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Hochparterre 05|2007
Zeitschrift für Architektur und Design
Hochparterre 05|2007
zur Zeitschrift: hochparterre

Sie kamen, siegten und scheiterten

Wenn die Gemeinde Domat/Ems im Kanton Graubünden am 9. Juni ihre Freizeitanlage einweiht, werden die Architekten nicht dabei sein. Die Gemeinde hatte den einstigen Wettbewerbssiegern fristlos gekündigt – wenige Wochen nach dem Spatenstich. Eine Chronik und ein Fazit.

16. Mai 2007 - Rahel Marti
Im Herbst 2003 gewann das Zürcher Architekturbüro Müller Verdan Weineck den offenen Wettbewerb für die Freizeitanlage ‹Vial› in Domat/Ems. Es war eines jener Projekte, die ein Architekt mit dem Gefühl abgibt, das könnte etwas werden. Domat/Ems plante eine Dreifachturnhalle mit Tribüne und dazu ein Musikzentrum mit Probe- und Unterrichtsräumen. Das erstrangierte Projekt sah die Dreifachhalle als Herz der Anlage vor, belichtet durch ein Glasdach, auf dem Fotovoltaik-Felder für Strom und zugleich für Schatten sorgen sollten. Um die Halle legten die Architekten einen Kranz aus eingeschossigen Trakten für die übrigen Funktionen: auf der Schmalseite nach Osten das Foyer, auf jener nach Westen das Musikzentrum, auf der Längsseite nach Süden die Garderoben, auf jener nach Norden die Geräteräume. Als Baumaterial schlugen sie den in der Region hergestellten ‹Misapor›-Beton vor, einen Konstruktionsdämmbeton. Die Jury lobte: Das Projekt sei «die Erfindung eines ganz speziellen Sporthallentypus», es habe «fast magische Ausstrahlung».

Auch Gemeindepräsident Peter Wettstein und der Leiter des Bauamts, Martin Durisch, waren zufrieden: «Der Wettbewerb hatte sich gelohnt, das Projekt gefiel uns.» Die Zusammenarbeit mit dem Zürcher Büro startete gut, rasch bot man sich das Du an. Bald stellte sich aber heraus, dass man auf das Solardach und den ‹Misapor›-Beton verzichten musste. Zwar hatten Müller Verdan Weineck für beides Fachplaner und Produzenten zur Hand, doch wäre es für die das erste Projekt dieser Grösse gewesen. «Diese Risiken mit entsprechenden Kostenfolgen konnte die Gemeinde nicht übernehmen», erklärt Peter Wettstein.

Uneins beim Dach

Am 16. Mai 2004 bewilligte die Gemeindeversammlung den Baukredit von zwölf Millionen Franken, am 1. Dezember reichten die Architekten die Baueingabe ein. Form und Konstruktion des Dachs blieben Diskussionspunkte. Statt des Glasdachs hatten Müller Verdan Weineck ein Flachdach mit rund vierzig Oberlichtern ausgearbeitet, um das Zenitallicht beizubehalten. Die Neigung der mit Spezialisten entwickelten Konstruktion betrug 1,5 Prozent, das in den SIA-Normen verlangte Minimum. Doch Dieter Federspiel, Domat/Emser Bauvorstand, und Bauamtleiter Durisch blieben skeptisch: «Mit Flachdächern hatten wir schlechte Erfahrungen gemacht, sie waren oft undicht.» Sie forderten ein Gefälle von mindestens 5 Prozent. Die Architekten konstruierten diese Variante, schlossen sie aber für eine Realisierung aus. Das höhere Gefälle war weder technisch nötig, noch entsprach es ihrer architektonischen Idee.

Weitere Diskussionspunkte waren Kosten und Termine. Die Gemeinde erwog anfangs, einen Generalunternehmer zu verpflichten. Doch die Architekten wollten die Ausführung selbst planen; für die örtliche Bauleitung nahmen sie das Churer Büro Albertin Zoanni unter Vertrag. Zur Kontrolle der Kosten und Termine schlugen sie vor, mit der Garantengesellschaft SGC zusammenzuarbeiten. Die SGC prüfte Architekten, Pläne und den Kostenvoranschlag auf Punkt und Komma. Sie zeigte Verbesserungs- und Einsparmöglichkeiten auf und bot der Gemeinde einen Kostengarantievertrag an, basierend auf Preisen von Unternehmern aus Stadtregionen wie Basel oder Zürich. Die SGC bestätigte, dass Müller Verdan Weineck korrekt geplant und – wenn auch knapp – gerechnet hatten und fähig waren, den Bau auszuführen. Als Referenz diente etwa die Sporthalle ‹Gotthelf› in Thun, die das Büro gerade ausführte, auch dies ein Wettbewerbserfolg.

Doch Wettstein und Durisch misstrauten dem Gutachten: «Es war nicht fundiert genug und brachte nicht, was wir erhofft hatten. Zudem ergab die öffentliche Ausschreibung, dass die Baumeisterarbeiten wesentlich teurer würden als budgetiert.» Das aber lag an der Gemeinde: Ihre Ausschreibung hatte die Preise weniger hoch als üblich gewichtet. Daher reichten nur regionale Unternehmer eine Offerte ein – mit teureren Preisen. Der regionale Vorzug hätte für die SGC bedeutet, das garantierte Kostendach zu erhöhen: «Will man aus politischen Gründen nur regionale Firmen berücksichtigen, so muss man oft mit höheren Preisen rechnen, weil der Wettbewerb nicht voll spielt», erklärt Beat Walder, Geschäftsleiter der SGC Basel. Aber die Gemeinde lehnte ein höheres Kostendach ebenso ab wie die Zusammenarbeit mit der SGC. Walders Fazit: «Die Domat/Emser wollten viel: eine Garantie auf den ganzen Bau, den genehmigten Kredit einhalten sowie örtliche Unternehmen berücksichtigen – Fünfer und Weggli.»

Bis September 2005 arbeiteten Müller Verdan Weineck an der Ausführungsplanung weiter. Noch immer rang man ums Dach, zudem um die Garderoben: Wichtiger Teil des jurierten Projekts waren direkte Eingänge in alle sechs Garderoben, um die Wege zu entflechten. Der Kanton als Subventionsgeber – in der Jury nicht vertreten – lehnte dies ab mit Bedenken bezüglich der Sicherheit und der Brauchbarkeit. Doch die Architekten planten nicht um und beliessen auch einige laut Kanton unnötige Toiletten. Beim Spatenstich am 5. September 2005 bemühten sich Gemeinde und Architekten um Harmonie – aber die Probleme wuchsen. «Die Gemeinde machte uns verantwortlich für Verzögerungen und höhere Preise, die auf ihre Änderungswünsche selbst noch am laufenden Bau zurückgingen», sagen Müller Verdan Weineck. – «Die Architekten waren mit den Plänen in Verzug, sodass die Baumeister reklamierten, und in der Ausschreibung fehlten wichtige Positionen», sagen Wettstein und Durisch. «Wir fürchteten, dass wir den Bau nicht zu den veranschlagten Kosten erhalten würden.» Am 19. Oktober 2005, sechs Wochen nach dem Spatenstich, kündigte die Gemeinde den Architekten den Vertrag mit sofortiger Wirkung. In nur einer Woche mussten sie sämtliche Pläne abliefern. Die Gemeinde Domat/Ems übergab den Auftrag den bisherigen Bauleitern Robert Albertin und Alexander Zoanni.

Futter für Juristen

Gegen die Kündigung konnten die drei nicht viel unternehmen. Es blieb ihnen nichts übrig, als die Pläne abzugeben – und zu schauen, dass sie zu ihrem Geld kamen. Jürg Gasche, Rechtsexperte des SIA, bestätigt: «Der Architektenvertrag ist rechtlich gesehen ein Auftrag für eine Leistung und nicht für ein Produkt wie der Werkvertrag – er ist jederzeit von beiden Seiten kündbar.» In diesem Fall aber kündigte die Gemeinde spät, nach Baubeginn. Die SIA-Norm 102 sieht vor, dass bei ‹Kündigung zu Unzeiten› eine Pauschale von zehn Prozent der entzogenen Auftragssumme gefordert werden kann. Müller Verdan Weineck hätten vor Gericht deshalb Schadenersatz fordern können. Ihre Rechtsanwältin, Claudia Schneider-Heusi, riet «trotz guter Erfolgschancen» ab. «Ein Gerichtsverfahren kostet Geld und Nerven. Und es kann sich über Jahre hinziehen, ohne dass das Urteil die Kläger am Ende befriedigt.» Stattdessen einigte man sich auf einen raschen aussergerichtlichen Vergleich, der Schadenersatzansprüche, Honorare und die Abgeltung von Urheberrechten regelte. Zudem sprach die SIA-Honorarkommission den Architekten fast alle geforderten Honorare zu. Fast alles ist erledigt – sie warten noch auf die letzte Zahlung.

Zeit für ein Fazit.

Haben Müller Verdan Weineck die Anliegen der Bauherrschaft zu wenig ernst genommen? Waren sie zu ehrgeizig, wollten sie ihre Architektur stur durchsetzen? Misstrauten umgekehrt Wettstein, Federspiel und Durisch den Fähigkeiten der Architekten, redeten sie ihnen zu sehr drein? Wollte Domat/Ems das Zürcher Büro loswerden, weil das Vertrauen geschwunden war?

Mutmassungen. Sicher ist: Das Ende betrübt alle Beteiligten. Die Gemeinde kann ihre Freizeitanlage erst am kommenden 9. Juni eröffnen, dabei war dies im Oktober 2006 geplant: Diese Verzögerung und der Architektenwechsel kosten Geld und Nerven. Mit dem Resultat aber sind Peter Wettstein und Martin Durisch nach wie vor zufrieden «und jetzt ist der Bau fast fertig». Er habe im Dorf noch nie ein schlechtes Wort über die Architektur gehört, sagt Peter Wettstein. Das ist bitter für die Architekten: Sie verloren nicht nur einen 12-Millionen-Auftrag, sondern auch zwei Jahre Arbeit an einem Entwurf – den nun andere ausführten. «Es ist nicht mehr unser Projekt, aber auch kein ganz anderes», versuchen sie zu beschreiben. Vom «felsigen Charakter», den sie mit gestocktem Beton erzeugen wollten, blieb gewöhnlicher Sichtbeton übrig. Das Dach wurde auf Anweisung der Gemeinde geschlossen und «technisch einwandfrei konstruiert». Tageslicht fällt nun durch ein Fensterband auf der Nordseite in die Halle, die so ein anderer Raum geworden ist. Um zu sparen, schraubte die Gemeinde die Qualität der Detaillierung herunter – auch dies schmerzt Müller Verdan Weineck, die perfekt bauen wollen: «Eine selbst für hiesige Verhältnisse aussergewöhnlich sorgfältige Detaillierung», attestiert Martin Tschanz in ‹Werk, Bauen Wohnen› ihrer Sporthalle ‹Gotthelf› in Thun. Auch wenn die neuen Architekten in Domat/Ems unter Spardruck das Beste machten: Der Bau zeigt, dass formal einfache Architektur ins Banale kippt, wenn ihr die feinen Wesenszüge fehlen.

Ein paar Anregungen

Peter Wettstein schliesst aus dem Geschehen: «Wir überlegen, künftig professionelle Bauherrenvertreter beizuziehen. Und die Bauleitung sollte nicht unter Aufsicht der Architekten stehen.» Raphael Müller, Dominique Verdan und Ralf Weineck wollen künftig «Warnsignale früher erkennen». Sie wollten vorwärtsmachen und glaubten, den Rank schon zu finden. Doch schwelende Konflikte zu überspielen – und sei es auch gut gemeint –, ist gefährlich. «Architekten sollten hellhörig sein und bei Anzeichen von Schwierigkeiten früh Rat suchen», sagt die Rechtsanwältin Claudia Schneider-Heusi. Domat/Ems ist nicht die einzige Gemeinde, deren Beziehung zu Wettbewerbsgewinnern zu Bruch ging. Kommen Wettbewerbsgewinner von weither, geraten sie ab und zu zu Aussenseitern. Den Draht zur Bauherrschaft zu finden, braucht da Fingerspitzengefühl. Darum sind die Fachverbände gefragt: Sie müssen dafür schauen – zum Beispiel mit der SIA-Wettbewerbsordnung –, dass vor allem junge Wettbewerbsgewinner und ihr Projekt mindestens von einer Delegation der Jury und mindestens während der ersten Sitzungen begleitet werden. Dies könnte Bauherrschaften die Bedenken vor offenen Wettbewerben nehmen und Konflikte schon früh klären helfen. Und es änderte wohl auch das Verhalten der einen oder anderen Fachjurorin, die nach dem Juryentscheid die Baustelle verlassen. Wären sie weiter verantwortlich, nähmen wohl einige beim Jurieren die Anliegen der Bauherrschaft ernster.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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