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TEC21 2008|01-02
Technik zum Spass
TEC21 2008|01-02
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Beschleunigung

Achterbahnen faszinieren und erschrecken zugleich. Für viele Menschen sind sie das grösste Vergnügen, andere empfinden sie als Horror. Die Fahrt mit bis zu 200 km/h über filigran wirkende Schienen und Stahlstrukturen dürfte für gesunde Menschen allerdings sicherer sein als die inidividuelle Anreise in den Vergnügungspark.

7. Januar 2008 - Thomas Halama
Die ersten Achterbahnen waren vorwiegend aus Holz gebaut und boten den Fahrgästen das Befahren einer Strecke mit Bergen und Tälern. Daher stammt auch der ebenfalls gebräuchliche Name «Berg-und-Tal-Bahn». Die erste Achterbahn wurde 1898 auf Coney Island bei New York eröffnet. Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs dann die Zahl der Bahnen vor allem in den USA rasant an. Spektakuläre Bahnen, wie sie heute in den meisten Vergnügungsparks stehen, wurden jedoch erst mit der Verwendung von Stahl als Werkstoff möglich. Er erlaubte neben Auf- und-Ab-Fahrten auch die Konstruktion komplizierterer Fahrelemente.

Fulminanter Start

Klassische Achterbahnen folgen einem ebenso simplen wie überzeugenden Prinzip: Die Wagen werden mit einer Kette die erste Rampe, den Lift, hochgezogen. Nach dem Scheitelpunkt fahren die Wagen, allein durch die Schwerkraft angetrieben, durch die Fahrstrecke. Bei neueren Bahnen können die Wagen auch praktisch aus dem Stand auf einer horizontalen Strecke «abgeschossen» werden. Dabei dienen Hydraulikzylinder, Drahtseile oder auch elektrische Linearmotoren als Antriebssysteme, sodass auf den eher langsamen und platzraubenden Lift verzichtet werden kann. Diese im Fachjargon «launched coasters» genannten Anlagen erreichen nach dem Abschuss Geschwindigkeiten von über 200 km h. Theoretisch wären auch Geschwindigkeiten bis 300 km/h möglich. Allerdings würden dann Insekten zu gefährlichen Geschossen für die ungeschützten Fahrgäste.

Fahrdynamik und Beschleunigung

Die Geschwindigkeit ist nur eines der Elemente, die das Vergnügen der Achterbahnfahrt ausmachen. Weit massgebender für das Fahrgefühl sind die g-Kräfte (Beschleunigungen), die auf den Körper wirken. Heute geht die Entwicklung bis zu einer Vertikalbeschleunigung von 6 g. Das heisst, dass die Fahrgäste nur über einen sehr kurzen Zeitraum, zum Beispiel bei einer Taldurchfahrt, mit dem bis 6fachen ihres eigenen Körpergewichts in die Sitze gedrückt werden. Durchschnittliche Achterbahnen erreichen Beschleunigungen von ca. 3g bis 3.5g. Als Gegensatz gibt es auch Fahrelemente, bei denen die Fahrgäste aus dem Sitz gehoben werden: Die sogenannte «airtime», ein kurzer Zeitraum der Schwerelosigkeit, tritt zum Beispiel auf, wenn mit hoher Geschwindigkeit über einen Hügel gefahren wird. Dieses Gefühl des Abhebens kann auch bei vielen Sportarten, insbesondere beim Ski- und Snowboardfahren, erlebt werden.

Bei Kurvenfahrten, die bei einer Achterbahn ja sehr häufig sind, treten zudem seitliche Beschleunigungen auf. Abrupte Übergänge in Kurven können Hals-, Kopf- und Nackenverletzungen verursachen. Um dies zu verhindern, werden heutige Achterbahnen um die sogenannte «Herzlinie» (Bild 3) entwickelt und konstruiert. Dabei liegt die Drehachse nicht wie früher auf der Schienenachse, sondern in der Höhe der Körpermitte. Somit legt der Kopf des Fahrgasts bei einer Kurvenein- oder -ausfahrt nur einen kurzen Weg zurück. Weiterwerden die Kurvenübergänge, ähnlich wie im Strassenbau, als Klothoiden ausgeführt, sodass der Radius bei der Ein- und der Ausfahrt deutlich grösser ist. Eine Querneigung der Schiene hat zudem zum Ziel, die hohen Fliehkräfte bei einer Kurvenfahrt in eine Vertikalkraft zu verwandeln, sodass der Fahrgast in den Sitz gedrückt wird. Diese Elemente führen dazu, dass Kurven auch mit hoher Geschwindigkeit relativ sanft durchfahren werden.

Simulierter Nervenkitzel

Bevor die ersten Fundamente oder Stützen einer Achterbahn gesetzt sind, haben Ingenieurinnen und Ingenieure die Bahn schon mehrmals mittels Computersimulationen durchfahren. Eine neue Achterbahn entsteht zuerst virtuell am Computer. Damit können die Entwickler die Fahrelemente prüfen und optimieren, bis das gewünschte Ergebnis bezüglich Fahrgefühl erreicht wird. Für jeden Streckenzentimeter können die Kräfte undBelastungen bestimmt werden, was je nach Länge der Bahn grosse Datenmengen generiert.

Nachdem die Bahn dynamisch gerechnet ist, erfolgt die statische Dimensionierung. Anhand der wirkenden Kräfte und des Schienenquerschnitts werden die nötigen Stützenabstände und Profi le bestimmt. Als Grundlage dazu dienen neben Erfahrungswerten auch viele Normen und Richtlinien, die für eine Achterbahn eingehalten werden müssen. Parallel dazu entwerfen Konstrukteure, ebenfalls virtuell, die Fahrzeuge, Stationen, Bremsen und weitere Komponenten.

Auch die Fertigung erfolgt mit Hilfe digitaler Technologien. Die Daten aus den Berechnungen können direkt auf den Biegemaschinen gelesen werden, die nachher die Rohre und Schienen in die entsprechende Form bringen. Nach wie vor ist bei der Herstellung der Strukturen aber viel Handarbeit nötig. Nachdem die Schienen gebogen sind, werden die Quertraversen und Versteifungen angeschweisst. Ein Schienenelement ist in der Regel ca. 8 bis 9 m lang. Je nach Länge der Bahn sind über 100 Elemente erforderlich. Die Schiene ist nur ein Teil der Bahn, die ohne die entsprechende Abstützung nicht halten würde. Die Stützkonstruktionen sind häufi g aus Rundrohren hergestellt (Bilder 1 und 2). Bei Bahnen, die nahe am Boden verlaufen, kommen auch offene Profi le wie H-Träger zum Einsatz. Bei hohen Bahnen wiederum sind häufi g zum Teil recht aufwändige Fachwerke nötig, um die gewünschte Steifi gkeit zu erreichen.

Je nach Belastung werden bei einer einfachen 2-Gurt-Schiene (2 tragende Rohre) relativ geringe Stützweiten notwendig. Dies wird von den Parkbetreibern nicht geschätzt, da dann viele Fundamente erstellt werden müssen und zudem die Bahn in einem Stützenwald verschwindet. Mit 3- oder 4-Gurt-Schienen oder Schienen mit Kasten- oder Rundrohrträgern können die Stützenabstände nach Bedarf entsprechend vergrössert werden (Bilder 4 − 6). Die Fortschritte in der Entwicklung und Fertigung haben dazu geführt, dass die Bahnen nicht mehr auf dem Werksgelände aufgebaut werden müssen, um die Schienenstösse zu kontrollieren. Die Schienen und Stützen werden direkt auf die Baustelle geliefert und dort montiert, wodurch sich wesentliche Zeit- und Kosteneinsparungen erzielen lassen. Jede Achterbahn ist und bleibt jedoch weiterhin ein Unikat. Ob die Berechnungen und die theoretischen Annahmen stimmen, zeigt nach wie vor erst die fertig aufgestellte Bahn.

Sicherer Schrecken

Eine Achterbahn hat viele Normen und Vorschriften zu erfüllen, bevor sie in Betrieb genommen werden darf. Die Sicherheit der Fahrgäste ist das oberste Gebot jedes Achterbahnbauers. Um dies zu gewährleisten, werden einige Systeme redundant ausgeführt. Es werden auch Elemente eingebaut, die selbst dann ein sicheres Anhalten der Wagen garantieren, wenn der Strom ausfällt. Die Steuerung erfolgt durch eine SPS (Speicherprogrammierbare Steuerung), die ihre Signale von zahlreichen Sensoren entlang der Strecke und im Stationsbereich erhält.

Auch das Engineering wird, wie beispielsweise im Brückenbau, von unabhängigen Experten kontrolliert, welche die statischen Berechnungen und Pläne bezüglich Einhaltung der Normen überprüfen. Zum Schluss wird bei mehreren Testfahrten mit Dummies geprüft, ob die Belastungen für Fahrgäste und Bahn den zu Grunde liegenden Berechnungen entsprechen. Erst wenn die Bahn diese Tests überstanden hat, darf sie in Betrieb genommen werden. Regelmässige Kontrollen der Systeme und Elemente im Betrieb helfen, allfällige Sicherheitsmängel während der Nutzung frühzeitig zu erkennen.

Das Limit des technisch Machbaren ist beim Achterbahnbau noch lange nicht erreicht. Dem stetigen Drang nach höheren, wilderen und schnelleren Bahnen setzen alleine der benötigte Raum, die Baukosten und eben der menschliche Körper Grenzen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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