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TEC21 2007|16
Brandschutz
TEC21 2007|16
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Sind Tunnel feuerfest?

Brandereignisse in Tunnelanlagen erfolgen unter speziellen Randbedingungen. Die Auswirkungen können katastrophale Ausmasse annehmen. Die risikogerechte Auswahl und Dimensionierung der Schutzsysteme erfordert Kenntnis der möglichen Schadensmechanismen und eine Definition der Schutzziele.

16. April 2007 - Volker Wetzig
Zum Brandschutz von Konstruktionen im Tunnelbau werden heute unterschiedliche Systeme angeboten. Für die dem Einsatzzweck angemessene Definition der Schutzmassnahmen ist ein Verständnis der auftretenden Schädigungsmechanismen, Schutzziele und speziellen Randbedingungen im Tunnelbau erforderlich. Die komplexen Wechselwirkungen der einzelnen Einflussfaktoren müssen vielfach mit entsprechenden Prüfungen bestätigt werden. Im Folgenden werden Überlegungen zur Definition der Schutzziele und, ausgehend von den Schädigungsmechanismen, unterschiedliche Schutzmechanismen vorgestellt.

(B)Randbedingungen

Brände in Tunnel entstehen und entwickeln sich in der Regel unter speziellen Randbedingungen. Der Raum ist geschlossen, und die entstehende Hitze kann nicht ungehindert entweichen. Die Tunnellüftung saugt die Brandgase vom Brandherd ab und führt im Gegenzug zu einem Zustrom frischer Luft mit entsprechendem Sauerstoff. Bei Fahrzeugbränden sind immer auch Kohlenwasserstoffe involviert, die zu einer schnellen Brandentwicklung und Temperaturerhöhung führen. Diese Randbedingungen finden ihren Niederschlag in den Temperatur-Zeit-Kurven, die für die Prüfung von Schutzmassnahmen herangezogen werden. In der Vergangenheit durchgeführte Grossversuche im Rahmen von europäischen Forschungsprojekten haben sowohl den schnellen Temperaturanstieg als auch die erreichbaren Maximaltemperaturen bestätigt. Auch wenn heute in praktisch allen Ländern eigene Temperatur-Zeit-Kurven für die Beurteilung herangezogen werden, ist diesen Kurven ein schneller Temperaturanstieg innerhalb von 5 Minuten auf mehr als 1000 ° C gemeinsam. Unterschiede bestehen bezüglich der Maximaltemperatur und der Dauer der Temperaturbelastung.

Ziele von Schutzmassnahmen

Die Personenrettung erfolgt im Brandfall im Tunnel primär über die Selbstrettung. Für die im Tunnel befindlichen Personen geht von den toxischen Rauchgasen die grössere Gefahr aus als von der Hitze des Brandes selbst oder von infolge der Wärmeeinwirkung einstürzenden Bauteilen. Die Personenselbstrettung ist primär durch die Schaffung von geeigneten Fluchtwegmöglichkeiten zu unterstützen. Indirekt können sich hieraus auch Anforderungen an den baulichen Brandschutz ergeben, wenn die Fluchtwege unmittelbar an den Fahrraum angrenzen.
Im Hinblick auf den Einsatz von Rettungskräften sind längere Standfestigkeiten der Bauteile zu gewährleisten, als dies für den Personenschutz erforderlich ist. Die diesbezüglichen Anforderungen sind in Absprache mit den Rettungsdiensten festzulegen.
Nach einem grösseren Brandereignis wird eine Tunnelanlage für die Sanierung ganz oder teilweise geschlossen. Die dadurch verursachten Ausfallkosten sind bei der Festlegung der Schutzmassnahmen für die betreffende Tunnelanlage zu berücksichtigen. Je umfassender und massiver der Brandschutz ausgeführt wird, umso höher sind einerseits die Erstellungskosten. Anderseits wird dadurch das Risiko für Ausfallkosten reduziert, und die Ausführung von Sanierungen kann besser geplant werden.
Als Folgekosten, die im Rahmen einer Sicherheitsbetrachtung in die Beurteilung einbezogen werden, sind die Kosten zu verstehen, die nicht den Bereich des Brandherdes selbst betreffen. So sind z. B. Tunnelbauwerke im grundwasserführenden Lockergestein bezüglich der Auswirkungen eines Brandereignisses anders zu beurteilen als ein gleichartiger Verkehrsweg im standfesten, nicht wasserführenden Gebirge. Bei einem Tagbautunnel mit Überbauungen sind andere Schutzmassnahmen angemessen als bei einem Tunnelabschnitt, der durch unbewohntes Gebiet führt.

Werkstoffe im Untertagebau

Der heute am häufigsten für statisch relevante Elemente eingesetzte Werkstoff im Untertagebau ist Beton. In alten Tunnelkonstruktionen finden sich teilweise Mauerungen aus Ziegeln oder Natursteinen. Bezüglich des Verhaltens im Brandfall gelten für diese Auskleidungen, sowie für den Fels selbst, analoge Betrachtungen wie für den Beton.
Als weiterer Werkstoff findet Stahl in verschiedenen Veredelungsformen Verwendung im Untertagebau. Wesentliche Einsatzbereiche sind Bewehrungen im Beton (z. B. Zwischendecken), als Befestigungselemente für Betriebseinrichtungen in den Untertageanlagen und als Teil von Querschlags- und Fluchtwegtüren. Neben dem reinen Materialverhalten spielt auch das Systemverhalten der Bauteile unter einseitiger Wärmebeanspruchung eine entscheidende Rolle für die Standsicherheit der Konstruktion im Brandfall.

Beton

Beton ist unbestritten ein nicht brennbarer Werkstoff. Trotzdem ist diesem für die Baukonstruk­tionen wesentlichen Werkstoff bezüglich des Brandschutzes besondere Beachtung zu schenken.
Beton besteht aus einem Konglomerat von Gesteinskörnungen unterschiedlicher mineralogischer Zusammensetzung und Grösse, Zementstein und einem Poren- und Kapillarsystem mit unterschiedlichsten Abmessungen und Feuchtegehalten.
Die statisch tragende Funktion und der Schutz der Bewehrung erfolgen durch den Beton, wenn das oben beschriebene System ungestört ist. Im Brandfall wird das System Beton durch die von aussen einwirkende Wärmequelle aufgeheizt. Erlischt die äussere Wärmequelle, erfolgt keine weitere Wärmeentwicklung aus dem Beton heraus. Die Auswirkungen der Erhitzung des Betons sind abhängig vom erreichten Temperaturniveau. Bild 1 zeigt die Auswirkungen verschiedener Temperaturniveaus auf die unterschiedlichen Bestandteile des Betons.
Bereits ab 100 ° C setzt die Umwandlung der Restfeuchte im Beton, die im Bereich von 3 bis 5 Massen-% liegt, zu Wasserdampf ein. Unter der Annahme konstanter Umgebungsdruckbedingungen führt die Verdampfung von Wasser zu einer Volumenzunahme um den Faktor 1100. Da ­diese Volumen in der Porenstruktur des Betons nicht zur Verfügung stehen, baut sich ein entsprechender Dampfdruck auf, der bei Überschreiten der Zugfestigkeit des Betons zu Abplatzungen führt. Dabei handelt es sich um ein dynamisches System, da die Wasserdampfbildung als Funktion der Zeit und des Energieeintrages in den Beton erfolgt. Andererseits wirkt das Entweichen eines Teiles des Wasserdampfes durch die Porenstruktur und die Risse aus dem Beton druck­reduzierend. Verschiedene Untersuchungen und Prüfungen bestätigen, dass mit zunehmendem Porenvolumen im Beton die Gefahr des Abplatzens abnimmt.
Durch die Zugabe von Polypropylenfasern in den Beton, die im Brandfall bei ca. 150 ° C verdampfen, können gezielt künstliche Entlastungshohlräume geschaffen werden, um so ein Abplatzen von Betonteilen vollständig zu verhindern. Die Abplatzrate des ungeschützten Betons unter Hitzeeinwirkung ist abhängig vom Energieeintrag, der Feuchte im Beton und der vorhandenen Porenstruktur. Bei Prüfungen von sehr dichten Betonstrukturen wurden Abplatzraten von über 40 cm / Std.
festgestellt.
Sind Massnahmen getroffen worden, um das Abplatzen des Betons zu verhindern, erfolgen ab 400 ° C weitere Schädigungen von Betonkomponenten. Diese Schädigungen beschränken sich in der Regel auf die Oberflächen des Betongefüges. Die Schädigungstiefe ist abhängig von der Wärmeleitfähigkeit des Betons. Ab 400 ° C kommt es zur Dehydrierung des Kalziumhydroxyds im Zementstein. Das chemisch gebundene Wasser wird abgespalten und in Form von Wasserdampf freigesetzt. Dabei zersetzt sich das Zementsteingefüge und verliert seine tragende Funktion.
Wenn Quarzminerale auf über 575 ° C erhitzt werden, erfolgt eine sprunghafte Gefügeumbildung, die mit einer Volumenzunahme verbunden ist. So wird das Betongefüge von innen her aufge­brochen und gelockert. Überschreiten die Temperaturen 800 ° C, setzt die Dekarbonisierung des ­Kalziumkarbonats ein, das gasförmiges CO2 abspaltet.
Die beschriebenen Zerstörungen der Betonstruktur können nur durch isolierende Schutzmassnahmen in Form von Brandschutzmörteln oder Brandschutzplatten verhindert werden. Mit diesen Systemen wird die Betonstruktur vollflächig vor den Wärmeeinwirkungen geschützt. Voraussetzung dafür ist ein ausreichender Haftverbund des Mörtels mit dem Untergrund oder die Fixierung von Platten mit geeigneten Systemen.

Stahl

Kommt es im Brandfall zu Abplatzungen des Betons, wird die in der Regel nur wenige Zentimeter überdeckte Bewehrung in kurzer Zeit freigelegt und damit direkt der Wärmequelle ausgesetzt
(Bild 2). Daneben sind allenfalls auch Befestigungselemente und z. B. Querschlags- und Fluchtwegtüren dem Brand ausgesetzt.
In Bild 3 ist die Abnahme der Streckgrenze für Baustahl als Funktion der Materialtemperatur dargestellt. Bis ca. 250 ° C sind hier keine signifikanten Veränderungen festzustellen. Oberhalb dieser Grenztemperatur nimmt die Streckgrenze rasch ab, bis der Baustahl bei 700 ° C kein Tragvermögen mehr aufweist. Bei einem Temperaturniveau über 400 ° C setzen bei Baustahl Kriechvorgänge ein.
Die genannten Temperaturwerte werden bei einem Brand schnell überschritten, sodass geeignete Massnahmen ergriffen werden müssen, um die statisch relevanten Stahlquerschnitte vor den Temperatureinflüssen zu schützen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Stahl ein guter Wärmeleiter ist und daher auch keine Stahlteile in die Brandzonen hineinragen dürfen. Für Befestigungen von Einrichtungen im Tunnelquerschnitt, z. B. Lüfter und Signalisation, sind Werkstoffe zu wählen, die bei den genannten Temperaturen keine oder nur unbedeutende Festigkeitseinbussen erleiden.

Systemverhalten

Im Brandfall erhitzt sich zunächst nur die dem Brand zugewandte Seite der Bauteile. Dies führt zu thermischer Längenänderung auf der Brandseite der Bauteile. So wird z. B. bei einer Zwischendecke eines Tunnels diese fahrraumseitig eine Ausdehnung erfahren, während die dem Lüftungskanal zugewandte Seite, selbst wenn die Brandgase über diesen abgesaugt werden, deutlich geringere Längenänderungen erfährt. Dadurch werden Deformationen und Spannungen in dem Bauteil hervorgerufen, die zu dessen Überlastung und damit Zerstörung führen können.
Auch wenn die Deformationen nicht unmittelbar zur Zerstörung der Struktur führen, werden sich Risse öffnen, über die die Hitze zur Bewehrung vordringen kann. Die Tragfähigkeit der Struktur wird dadurch weiter reduziert.
In Zukunft wird die risikogerechte Auslegung von Schutzsystemen an Bedeutung gewinnen, um nicht zuletzt auch die Aufwendungen für Schutzmassnahmen beherrschen zu können. Auf euro­päischer Ebene gibt es verschiedene Ansätze, Anforderungen und Beurteilungen zu harmonisieren. Das EU-Projekt L-surF (Large Scale Underground Research Facility for Safety and Security; www.
l-surf.org) ist ein Ansatzpunkt, mit dem die Forschungsaktivitäten in Europa einheitlich strukturiert werden sollen.

[ Volker Wetzig, dipl. Ing., Versuchsstollen Hagerbach AG ]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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