auszuführen. Ganz unten solle die Kommission ein paar Goldmünzen verstecken. An Freiwilligen, die später den Sand aus dem fertigen Bauwerk herausschaufeln würden, werde es dann schon nicht fehlen. Weitaus aufschlussreicher sind die Dokumente, die vom mutmasslich ersten internationalen Architekturwettbewerb erhalten sind. Die Konkurrenz um die Stadtfassade des Louvre sollte überdies zum Lehrstück dafür geraten, wie man Wettbewerbe politisch instrumentalisieren kann.

Erster internationaler Wettbewerb

War es doch Jean-Baptiste Colbert, allmächtiger Minister in Diensten des Sonnenkönigs Louis XIV., der sich mit den Vorschlägen französischer Architekten für das wichtigste Staatsbauwerk unzufrieden zeigte und so auf die Idee kam, die Creme der römischen Architekturszene – Bernini, Borromini, Pietro da Cortona, Carlo Rainaldi – um Konkurrenzentwürfe zu bitten.

Auf grösstes Interesse stiess Gianlorenzo Berninis bestechend elegantes, in dynamischer Kurvatur ein- und ausschwingendes Fassadenprojekt, das wie kein anderes versprach, den königlichen Palast mit der Stadt kommunizieren zu lassen. Gewiss, der Minister bat um Korrektur des einen oder anderen Punkts – die unbeschränkte Öffnung der Fassade weckte klimatische Bedenken und vor allem Sorge um die Sicherheit. Ganz so freizügig sollte und wollte der König mit seiner Hauptstadt offenbar doch nicht in Kontakt treten. Eine erste Projektüberarbeitung des berühm­ten römischen Cavaliere fand zwar noch immer keine spontane Zustimmung, aber der Minis­ter lud Bernini im Auftrag des Königs doch zu einem Parisbesuch ein, um offene Punkte zu klären und sich persönlich kennenzulernen. Es sollte eine diplomatische Reise werden, begleitet von Höflichkeiten, Audienzen und geheucheltem Interesse auf beiden Seiten: ein letztlich misslungener ­Versuch der Verständigung. Aber auch ein Schritt, der sich als notwendig erwies, um eine erste Ausdifferenzierung nationaler Kunstauffassungen und Architektursprachen zu ermöglichen. Der europäische Barock wird Lehren aus dem Wettbewerb ziehen und hier ein grosses, neues Thema architektonischer Debatten entdecken.

Es war wohl diplomatischer Comment, der Colbert veranlasste, Berninis letzten Entwurf zum Ausführungsprojekt zu erklären und kurz vor der Abreise des Gastes den Grundstein für einen entsprechenden Neubau zu legen. Kaum war Bernini ausser Sichtweite, stoppte man die Arbeiten aber unverzüglich und liess eine Expertengruppe um Claude Perrault jenen Entwurf für die majes­tätische Kolonnade ausarbeiten, der aus Berninis Urprojekt zwar die Geste der Öffnung übernahm, sie aber in eine Triumph- und Distanzgebärde von unmissverständlicher Präzision umdeutete und so die Basis für die klassizistische Architekturtradition Frankreichs legen konnte.

ScheinWettbewerbe

Wettbewerbe, wir alle wissen es, werden oft genug nur zum Schein ausgeschrieben – um einem favorisierten Architekten, der eigentlich das Rennen schon im Voraus gemacht hat, über die Hürden öffentlicher Debatten und politischer Entscheidungen zu helfen. Solche Pläne können scheitern, aber auch glänzend gelingen, wie ein Blick in die Baugeschichte der ETH Zürich erweist. 1855 war Gottfried Semper als international renommierter Architekt an das neu gegründete Polytechnikum berufen worden. Aus fachlicher Perspektive mochte niemand anderer als er in Frage kommen, das Hauptgebäude der Schule zu entwerfen. Aber es ging um den bislang prominen­testen Bau der jungen Eidgenossenschaft, ein Politikum ersten Ranges. Auch Zürcher Interessen mussten berücksichtigt werden: Staatsbauinspektor Johann Caspar Wolff machte sich Hoffnungen, selbst den prestigeträchtigen Auftrag zu erhalten.

Was lag näher, als den Ausweg eines internationalen Wettbewerbs zu wählen – schon um demokratischen Schein zu wahren. Der kluge Semper lehnte eine eigene Eingabe ab und nahm stattdessen Einsitz im Preisgericht, das – kaum überraschend – alle 19 eingereichten Projekte für ungeeignet befand und die Vergabe eines ersten Preises ablehnte. Verbinde doch kein Vorschlag «ein homogen erscheinendes Äusseres mit einer zweckmässigen durchgearbeiteten Anlage des Grundrisses», diktierte Semper in den Jurybericht. «Aus diesem geht nach unserem Ermessen hervor, dass für die Bauausführung keiner der vorliegenden Entwürfe geeignet, und dass vielmehr hierdurch die weitere Aufgabe gegeben ist, einen allen Vorgaben entsprechenden neuen Plan ausarbeiten zu lassen.» Damit hatte der Wettbewerb seine Aufgabe erfüllt: Für Semper war die Bahn frei, den Auftrag selbst – wenn auch in Zusammenarbeit mit Wolff, was zu manchen Problemen führen sollte – zu übernehmen.

Als aktuelle Mahnung können wir den schludrigen Umgang mit der materiellen Hinterlassenschaft des Zürcher Wettbewerbs von 1857/58 begreifen. Denn die von der Jury immerhin mit einem zweiten und dritten Preis ausgezeichneten Projekte – sie stammten von Caspar Joseph Jeuch, den Partnern Felix Wilhelm Kubly und Alexander Tritschler sowie Ferdinand Stadler – wurden zwar, wie alle anderen, eine zeitlang ausgestellt, aber weder veröffentlicht noch angemessen archiviert. Sie blieben im Besitz des Kantons Zürich, doch verlieren sich ihre Spuren schon 1859. Den Einsendern wurden sie anscheinend nie zurückgegeben – in den entsprechenden Nachlässen fehlen sie –, und weder im Staats- noch im Bundesarchiv ist heute eine Spur von ihnen zu ­finden. Sehr wahrscheinlich wurden sie schon in den 1860er-Jahren vom Staatsbauinspektorat vernichtet.

[ Andreas Tönnesmann ist Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich]

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