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TEC21 2007|35
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TEC21 2007|35
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Eingriff als Schrumpfung

Die überbaute Fläche unseres Landes nimmt stetig zu. Jede Sekunde wird ein weiterer Quadratmeter überbaut. Parkanlagen hingegen wachsen nicht – im Gegenteil: Sie neigen zum Schrumpfen. Insbesondere wenn sie im Zentrum einer Stadt liegen, werden sie gern als Manövriermasse behandelt, als Baulandreserve. Exemplarisch illustriert dies der Zürcher Platzspitzpark.

27. August 2007 - Eeva Ruoff
Wenn eine Strasse verbreitert werden muss, das Tram eine Wendeschleife braucht oder Parkplatzbedarf herrscht, sind Grünanlagen willkommene «Leerräume». Es wird von vielen Leuten gar nicht mehr verstanden, dass ein Park mehr ist als ein Grünareal: eine künstlerische Gestaltung, in der Freiflächen, Baumgruppen und andere Elemente in einem wohlbedachten Verhältnis zueinander stehen und verschiedene Räume bilden. Welche Sichtachsen geöffnet wurden, ist nicht zufällig. Die Wahl der Bäume und Sträucher erfolgte beim gut gestalteten Park aufgrund ihrer Farbe bzw. des Farbenspiels in den verschiedenen Jahreszeiten, ihres Habitus’ und der Grösse, die sie erreichen. Wird von einem Park ein Stück weggeschnitten oder ein Raum überstellt, geht meist der Wert des Ganzen verloren und bei der historischen Anlage auch zu wenig gewürdigtes Kulturdenkmal.

Schiessplatz und Vergnügungsort

In Spätmittelalter diente das grosse, offene und teilweise mit mächtigen Bäumen bestandene Areal, das von der Schützengasse / dem Beatenplatz bis hinab zum «Spitz» reichte, als Schützenplatz und Viehweide, aber auch als allgemeiner Belustigungs- und Erholungsort der Zürcher. In den 1670er-Jahren wurde mit der Gestaltung der Flussufer begonnen. Auf Kosten der Schützengesellschaft wurden längs der Limmat und der Sihl lange Lindenalleen gepflanzt. Ferner kamen noch zwei kleine «Lust-Wäldgen», die mit Bänken versehen waren, hinzu. Die Bewohner der kleinen, von Befestigungsringen umgebenen, eng bebauten Stadt bekamen damit eine Promenade, an der die barocke Freude an Form und Ordnung im Grünen so schön zum Ausdruck kam wie in den europäischen Grossstädten. Zu Recht waren die Zürcher sehr stolz darauf. J. C. Fäsi stellte in seinem Werk «Der Canton Zürich» 1765 fest, der Schützenplatz «dienet dermalen zu einem allgemeinen Spazier-Plaze. Seine Lage, zwischen beyden Flüssen der Limat und der Sil, macht ihn hier ausnehmend angenehm ... Gereisete Personen versichern, dass ähnlich prächtige Spaziergänge in Europa nur in kleiner Anzahl anzutreffen seyn.»1

Der Park im Spitz

Um 1780 wurde der eigentliche, etwa drei Hektar grosse «Spitz» nach den Plänen des Schanzenherren Johann Caspar Fries zu einem regelrechten Park ausgestaltet. Längs der bogenförmigen Grenze zwischen dem Park und dem Schützenplatz wurde eine Reihe der damals in der Schweiz noch neuen und vielbewunderten Rosskastanien gepflanzt. Die Bodenverhältnisse sagten ihnen zu, und sie wuchsen zu ausgesprochen schönen Bäumen heran. Berichte aus dem letzten Jahrhundert belegen, dass die Bevölkerung grosse Freude an ihnen hatte. Schanzenherr Fries war offen für neuartige Ideen. Gemäss der Abwechslung und Naturverehrung, die den Befürwortern der englischen Landschaftsgärten so wichtig schienen, liess er im Platzspitz nebst den Laubbäumen selbst Tannen und Lärchen setzen, was eine radikale Abweichung von der damals üblichen Baumwahl für Promenaden war.

Den Höhepunkt der mondänen Gestaltung bildete schliesslich die Erstellung des Denkmals für Salomon Gessner im Jahr 1790. Es steht noch immer an seinem alten Platz, allerdings ohne die Bepflanzung, die ihm ursprünglich mehr Gewicht verlieh. Die Kosten des Monuments wurden von seinen Verehrern übernommen. Das Denkmal war auch eine gute Werbung für die Stadt Zürich, genoss doch Gessner dank seiner «Idyllen» einen euro­päischen Ruf wie kaum ein anderer Zürcher vor oder nach ihm. Die zahlreichen Kupferstiche vom Monument im Platzspitz zeugen von der nochmals stark auflebenden Gessner-Verehrung in den kulturell interessierten Kreisen Europas.

Wegen Missernten und hohen Lebensmittelpreisen richtete man auf dem nördlichen Teil des Schützenplatzes im Jahr 1790 Kleingärten ein, die den städtischen Armen für die Selbstversorgung zur Verfügung gestellt wurden. Der südliche Teil blieb nach wie vor den Schiessübungen vorbehalten, bis diese um 1860 ins so genannte Sihlhölzli verlegt wurden. Der erste Bahnhofbau war schon vorher auf dem südlichen Teil des Kleingartenareals erstellt worden. Die restlichen Pflanzplätze waren danach umso begehrter, aber sie gaben Anlass zu Beschwerden wegen des Düngergestanks.
Der Stadtrat, der Klagen müde, vermietete dann das Gelände 1854 kurzerhand einem Augsburger Geschäftsmann, der dort eine Gasfabrik erstellen liess. Der Vertrag war allerdings für die Stadt ungünstig. Als er ablief, liess der Stadtrat eine neue Gasfabrik im Industriequartier bauen. Die Verlegung der Fabrik kam dem Platzspitzpark sehr zugute.

Obwohl nicht gleich an seiner Grenze stehend, war die Fabrik keine Augenweide und verbreitete unangenehme Geruchsbelästigungen.
Überschwemmungen der Sihl hatten immer wieder Schäden am Park verursacht, vor allem Uferrutschungen. Besonders die Allee längs der Sihl hatte öfters sehr gelitten, und der Stadtgärtner Rudolf Blatter fand es abwegig, trotzdem zu versuchen, die zwei Reihen von gleich grossen Bäumen voll zu erhalten. Er liess deshalb im Jahr 1867 eine «englische» Allee anlegen, zu der sowohl ein Teil der alten Bäume als auch Gruppen von neuen diente. Das Ganze wurde so gestaltet, dass der bisherige Eindruck von zufällig zusammengewürfelten Bäumen verschwand.

Zürich bekommt das Landesmuseum

Die Landesausstellung von 1883 fand primär auf dem Gelände der ehemaligen Gasfabrik und auf der anderen Sihlseite statt, aber auch der Platzspitzpark wurde stark belegt. Anfänglich wurde die Ausstellung nicht besonders gut besucht, gegen Herbst strömten dann die Menschen aber doch aus allen Landesteilen nach Zürich und bescherten der Veranstaltung Erfolg. Die Lage des Ausstellungsgeländes unmittelbar beim Bahnhof trug wohl auch einiges dazu bei. Sie sollte dann auch für die Wahl des Standorts für das Schweizerische Landesmuseum bestimmend sein. 1892 wurde mit dessen Bau begonnen.

Die Anlagen um das neue Museum wurden vom bekannten belgisch-schweizerischen Landschaftsarchitekten Evariste Mertens (1846–1907) in Zusammenarbeit mit Gustav Gull geschaffen. Sie waren auf das Areal der ehemaligen Armengärten begrenzt und tangierten den von Fries gestalteten alten Park nicht. Die Reihe der im 18. Jahrhundert gesetzten Rosskastanien musste erst im Zusammenhang mit der Renovation nach den Zerstörungen von 1993, als der Park von Drogenabhängigen belagert war, gänzlich erneuert werden. Die damalige Renovation des Parks musste schnell erfolgen, es konnte keine Zeit in eine detaillierte Planung investiert werden. Dies kommt nun den Befürwortern von Erweiterungsbauten des Landesmuseums gelegen, die den Platspitz dafür in Anspruch nehmen wollen. Der Park macht gegenwärtig einen gestalterisch unbeholfenen Eindruck, was durch Bauinstallationen für die Renovierung des Museums noch wesentlich gesteigert wird.
Noch schlechter ist es um die Umgebungsgestaltungen auf der Bahnhofseite des Museums bestellt. Seit über einem halben Jahrhundert erfolgten immer wieder Eingriffe, die die Anlagen zusehends entwerteten. Auch für die Gull’sche Architektur bedeuteten Änderungen wie Treppenabgänge in den unterirdischen Bahnhof, die Erhöhung der Fahrbahn der Museumsstrasse und ihre Verengung wegen der Erweiterung des Bahnhofs sowie der Verlust von grossen Alleebäumen eine schwere Beeinträchtigung, die auch die Ausstrahlung des Landesmuseumsgebäudes tangiert. Hinzu kommt, dass der Platzspitzpark gerade in der schönsten Jahreszeit immer häufiger für Veranstaltungen missbraucht wird, die in einem Park nichts zu suchen haben, und als Ort, wo die Nebenbetriebe von Veranstaltungen im Landesmuseumshof mit ihren Baracken, Zelten und Wagen untergebracht werden.

Bauen im Park?

Das Schweizerische Landesmuseum plant seit einigen Jahren, Erweiterungsbauten in den Park zu stellen. Trotz der auf vielseitige Kritik hin erfolgten Reduzierung des ursprünglich vorgesehenen Bauvolumens würde der Platzspitzpark damit zerstört. Es ist unverständlich, dass ausgerechnet das Bundesamt für Kultur auf die Verwirklichung des Vorhabens drängt und sich nicht dafür einsetzt, dass ein anderer Standort für die Museumserweiterung gewählt wird.
Anmerkung:
[1] Johann Conrad Faesis, Pfarrers der Gemeinde Uetikon an dem Zürich-See und Mitglieds der Eidgenössischen Gesellschaft zu Schinznach, genaue und vollständige Staats- und Erd-Beschreibung der ganzen helvetischen Eidgenossenschaft, derselben gemeiner Herrschaften und zugewandten Orten, Band I. Zürich 1765.

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