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TEC21 2007|37
Los Angeles
TEC21 2007|37
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Downtown Lofts

Im Geschäftsviertel Downtown L.A. entstehen seit längerer Zeit die ­ersten neuen Wohntürme. Drei verschiedene Projekte zeigen die Schwierigkeiten und Möglichkeiten auf, den Stadtteil von Los Angeles am Abend wieder mit Leben zu füllen.

10. September 2007 - Christopher Hawthorne
Downtown Los Angeles war schon immer eine Art von urbanem Paradox oder mindestens ein Widerspruch in sich: Es ist das Zentrum einer Region, die seit je ohne Zentrum ist, im Auge des Hurrikans der Zersiedelung. Die Stadtväter ebenso wie die Einwohner haben immer darauf gehofft, dass dieses Viertel mit seinen Bahnlinien und dem Netz von ineinander greifenden Freeways eines Tages eine Art kritischer Masse erreichen und so etwas wie das Herz dieser gigantischen Stadt darstellen würde. Trotz dieser Hoffnungen fühlt sich Downtown immer noch nicht wirklich wie das Zentrum von Los Angeles an und wird es wohl auch nie werden: Es gibt zu viele andere Knoten dichter Besiedelung und architektonisch interessanter Punkte in der Region, von Santa Monica bis Pasadena, sodass kein Teil der Stadt sich behaupten konnte. L.A. wird wahrscheinlich immer eine multipolare Stadt bleiben, schon deshalb, weil sie sich erst nach dem Aufstieg des privaten Autoverkehrs voll entwickelt hat. Das System der Freeways hat – sei es zum Vor- oder Nachteil – der hiesigen Landschaft eine bestimmte unscharfe Haltung zur Urbanisierung aufgestempelt.

Neuer Wohnort

In den letzten rund fünf Jahren hat der Kernbereich von Downtown L.A. jedoch neue Vitalität und Dichte gewonnen und als vielleicht überraschendste Entwicklung eine neue Art von Strassenleben. Das Viertel wurde zum Schauplatz ehrgeiziger Architekturprojekte und hat nun zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg begonnen, eine beträchtliche Anzahl neuer Einwohner anzuziehen. Es scheint nun denkbar, dass innerhalb von einem oder zwei Jahrzehnten die Zahl der Bewohner höher sein wird als die Zahl der Leute, die täglich zur Arbeit nach Downtown fahren. Während der ersten Welle der Wiederauferstehung von Downtown L.A. zum Wohnort wurden alte Lagerhäuser und Bürogebäude zu Loft-Apartments umgebaut. Nun, da sich diese Gebäude mit neuen Mietern und Käufern von Eigentumswohnungen füllen und sogar während der Immobilienmarkt in den USA wegen der Hypothekenkrise schwächelt, werden neue Wohngebäude von Grund auf entworfen und gebaut.

Drei dieser neuen Wohnprojekte in drei unterschiedlichen Bereichen von Downtown L.A. sind eine nähere Betrachtung wert. Alle zusammen sind Anzeichen des Fortschritts, den das Viertel gemacht hat, und der Herausforderungen, denen es sich beim Streben nach echter Urbanität auch weiterhin stellen muss.

Sozial- oder Luxuswohnungen?

Das Erste der Projekte, das auch die meiste Aufmerksamkeit bekam, ist ein Paar von Wohntürmen, die der Architekt Frank Gehry an der Grand Avenue plant, direkt gegenüber seiner gefeierten und mit Edelstahl verkleideten Walt Disney Concert Hall (Bild 1). Gehry wurde vom New Yorker Stadtentwicklungsunternehmen Related Cos. angeheuert, einen 50-stöckigen Wolkenkratzer – sein erstes hohes Gebäude in Los Angeles – und einen zweiten 24-stöckigen Turm auf der Fläche eines kompletten Blocks zu bauen. Die unteren Stockwerke des höheren Turms werden vom «Mandarin Oriental Hotel» belegt, darüber werden teure Eigentumswohnungen eingerichtet. Im niedrigeren Turm wird es mehr Eigentumswohnungen und einige Dutzend subventionierter Mietapartments geben. Zwischen den beiden Gebäuden wird ein Platz mit Geschäften, Restaurants, Nachtclubs und Schwimmbecken über fünf Ebenen bis hinunter zu den unterirdischen Parkhäusern entstehen. Dieser Beschreibung nach scheint es sich um ein relativ geradliniges Projekt zu handeln. In Wirklichkeit ist es alles andere als das, und es hat sowohl Gehrys Talent als auch seine Geduld bis an die Grenzen belastet. Zunächst einmal handelt es sich um eine komplizierte Public Private Partnership, an der nicht nur Related und Gehrys Firma beteiligt sind, sondern auch die Stadt und der Kreis Los Angeles, denen der Baugrund für die neuen Gebäude gehört. Die Behörden haben eine komplexe Abmachung mit Related ausgearbeitet, um 50 Millionen Dollar aus dem erwarteten Erlös des Projekts für einen neuen Stadtpark abzuzweigen, der sich von der Grand Avenue bis hinunter zur Los Angeles City Hall erstrecken soll. Der Park wird von Mark Rios und seiner Firma Rios Clementi Hale entworfen. Der Standort selbst ist nicht ohne Probleme, da er von der Grand Avenue im Norden zur Olive Street im Süden ungefähr 17 m Höhenunterschied aufweist. Dadurch wird es schwieriger, Fussgänger aus anderen Teilen von Downtown L.A. in die Geschäfte zu locken, als wenn es sich um ein vollkommen ebenes Gelände handeln würde.

Im letzten Jahr wurde das Budget des Projekts mehrmals gekürzt. Die Beziehungen zwischen Gehry und dem Entwickler waren teilweise ziemlich gespannt, und Gehry zog es in Betracht, der Kommission den Rücken zu kehren. Aber nach der neuesten Version des Designs, die im Frühjahr veröffentlicht wurde, sieht es so aus, als ob dieses Projekt durch die Unsicherheiten und Budgeteinschränkungen sogar noch positiv beeinflusst wird, so wie es auch bei einigen anderen Projekten von Gehry in der Vergangenheit der Fall war. Besonders der grosse Turm – wellenförmig mit reflektierendem Glas, wozu Gehry durch Kevin Roches UN Tower in Manhattan aus dem Jahr 1975 inspiriert wurde – wurde mit jeder neuen Designstufe besser. Er erreicht nun ein bemerkenswertes Gleichgewicht zwischen der wilden Formgebung der Disney Hall und den coolen Wolkenkratzern, von denen es ein paar Blocks weiter westlich eine Ansammlung gibt. Es wäre ein ermutigendes Zeichen gewesen, wenn ein grösserer Teil der Wohnungen einkommensschwächeren Bürgern zur Verfügung gestellt worden wäre. Jedoch sind auch bescheidenere Ansätze, Eigentumswohnungen der Spitzenklasse mit Sozialwohnungen im gleichen Gebiet zu kombinieren, in dieser Stadt nur sehr selten zu finden.

Mikro-Stadtviertel

Während der Startschuss für das Projekt in der Grand Avenue in diesem Herbst fallen wird, feiert das deutsche Architekturbüro Behnisch Partner an anderer Stelle in Downtown
sein Debüt in Los Angeles. Mill Street Lofts soll 2009 fertig gestellt werden. Es handelt sich um ein 40 Millionen Dollar teures und 16 Stockwerke hohes Gebäude mit Eigentumswohnungen, das in einer düsteren Gegend von Downtown L.A. in der Nähe des L.A. River entsteht. Die Architektur verwendet Elemente sowohl aus dem kastenförmigen Wohndesign des Habitat ’67 von Moshe Safdie als auch von den beiden alten Industriebauwerken weiter unten in der Strasse, die bereits erfolgreich zu Lofts umgebaut wurden. Der Standort gut 3 km südlich von Gehrys Vorhaben ist ein rechteckiges Gelände, auf dem sich eine Fabrik befand. Die Architekten bei Behnisch haben das Hauptgebäude diagonal zur Strasse gesetzt und dann das verbliebene Dreieck mit einer Reihe von vierstöckigen Townhouses mit eigenen Gärten gefüllt. Von dort sind es nur rund 100 m bis zu den beiden ­bestehenden Loft-Gebäuden, in deren Erdgeschossen sich Läden befinden. Zusammen werden die drei Gebäude – zwei Projekte mit angepasster Neuverwendung und ein neu ­erbauter Condo Tower – wohl einer der faszinierendsten und sicher einer der urbansten Blocks in Downtown L.A. werden. Wie aber in Amerika üblich – und besonders in Los Angeles, der Welthauptstadt der Retortenstadtteile –, wächst diese Urbanität alles andere als organisch. Die Stadtentwicklungsfirma Linear City hat die Stadt überzeugt, das Trottoir zu verbreitern und die Strasse zu einer Einbahnstrasse zu machen. Dies bietet den Fussgängern mehr Platz und Bequemlichkeit, und Cafés und Restaurants können Tische im Freien aufstellen. Die Palmen vor den Gebäuden bieten zwar nur wenig Schatten, sorgen aber für die typische L.A.-Atmosphäre.
Die Ergebnisse, wenn auch in mancher Hinsicht nicht authentisch, versprechen jedenfalls ziemlich eindrucksvoll zu sein. Wenn der Behnisch Tower eröffnet wird, hat die Entwicklungsfirma es geschafft, einen der verfallendsten und leersten Blocks in Downtown L.A. in ein blühendes Mikro-Stadtviertel zu verwandeln.

Bürokratie-Dschungel

Währenddessen nähert sich ein weiteres Loft-Gebäude seiner Vollendung – am anderen Ende von Downtown L.A., im South Park in der Nähe des Staples Center, wo die Los Angeles Lakers Basketball spielen (Bild 5). Das faszinierendste Gebäude dort, besonders im Hinblick auf die Art, wie es mit der Strasse zusammenwächst, ist Luma, ein 77 Mio. Dollar teurer und 19 Stockwerke hoher Condo Tower, der diesen Sommer fertig gestellt wurde. Das Design des Gebäudes von Ankrom Moisan Associated Architects aus Portland in ­Oregon ist forsch, aber nicht bemerkenswert: In Städten von San Francisco bis New York finden sich Dutzende solcher Apartment-Türme. Aber auf der Strassenebene werden hier Dinge versucht, die es in Los Angeles nur sehr selten gibt, und besonders in Downtown. ­Ankrom Moisan und der Landschaftsarchitekt des Projekts, Calvin Abe, haben mit der Stadtplanungsbehörde zusammengearbeitet und auf der Fussgängerebene einen breiten bepflanzten Streifen hinzugefügt, der die Abwässer nach starken Regenfällen filtert (Bild 2). Der Fussweg wird durch Brisbane Box Trees beschattet, deren Wurzeln mehr Platz zum Ausbreiten haben, als dies normalerweise in Downtown L.A. der Fall ist. Läden, Arbeitsplätze und Cafés werden sich zur Strasse hin öffnen, und an der Ecke von Hope Street und 11th Street wird es einen Zeitungsstand geben.

In jeder europäischen Stadt – und in den meisten amerikanischen Städten – wären solche Designelemente nicht der Rede wert und bedürften nicht einmal einer Genehmigung. In Los Angeles ist so etwas jedoch immer noch eine Ausnahme. Das Ablaufsystem für starke Regenfälle wurde in diesem Viertel beispielsweise nie getestet. Um die Genehmigungen zu erhalten, mussten sich die Entwickler von Luma, die South Group, durch mehrere Ebenen der Stadtbürokratie arbeiten: Strassenbehörde, Tiefbaubehörde, Abwasserbehörde, Forstbehörde und einige andere Ämter. Da die Entwickler das Gefühl hatten, ein Projekt mit schattigen Fusswegen voller Passanten würde unter dem Strich nützlich sein, überzeugten sie schliesslich die Stadt, das zu tun, was diese von jedem Projekt verlangen sollte.

Immerhin gab die Stadt dieser ungewöhnlich sorgfältigen Aufmerksamkeit gegenüber dem Design des Strassenraums ihre Zustimmung. In den vergangenen Jahren hätten die Behörden einen solchen Plan wahrscheinlich einfach abgelehnt und vom Entwickler verlangt, auf eine Art zu bauen, bei der die Fusswege hinterher nicht belebt, sondern verlassen gewesen wären. In Downtown Los Angeles, das jedes Jahr lebhafter wird, zählt dies als echter Fortschritt.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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