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hochparterre 10|2007
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 10|2007
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Der Turmbau zu Affoltern

Wieder baut Zürich einen neuen Stadtteil: in Affoltern, hinter dem Hönggerberg. Auf dem Landstrich ‹Ruggächern› werden 1000 Wohnungen hochgezogen. Aber eine städtebauliche Idee für das Areal fehlt. Das Pla-nungsinstrument heisst hier Arealüberbauung, das Zepter führt der Immobilienmarkt. Statt eines durchdachten Quartiers entsteht darum eine Reihe Grossblocks.

2. Oktober 2007 - Rahel Marti
Zürich platzt aus allen Nähten. Darum wird gebaut, wo es noch Platz hat. Zum Beispiel in Affoltern hinter dem Hönggerberg. In diesem Aussenquartier sei, rechnete die Stadt Anfang 2000 aus, noch Platz für 10 000 Einwohner oder 3500 Wohnungen. Die Mehrzahl davon sind schon gebaut oder bewilligt. Eindrücklich zeigt die Karte aller Projekte, was im Rücken der Stadt entsteht. Eindrücklich ist für die Besucherin aus der Innenstadt auch, in Affoltern aus der S-Bahn zu steigen und vor einem Feld neuer Backsteinblöcke zu stehen. Die Siedlung der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich ABZ (HP 6-7/2007) macht den Auftakt zum Areal ‹Ruggächern›. Auf dem über einen Kilometer langen Landstrich sollen 1000 Wohnungen gebaut werden. Im Süden trennt die Bahnlinie das Areal vom Quartier ab, im Norden rauscht die Autobahn A1 vorbei. Sieht man über beides hinweg und unter einigen Fliegern hindurch, schweift der Blick über Dorf, Feld, Wald. Überzeugte Agglomeriten würden sagen, man wohne hier im Grünen.

Affoltern, ein Rückschritt

Wohnen im Grünen? Dazu ist es zu spät. Gebaut werden auf dem ‹Ruggächern› Grossblocks, die beziehungslos hin-ter- und nebeneinanderstehen. Ausser Kinderkrippen sind für die gut 3000 Bewohnerinnen und Bewohner keine Dienstleistungs- oder Gewerberäume geplant. Einzig ein – noch leeres – Schulhausareal und drei Parks sorgen für öffentlichen Raum. Im Stadtmodell, wo das neue Viertel zu besichtigen steht, erinnert es an Satellitenstädte des letzten Jahrhunderts. Ein Rückschritt in Zürich, das seinen Städtebau in dicken Büchern feiert.

Begonnen hat alles wie gewohnt. Die 150 000 Quadratmeter – etwa 20 Fussballplätze – waren auf ein gutes Dutzend Parzellen und zehn Grundeigentümer verteilt, darunterfi die Stadt. Die Generalunternehmung Allreal besass die grösste Parzelle beim Bahnhof Affoltern und wollte Ende der Neunzigerjahre bauen. Die Stadt reagierte und brachte die Grundeigentümer dazu, einen Quartierplan auszuar-beiten. Die Architekten Marco Graber, Thomas Pulver und Regula Iseli gewannen 2000 den Studienauftrag dafür. Ins Team holten sie Landschaftsarchitekt Guido Hager, der später den Studienauftrag für die öffentlichen Räume gewann. Graber, Pulver und Iseli begradigten die Grundstücke zu parallelen Parzellen und zogen Strassen ein. Das den Besitzern für Freiflächen abgerungene Land verteilten sie auf drei Parks entlang der Bahnlinie. Sie zeigten auch, wie das ‹Ruggächern›, gemäss Bau- und Zonenordnung BZO in der Zone W3, mit 90 Prozent Ausnützung und dreigeschossigen Häusern bebaut werden könnte.

Aber ein Quartierplan regelt Erschliessung und Freiflächen, nicht die Bebauung. Diese wollte man über die Arealüberbauung steuern. Jenes Planungsinstrument also, das eine höhere Ausnützung gestattet als in der BZO vorgesehen, sofern eine Parzelle mindestens 6000 Quadratmeter gross ist und das Bauprojekt erhöhte architektoni-sche Ansprüche erfüllt. Dafür muss die Bauherrschaft ei-nen Wettbewerb durchführen oder das Projekt dem Baukollegium – eine Art städtischer Gestaltungsbeirat – vorlegen. Überzeugt das Projekt, gewährt die Stadt Zürich 10 Prozent mehr Ausnützung. Dies erhöht den Wert eines Grundstücks drastisch. Trotzdem verzichtete die Stadt auf einen Gestaltungsplan, um Bauregeln für alle festzulegen, etwa die maximale Gebäudehöhe. «Wir wussten, dass wir dank der Arealüberbauung die Qualität der Projekte würden kontrollieren können, entweder über die Konkurrenzverfahren oder die Begleitung durch das Baukollegium», erklärt Peter Noser, Leiter Stadtplanung im Amt für Städtebau. Der am Quartierplan beteiligte Architekt Thomas Pulver ergänzt: «Nicht alle Grundeigentümer dachten ans Bauen. Druck auf den Boden war nicht spürbar, ausser auf der Parzelle am Bahnhof. Zudem war die Festlegung der Bebauung im Rahmen des Quartierplans ausgeschlossen. Dazu hätte es einen Gestaltungsplan gebraucht. Aber vielleicht war es naiv zu glauben, dass ohne Steuerung freiwillig auf Ausnützung verzichtet wird.»

Schnell und viel

Tatsächlich geriet das ‹Ruggächern› bald in den Strudel des Immobilienmarkts. 2006 waren mit einer Ausnahme auf allen Parzellen Bauprojekte bewilligt sowie links und rechts die Grosssiedlungen der Beamtenversicherungskasse BVK des Kantons Zürich und des Unternehmers Leopold Bachmann im Bau. Niemand hatte mit diesem Tempo gerechnet. «Der Druck auf Grundstücke in Zürich ist enorm, so gross wie nirgends in der Schweiz», sagt Jürg Gros-senbacher, Projektentwickler bei der Implenia, die in Affoltern 400 Wohnungen baut. «Darum sind auch am Stadt-rand die Bodenpreise explodiert.» Warten – das könne sich niemand leisten. Wenn ein Investor ein Grundstück kaufe und darauf plane, müsse er so schnell wie möglich bauen – und so viel wie möglich.

«‹Ruggächern› wird nach den Gesetzen des Markts abgefüllt», sagt Grossenbacher. Landpreis und Mieten kann ein Investor nur gering beeinflussen – in Affoltern werden tiefere Mieten als in den Innenquartieren bezahlt –, also muss er möglichst viele Wohnungen bauen. «Um die Überbauung zu kont-rollieren, hätte die Stadt mehr bauliche Vorgaben ma-chen müssen für dieses grosse Gebiet», kritisiert Jürg Grossenbacher.Immerhin bauen hier auch drei Genossenschaften. Sie erhalten günstigen Boden von der Stadt, müssen keine Ren-dite herausholen, die Ausnützung also nicht ausreizen und können schliesslich qualitativ besser bauen. Anders die BVK: Die Anlage von Pensionskassengeldern muss laut Gesetz Höchstrenditen bringen. So knechtet das öffentliche Kapital die Bauwirtschaft und die letzten in der Reihe: die Mieterinnen und Mieter.

Vielfalt der Wohnarten verarmt

Zurück zur Arealüberbauung. Dank des Ausnützungsbonus von 10 Prozent pro Geschoss kann in der Zone W3 die Ausnützung von 90 Prozent auf 130 Prozent und die Zahl der Vollgeschosse von drei auf sieben erhöht werden; das Dachgeschoss muss angerechnet werden. Dies führt auf dem ‹Ruggächern› dazu, dass die meisten Bauten ein Erdgeschoss, sechs Obergeschosse und ein Dachgeschoss aufweisen. Sie werden also bis zu acht Geschosse hoch statt der in der BZO vorgesehenen drei.

Man muss sich fragen, ob die Arealüberbauung überhaupt die richtige Bebauung für den Stadtrand ist. Denn sie bedeutet Dichte und Höhe auch dort, wo es ringsherum lockerer und niedriger ist. Doch für Stadtplaner Peter Noser ist klar: «Gerade hier wollen wir dicht und konzentriert bauen. Für mich sind diese Siedlungen im Quartier Rugg-ächer eine Art Stadtmauer, eine klar lesbare Grenze zwischen Stadt und Land». Aber die krasse Erhöhung von drei auf acht Geschosse ist städtebaulich weder gesteuert noch kontrolliert. Sie ist eine Folge von Gesetz und Markt. Eine städtebauliche Idee für das ‹Ruggächern› fehlt. Die Arealüberbauungen sind Einzellösungen und viele Projektwettbewerbe machen noch keinen Städtebau. Warum pochte die Stadt nicht auf einen Gestaltungsplan? «Das wäre hier kaum mehr gegangen», antwortet Stadtplaner Peter Noser. «Die Grundeigentümer zu überzeugen, nach zwei Studienaufträgen und dem Prozedere des Quartierplans, also nach einem fünfjährigen Planungsprozess, nochmals ein Verfah-ren durchzuführen – das ist unter dem enormen Druck des Marktes sehr schwierig.»

Schwierig, aber nicht unmöglich. Wie die Planung des Berner Quartiers Brünnen beweist: Dort legten Stadt und Grundeigentümer in langen Verhandlungen Baufluchten und Gebäudehöhen fest (HP 11/06). Auf dem ‹Ruggächern› war der Druck der Investoren stärker und der Einfluss der Stadtplaner schwächer. Zur Dynamik des Markts hinzu kommt die gegenwärtige Begeisterung für Dichte, der auch die Architekten erliegen. Kaum jemand hinterfragt die aufgeflammte Mode der Mega-Blocks, es findet keine Diskussion darüber statt. Die Mehrheit der viel zitierten 10 000 Wohnungen, die Zürich in den letzten Jahren versprach und auch baute, sind Geschosswohnungen. Kleine Haustypen wie Reiheneinfamilienhäuser entstanden nur wenige. Die Folgen: Die Vielfalt der Wohnarten verarmt. Gerade auf einem Teil des ‹Ruggächern› wäre eine Gartenstadt vorstellbar gewesen, also Häuser und Wohnungen mit direktem Zugang zum Boden.

Das Amt für Städtebau hat die Bebauung des Areals aufgegleist und begleitet – kontrolliert aber hat es sie nicht. Für öffentlichen Raum sorgen zwar Wege und drei Parks, aber diese liegen an der Bahnlinie schlecht. Städtebauer ist der Markt. Die Folgen sind bekannt: Eintönige Bautypen und keine Läden oder Restaurants, die die Einöde beleben und die Bewohner unterhalten. Den Satelliten zum Leben zu erwecken, wird schwer, einmal mehr.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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