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TEC21 2007|19
Veloverkehr
TEC21 2007|19
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Gegen Verkehrsstau

Sechs Prozent aller Wegstrecken werden in der Schweiz per Velo zurückgelegt. Dieser Anteil soll markant erhöht werden, denn mehr Veloverkehr ist nicht zuletzt ein Mittel gegen überlastete Strassen. Mit den Agglomerationsprogrammen wollen Bund und Kantone dieses Ziel erreichen.

7. Mai 2007 - René Hornung
Velofahren hat in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen. Über die in Mode gekommene Freizeitnutzung baut das Velo seinen Anteil auch im alltäglichen Verkehr aus – zwar langsam, aber stetig. Im Stadtverkehr ist längst klar, dass Velofahrende auf kurzen Distanzen die Schnellsten sind. Gesamtschweizerisch sind laut Mikrozensus 20001 noch immer knapp 28 % der Haushalte ohne Velo, doch in rund 30 % der Haushalte gibt es drei und mehr Velos. Im Durchschnitt verfügen 72 % aller Haushalte über mindestens ein Velo.

Damit ist allerdings noch nichts über die Nutzung gesagt. Jugendliche gehen überdurchschnittlich häufig zu Fuss und nehmen vor allem zwischen zehn und vierzehn Jahren das Velo für den Schulweg. Bei den jungen Erwachsenen zwischen 25 und 29 Jahren liegt der Anteil der mit dem Velo zurückgelegten Arbeitswege bei 5 %, bei älteren Bevölkerungsgruppen bei rund 4 %.

Förderung des langsamverkehrs
Das wollen die rund 30 Agglomerationsprogramme, die zurzeit in der Schweiz in Bearbeitung sind, ändern. Ziel der Programme ist es, die aktuellen Verkehrsprobleme zu lösen und die notorischen Staustellen zu entschärfen. Ausserdem soll damit die künftige Siedlungsstruktur gesteuert werden. Angestrebt wird eine nachhaltige Verbesserung der Verkehrssituation und der Siedlungsplanung. Der Modalsplit (Aufteilung der Verkehrsetappen auf die verschiedenen Verkehrsmittel) soll zugunsten des öffentlichen Verkehrs und des Fuss- und Veloverkehrs erhöht werden.

Der Grundsatz des Bundes lautet daher «Vermeiden, umlagern und optimieren». Dazu hat der Bund im Jahr 2000 die Fachstelle für Langsamverkehr im Bundesamt für Strassen geschaffen, die sich der Anliegen der zu Fuss Gehenden und der Velo Fahrenden annimmt. Jedes Agglomerationsprogramm muss Projekte zugunsten der zu Fuss Gehenden und Velofahrenden – samt Infrastrukturbauten – vorschlagen. Dazu gehören sowohl Reparaturmassnahmen am bestehenden Netz als auch gezielte Ausbauten ausschliesslich für den Fuss- und den Veloverkehr. Das Bundesamt für Raumentwicklung überprüft danach, ob die Förderung des Langsamverkehrs in der Planung gebührend berücksichtigt ist.Betrachtet man allerdings die ersten fertig ausgearbeiteten Agglomerationsprogramme, etwa jenes für Lausanne und Morges, stellt man fest, dass der Veloverkehr hier stiefmütterlich behandelt wurde. Das Agglomerationsprogramm für Lausanne, von seiner Topografie alles andere als eine Velostadt, enthält vor allem verbale Bekenntnisse zum Veloverkehr und schlägt für zahlreiche Stellen eine bessere Verknüpfung mit dem öffentlichen Verkehr vor. Der Ausbau des Velonetzes beschränkt sich aber auf die Verknüpfung schon vorhandener Teilstücke.

Heute, bevor die Agglomerationsprogramme greifen, stellt man unterschiedliche Anteile des Veloverkehrs in den Agglomerationen und den Städten fest. Winterthur, aus Tradition und dank der Topografie die Schweizer Vorzeige-Velostadt, bringt es auf einen Anteil an Velofahrten von 25 %, Basel liegt nur wenig darunter. In der Agglomeration Zürich werden 7.3 % der Fahrten per Velo zurückgelegt, und gesamtschweizerisch liegt der Durchschnitt bei 6 %.

Allerdings: Betrachtet man in den genannten Beispielen nur die Kernstädte, so liegt der Veloanteil deutlich höher. Grund dafür sind die kürzeren innerstädtischen Distanzen und die ausgebaute Veloinfrastruktur. Erfahrungen zeigen, dass Fördermassnahmen erfolgreich sind. Das Stadtzürcher Velonetz wurde ab Anfang der 1980er-Jahre ausgebaut, was den Veloanteil um das Dreifache, auf immerhin 7 %, steigen liess. Bis 2010 soll ein Veloanteil von12 % erreicht werden.

Dafür sind jedoch mehr zusammenhängende Velostrecken nötig, die zügig befahren werden können, denn im Alltag sind die Velofahrenden genau so in Eile wie die Autofahrenden. Wenn es mit solchen Massnahmen gelingt, mehr Arbeitspendler dazu zu bringen, das Velo zu benutzen, schafft dies nicht zuletzt Platz auf den Strassen und könnte ein Beitrag zur Lösung der Stauprobleme sein.

Grundlagen erarbeiten

Die Fachleute sind überzeugt, dass gerade in den Agglomerationen der Veloverkehr noch markant gesteigert werden kann. In der Agglomeration Bern sind beispielsweise 60 % aller Fahrten maximal 5 km lang – Strecken, die für Velos ideal sind. Bis ins Jahr 2011 soll der Veloanteil hier auf 55 % erhöht werden. Dazu werden in den insgesamt sechs Agglomerationsprogrammen auf dem Gebiet des Kantons Bern viele «unspektakuläre Einzelmassnahmen» ergriffen, so Ulrich Seewer, Leiter der Fachstelle Gesamtmobilität in der kantonalen Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion. Der kantonal-bernische «Richtplan Veloverkehr» vom Dezember 2004, ausgearbeitet von der Fachstelle Langsamverkehr, verlangt schon heute, dass bei Strassenprojekten 10 bis 20 % der Mittel für den Velo- und den Fussverkehr aufgewendet werden. In den Agglomerationsprogrammen findet man auch neue Projekte wie eine Velobrücke über die Aare (Länggasse–Nordquartier). Für die sechs bernischen Programme sind insgesamt 56 Mio. Franken für den Langsamverkehr vorgesehen.

In vielen anderen Regionen müssen die Grundlagen, über die Bern bereits verfügt, zuerst noch erarbeitet werden: Hansueli Hohl (verantwortlicher Planer für den Fuss- und Veloverkehr des Agglomerationsprogramms der Region St. Gallen - Arbon - Rorschach) stellt fest, dass es in seinem Gebiet vorerst nur wenige Ausbauprojekte gebe. «Wir haben schon vor zwei Jahren die 23 Gemeinden unserer Agglomeration – verteilt auf die drei Kantone St. Gallen, Thurgau und Appenzell-Ausserrhoden – nach ihren Wünschen zum Fuss- und Veloverkehr befragt – diese waren bescheiden.» Nun wird nochmals nachgehakt, um möglicherweise entsprechende Projekte in die Planung aufnehmen zu können.
Der Druck auf die Planungsfachleute des Veloverkehrs dürfte in den nächsten Monaten zunehmen. Die IG Velo Schweiz fordert die Regionalverbände nämlich zu Interventionen auf und liefert dazu Kontaktadressen. Im Frühjahr 2007 wird an einem Workshop eine Umsetzungshilfe vorgestellt, denn «nur wenn in den Regionen die Veloverkehrsprojekte gebündelt eingegeben werden, erhalten sie das nötige Gewicht, um mit Bundesgeldern mitfinanziert zu werden», sagt Christoph Merkli, Geschäftsführer der IG Velo Schweiz.
Das Bundesamt für Strassen arbeitet ebenfalls an einer Umsetzungshilfe in Sachen Langsamverkehr. Wann die Checkliste veröffentlicht wird, ist noch nicht bekannt.

Auch parlamentarisch soll die Veloförderung beschleunigt werden: Die SP Schweiz hat eine Mus- terinterpellation ausgearbeitet, die bei den Kantonen eingebracht werden kann. Die Regierungen sollen Zahlen über den Modalsplit in ihren Städten und Agglomerationen erfassen und veröffentlichen. Anschliessend sollen Gelder bereitgestellt und Fachstellen geschaffen werden. Im Kanton Zürich wird zurzeit gar über die Lancierung von zwei Volksinitiativen diskutiert. Die eine will vom Kanton eine Veloförderung, damit der Veloanteil in den Agglomerationen des Kantons auf 15 % ansteigt. Die zweite Initiative soll eine wirksamere Veloförderung in der Schule bringen, denn der Anteil Velofahrender Jugendlicher geht in den letzten Jahren ständig zurück.

[ René Hornung ist freier Journalist im Pressebüro St.Gallen, Mitarbeiter von «Hochparterre» und «Velojournal» ]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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