Zeitschrift

TEC21 2007|15
Kulturgut Wettbewerbe
TEC21 2007|15
TEC21 2007|15
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Bauingenieurwettbewerbe im Hochbau

Der Bauingenieurwettbewerb kann im Hochbau für alle Betei­ligten interessante Resultate liefern. Unter «Bauingenieurwettbewerb» ist nicht der klassische Ingenieurwettbewerb, etwa für Brücken, zu verstehen, sondern ein kürzeres, vielfältiges und anpassungsfähiges Verfahren, das sich im Hochbau zwischen die «Team-Wettbewerbe» und die «Submissionsverfahren mit Konzepteingabe» einreiht.

10. April 2007 - Jürg Conzett
Der Team-Wettbewerb ist für Aufgaben geeignet, bei denen die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Bauingenieur von Anfang an stattfinden muss, beispielsweise für grosse Sportstadien. Bei Bauvorhaben von hauptsächlich städtebaulich-architektonischer Bedeutung besitzt der Team-Wettbewerb aber auch Nachteile, denn es gibt in der Regel mehr teilnahmewillige Architekten als Ingenieure. Das heisst, die Gruppenbildung beruht darauf, wer am schnellsten auf die Ankündigung eines Verfahrens reagiert. Sie wird dadurch zumindest teilweise zufällig, und die Bauingenieure wirken ungewollt als Selektionsinstrument für die Architekten. Umgekehrt besitzen in diesen Fällen Fragen der Tragkonstruktion bei der Beurteilung eher eine beiläufige Bedeutung, und es findet dadurch keine eigentliche Selektion der Ingenieure statt. Bei kleineren Aufträgen ist das Submissionsverfahren mit Konzepteingabe zwar besser als die reine Honorarsubmission; es birgt in sich jedoch die Gefahr einer gewissen Oberflächlichkeit, da die Beurteilung üblicherweise nicht durch eine Jury erfolgt.

Der Bauingenieurwettbewerb im Hochbau kann etwa anschliessend an einen erfolgreichen Architekturwettbewerb durchgeführt werden. Das Interessante an diesem Verfahren ist, dass sich die Beteiligten (Bauherrschaften, Architekten, Jury) für eine bestimmte Zeit im Planungsprozess gezielt Fragen der Tragwerksgestaltung zuwenden. Selten werden sonst Fragen der Leistungsfähigkeit unterschiedlicher konstruktiver Lösungen und der Wechselwirkung zwischen Tragwerk und Architektur derart intensiv diskutiert wie während der Beurteilung eines Bauingenieurwettbewerbs. Natürlich ist der Erfolg dieses Verfahrens an bestimmte Voraussetzungen gebunden: Das zugrunde liegende architektonische Konzept muss ein sinnvolles Tragwerk überhaupt ermöglichen, und aus den Resultaten des Bauingenieurwettbewerbs sind Rückwirkungen auf das architektonische Konzept zu erwarten, was von Bauherrschaft und Architekt eine entsprechende Offenheit verlangt.
Nach meiner Erfahrung handelt es sich bei dieser Form des Bauingenieurwettbewerbs noch nicht um ein allgemein bekanntes und anerkanntes Verfahren. Das hat einerseits mit dessen Zeitbedarf zu tun, andererseits aber auch mit dem immer noch verbreiteten Berufsbild des Ingenieurs als «Rechner». Der Bauingenieurwettbewerb ist ein überzeugendes Mittel, diesem Vorurteil entgegenzutreten – mich hat jedesmal die Vielfalt der eingegebenen Lösungsvorschläge selbst bei anscheinend einfachen Aufgaben überrascht. Tatsächlich ist der mögliche Anwendungsbereich für Bau­ingenieurwettbewerbe vielfältig. Das Verfahren ist sehr gut auch für kleinere Aufgaben geeignet, und gerade hier könnte es einen Beitrag dazu leisten, die Wahl von Bauingenieuren nach qualitativen Auswahlkriterien wieder zur Regel werden zu lassen, denn kleinere Aufträge sind das tägliche Brot.

Schulhaus Oescher, Zollikon
Für das Schulhaus Oescher in Zollikon wurden sieben Ingenieurbüros eingeladen, aufgrund der Architektenpläne im Massstab 1:200 konzeptionelle Vorschläge für ein sinnvolles Tragwerk zu unterbreiten. Die Jury bestand aus vier Bauherrschaftsvertretern, dem Architekten und einem externen Bauingenieur. Sie verglich die Eingaben einerseits hinsichtlich technischer Qualität, Wirtschaftlichkeit und architektonischen Potenzials. Andererseits wurden auch die Honorarofferte und die Referenzen der Bewerber mitbeurteilt. Die Gewichtung erfolgte mit 45 % für die konzeptionelle Qualität, 30 % für die Referenzen und 25 % für die Honorarofferte. Zur Beurteilung der architektonischen Wirkung liess die Jury von allen Vorschlägen Kartonmodelle erstellen. Den ersten Rang erzielte ein statisches Konzept, das aus einer Skelettkonstruktion bestand, deren Decken dank mittragenden ­Brüstungen in den Ecken weit auskragen. Es entsprach dem gewünschten architektonischen Ausdruck nach einem schwebenden Baukörper mit grossen Öffnungen und war gleichzeitig eine vergleichsweise wirtschaftliche Lösung.

Geschäftshaus Würth, Chur
Ein ähnliches Verfahren wurde für die Vergabe der Bauingenieurarbeiten für das Geschäftshaus der Würth Holding in Chur gewählt. Hier lud man drei Ingenieurbüros ein, konzeptionelle Vorschläge für ein Tragwerk zu unterbreiten. Wiederum dienten Architektenpläne im Massstab 1:200 als Grundlage. Das Preisgericht bestand aus einem Bauherrschaftsvertreter, dem Architekten und einem externen Bauingenieur. Bewertet wurden Konzept, Referenzen und Honorarofferte, eine Gewichtung wurde nicht formuliert. Die nicht beauftragten Ingenieurbüros erhielten eine Entschädigung zwischen 1000 und 3000 Franken. Besonders interessant war bei diesem Bauingenieurwettbewerb, dass das siegreiche statische Konzept zu einer Projektänderung bei den Architekten führte. Die Idee, die beiden Gebäudekerne mit weitgespannten Unterzügen stützenfrei zu verbinden, machte die einzelnen Geschossdecken voneinander unabhängig. Dadurch konnten die Deckenränder des zentralen Lichthofs unterschiedlich weit ausgekragt werden, was dazu führte, dass die einzelnen Stockwerke nun ganz unterschiedliche Raumeindrücke und Lichtstimmungen erhalten – eine architektonische Qualität, die erst aufgrund der Resultate des Bauingenieurwettbewerbs entdeckt und ermöglicht wurde.

Tivoli-Areal, Chur
Es gelang, die Besitzerin der Wohnhäuser des Tivoli-Areals in Chur davon zu überzeugen, dass ein Bauingenieurwettbewerb selbst für Wohnungsumbauten sinnvoll durchgeführt werden könne. Fünf Bauingenieurbüros wurden eingeladen, Vorschläge für die Ergänzung der bestehenden Decken im Bereich aufzuhebender Treppenhäuser einzureichen. Abgegeben wurden Pläne im Massstab 1:50 der bestehenden Konstruktion. Mitgeliefert wurden standardisierte, hinsichtlich Schalldurchgang vom Bauphysiker geprüfte Bodenaufbauten, die fallweise für massive oder leichte Deckenkonstruktionen verwendet werden sollten. Die Jury bestand aus zwei Bauherrschaftsvertretern, dem Architekten und einem externen Bauingenieur. Bewertet wurden die Vorschläge und die Referenzen ohne explizit formulierte Gewichtung, das Honorar wurde gemäss Ausschreibung erst nach dem Verfahren aufgrund des SIA-Leistungsmodells ausgehandelt. Sämtliche Teilnehmer erhielten eine Entschädigung von 2500 Franken. Die vermeintlich alltägliche Aufgabenstellung brachte fünf ganz unterschiedliche Lösungsansätze zu Tage, die sowohl monolithisch ergänzte und verzahnte Betonplatten wie auch Stahlträgerroste oder neue Holzbalkenlagen umfassten. Die Kosten der Vorschläge variierten pro Wohnungseinheit zwischen 5000 und 7600 Franken, was angesichts der zahlreichen Wohnungen den Wettbewerb für die Bauherrin schon aus wirtschaftlichen Gründen rechtfertigte. Mit beurteilt wurden die Konsequenzen der verschiedenen Vorschläge im Hinblick auf die Gestaltung der jeweiligen Bauabläufe.

Bundesverwaltungsgericht, St. Gallen
Für den Neubau des Bundesverwaltungsgerichts in St. Gallen wurde aus Gründen der Planungstermine gleich nach dem Architekturwettbewerb ein «Konzept-Bauingenieur» bestimmt, der im Rahmen seines Auftrags auch einen Bauingenieur-Leistungswettbewerb mitorganisierte. Der Kern des Leistungswettbewerbs bestand aus abzuliefernden Bemessungsproben von Betonbauteilen, deren Abmessungen bereits zuvor vom Konzeptingenieur festgelegt wurden. Die Teilnehmer hatten für die schlanken Decken die Vorspannung und die schlaffe Bewehrung zu bemessen. Weiter waren Vorschläge zur konstruktiven Durchbildung der aussen liegenden Fassadenstützen mit ihren Anschlüssen einzureichen. Daneben waren Erfahrungsnachweise anhand von Referenzen und das Honorarangebot gefordert. Das Beurteilungsgremium bestand aus zwei Bauherrschaftsvertretern (Architekten), dem projektierenden Architekten, dem Konzeptingenieur und einem weiteren externen Bauingenieur. Beurteilt wurden die Bemessungsproben (mit 50 % Gewicht) ausschliesslich vom Konzept- und dem zweiten externen Bauingenieur, die Referenzen (mit 30 % Gewicht) und die Honorarofferte (mit 20 % Gewicht) vom gesamten Beurteilungsgremium. Der Wettbewerb war offen, es erfolgten zehn Eingaben. Überraschend war wiederum die Bandbreite der vorgeschlagenen Bemessungslösungen, die von formtreuen Vorspannungen bis zu dicht bewehrten, nicht vorgespannten Decken reichte. Ähnliche Unterschiede zeigten sich bei der Bearbeitung der Stützen. Die Spanne der Kosten der Vorschläge für Vorspannung und Bewehrung schwankte zwischen 100 und 214%.
Die hier vorgestellten Verfahren betreffen Situationen, in denen üblicherweise keine Wettbewerbe durchgeführt werden. Sie weiten damit das Wettbewerbswesen auf bisher eher unerschlossene Gebiete aus. Ich wage zu behaupten, dass damit bei den Bauherrschaften eine gewisse Aufklärung über die Vielfältigkeit der Bauingenieurarbeit stattgefunden hat.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: