Zeitschrift

TEC21 2007|31-32
Bäder
TEC21 2007|31-32
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Weniger Sport - mehr Spass

24. August 2007 - Jean-Pierre Wymann
Das Freibad von Max Frisch und Gartenbauer Gustav Ammann liegt am Letzigraben, wo zur Römerzeit eine Villa stand und später der Galgen-
hügel. In den letzten beiden Jahren wurde die Anlage von 1949 umfassend erneuert. Wasserfontänen, Massagedüsen und ein Wellenbad steigern die Attraktivität und unterstützen den Wandel zum Erlebnisbad.

Das Freibad Letzigraben befindet sich im Entwicklungsgebiet Letzi am Schnittpunkt der Quartiere Altstetten, Albisrieden, Aussersihl und Wiedikon. Während der Industrialisierung entstand hier zwischen Zürichs Blockrandbebauung mit Wohnungen und den dörflichen Strukturen von Albisrieden und Altstetten im Südwesten ein Gebiet mit Arbeitsplätzen. Begonnen hat die Entwicklung des ehemals landwirtschaftlich genutzten Gebiets mit grossen Industriebetrieben wie der Motorenwagenfabrik Arbenz oder dem städtischen Schlachthof.

Frisch
Mitten im Zweiten Weltkrieg gewann Max Frisch den Wettbewerb für das Letzibad. Sein Projekt überzeugte die Jury durch die konsequente Anordnung der Bauten entlang der Grundstücksgrenzen. Den Eingangsbereich fügte er geschickt in den Geländezwickel als Gartenhof ein und nutzte so das ganze Grundstück. Dank diesem Auftrag konnte Frisch ein eigenes Architekturbüro gründen. Das Letzibad blieb jedoch Frischs einziges grosses Projekt. 1955 überliess er sein Büro seinem langjährigen Mitarbeiter Hannes Trösch und widmete sich ausschliesslich dem Schreiben. Die Überarbeitung des Wettbewerbsprojekts führte zu einigen funktionalen Verbesserungen, was die Anlieferung des Restaurants oder die Zufahrt zur Sanität von aussen anbelangt. Die Qualitäten des Entwurfes mit dem grossem Freiraum, in den die Wasserbecken als freie Form einbeschrieben sind, blieben erhalten. Aufgrund der Materialknappheit verzögerte sich die Ausführung des Projektes bis 1947. Frisch hoffte, an diesem geschichtsträchtigen Ort bei den Aushubarbeiten einen Schädel zu finden: «Vor hundert Jahren war hier der Galgenhügel; der Aushub wird nicht ohne Schädel sein, wie sie Hamlet in die Hand genommen hat, und weiter drüben ist es das alte Pulverhaus, das sie eben abbrechen; fast lautlos stürzen die alten Mauern, verschwinden in einer Wolke von steigendem Staub. ­­– Wären es die Pulverhäuser aller Welt.»1 Beide Wünsche haben sich nicht erfüllt. Ein Skelett wurde später doch noch gefunden, leider ohne Schädel, obwohl an diesem Ort bis 1810 Hinrichtungen stattfanden und der Galgen erst 1831 abgebrochen wurde.

Landi-Stil
Frischs Bauten sind deutlich von der Architektur der Landesausstellung beeinflusst. Die grazilen Gebäude in Leichtbauweise mit Holz, Stahl und Glas vermittelten nach dem Ende des Krieges eine geradezu heitere und unbeschwerte Stimmung. Dies trifft insbesondere auf das Restaurant zu, das als einziges Gebäude frei auf dem höchsten Punkt des Geländes steht und einen Rundblick über die ganze Anlage erlaubt. Der zweigeschossige Pavillon baut auf einer achteckigen Grundform auf. Die Holzkonstruktion des Obergeschosses ist mit schlanken Holzstützen auf den Boden abgestützt und über eine Freitreppe zugänglich, die einen Zierteich überbrückt. Der Pavillon und der schlanke hohe Sprungturm aus Beton sind die beiden Wahrzeichen des Bades.
Für die Gestaltung der Gartenanlage hat Max Frisch den Landschaftsarchitekten Gustav Ammann beigezogen, zu dessen wichtigsten Werken die Werkbundsiedlung Neubühl, die Landesausstellung 1939 und das Freibad Allenmoos von Max E. Haefeli und Werner M. Moser gehört. Im Letzibad entstand ein «Wohngarten», ein erweiterter Wohnraum in der Natur, der Architektur und Landschaft miteinander verbindet. Geschwungene Wege aus Natursteinplatten führen über das sanft modulierte Gelände. Lockere Baum- und Strauchgruppen ersetzen geschnittene Hecken und gliedern die grosszügige Gartenanlage. Überhaupt war die ursprüngliche Bepflanzung sehr vielfältig. Neben schlanken Säulenpappeln, ausladenden Trauerweiden, fiederblättrigen Laub- und grossblättrigen Trompetenbäumen kommen auch Kiefern und Lärchen vor.

Umnutzung
Das Bad ist als Baudenkmal eingestuft. weberbrunner architekten und SKK Landschaftsarchitektur haben es verstanden, der Anlage innerhalb von zwei Jahren ihre ursprüngliche Gestalt zurückzugeben und sie dabei schonend vom Sport- und Freizeitbad zum Freizeit- und Erlebnisbad umzubauen. Für die Saison 2006 musste das Bad geschlossen werden. Insgesamt gliederte sich das Bauvorhaben in 13 verschiedene Baustellen. Ziel war neben der Instandsetzung der Anlage die Umnutzung der nicht mehr verwendeten Garderoben, die umfangreiche Erneuerung der Bädertechnik und die Umsetzung der aktuellen Vorschriften betreffend Sicherheit und Hygiene. Heute benutzen nur noch wenige Badegäste die Garderoben. Vier der ursprünglich bedienten Garderobenbereiche im Gartenhof wurden deshalb in den letzten Jahren als Lager zweckentfremdet, wobei die gesamte Einrichtung entfernt wurde. Dadurch büsste der Eingangsbereich viel von seinem Charme ein. Mit der Instandsetzung wurden die Garderobengebäude in den originalen Zustand rückgebaut. Anstelle der ursprünglichen Inneneinrichtung wurden neue, ganz verglaste Einbauten als Haus im Haus in die originale Bausubstanz eingefügt. Sie nehmen zwei Ausstellungsräume, einen Kiosk sowie eine Badeboutique auf. Das Sportschwimmen verlagerte sich im Lauf der rund 60-jährigen Geschichte des Freibades zunehmend in die Hallenbäder, da
diese das ganze Jahr über benutzbar sind. Das Sportbecken wurde somit in der Folge nur noch von Wasserballern und zum Turmspringen benutzt. Man entschied sich, das Sportbad zu einem Wellenbad umzugestalten. So konnte der Sprungturm erhalten werden, und aus dem Einschwimmbecken wurde eine hölzerne Liegefläche. Im Restaurant wurde eine Gastroküche eingebaut. Die Kombination mit der vermietbaren Lounge im Obergeschoss soll eine Nutzung über die Badesaison hinaus ermöglichen.

Technik
Für die Becken war in Anpassung an heutige Hygienestandards eine grössere Umwälzleistung erforderlich, was den Ersatz der Wasserleitungen notwendig machte. Schwierigkeiten tauchten im Bereich der Ringleitungen um die Wasserbecken auf. Die Platten des Umgangs und der obere Rand der Beckenwand mit der Rinne mussten neu betoniert werden. Besondere Sorgfalt wurde darauf verwendet, den ursprünglichen Übergang von Umgang und Becken zu bewahren. So blieben der Wasserspiegel abgesenkt und die Stärke der Betonplatten des Umgangs sichtbar. Die Beckenwand wurde konventionell mit einem Sperrputz gedichtet und hellblau gestrichen. Das Filtergebäude für die Wasseraufbereitung konnte unter die Terrasse beim Nichtschwimmerbecken integriert werden. Für den Einbau der sechs neuen 50-Tonnen-Sandfilter waren umfangreiche Massnahmen zur Verstärkung der bestehenden Konstruktion notwendig. Die Desinfektion erfolgt mit Chlorgranulat und die Neutralisation mit Schwefelsäure. Die Anlage wälzt in zwei Kreisläufen insgesamt zwei Millionen Liter pro Stunde um. Eine Luftwärmepumpe sorgt für die Wassererwärmung. Solarkollektoren kamen nicht in Betracht, da ihre Aufstellung auf den Dächern der eingeschossigen Bauten die filigrane Architektur zu stark beeinträchtigt und lange Leitungen mit grossen Verlusten zur Folge gehabt hätten. Die Technikzentrale für das Wellenbad im ehemaligen Sportbecken wurde im Fundamentbereich der Sprungtürme untergebracht und bleibt ebenfalls unsichtbar.

Instandsetzung
Verschiedene Eingriffe hatten die ursprüngliche Qualität der Anlage stark beeinträchtigt. Die vielfältige Bepflanzung war stark vereinfacht und das Sportbad mit zusätzlichen Hecken ausgegrenzt worden, sodass wichtige Sichtverbindungen verloren gingen. Wege aus Natursteinplatten waren stellenweise aufgehoben oder asphaltiert, Natursteinmauern durch Betonelemente ersetzt und der Zierteich beim Restaurant zugeschüttet worden.
Mit der Instandsetzung konnten alle diese Eingriffe rückgängig gemacht werden. Als Grundlage dienten Pläne von Ammann und Frisch, alte Fotos und Pflanzenbestellungen aus der Bauzeit. Der wertvolle Baumbestand wurde weitgehend erhalten und ergänzt, um die ursprüngliche Vielfalt wieder herzustellen. Betonelemente konnten durch Sandsteinmauern ersetzt sowie Wege mit Natursteinplatten erneuert werden. Auch die Bauten sind sorgfältig instand gestellt worden. Die Recherchen zur Feststellung der ursprünglichen Farbigkeit gestalteten sich aufgrund der mehrheitlich in schwarz-weiss vorliegenden Archivfotos schwierig. Trotzdem konnte nachgewiesen werden, dass das Restaurant ursprünglich eine differenzierte Farbigkeit von Weiss und Hellblau aufwies. Sogar die noch vorhandenen originalen Gartenmöbel erhielten ihre ursprüngliche Farbe zurück.

Erneuerungswelle
Im Lauf der letzten Jahre sanierte das Hochbaudepartement der Stadt Zürich in Zusammenarbeit mit dem Sportamt sukzessiv fast alle Freibäder im Stadtgebiet. War das Freibad ursprünglich ein Ort der Hygiene und der körperlichen Ertüchtigung, so steht heute Entspannung und Spass im Vordergrund. Die unterschiedlichen Eingriffe stärken die spezifischen Eigenarten der verschiedenen Freibäder. Sie sind auf die jeweiligen Bedürfnisse der Quartierbewohnenden zugeschnitten und in eine Analyse der Stadtentwicklung eingebettet. Das Letzibad ist seit je wegen seiner Landschaftsgestaltung als «öffentlicher Wohngarten» beliebt. Überdurchschnittlich viele Stammgäste fühlen sich in den überschaubaren Räumen der Anlage wohl und mieten Umkleidekabinen gleich für eine ganze Saison.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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