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dérive 30
Cinematic Cities - Stadt im Film
dérive 30
zur Zeitschrift: dérive
Herausgeber:in: Christoph Laimer

Faszination an der Faszination

Theme Parks und urbane Inszenierungen

7. Januar 2008 - Anke Hagemann
Nicht nur in Las Vegas, Dubai oder Shang­hai, sondern längst auch in Hamburg, im Ruhrgebiet und in der „Zwischenstadt“ wird die postmoderne Stadtlandschaft zunehmend beherrscht durch Landmarks, Leuchtturmprojekte und Signature Architecture, durch Unterhaltungsindustrie, gethemete Konsumwelten und festivalisierte Kulturproduktion, durch Simulation, Exzess und Größenwahn, mit denen die Standorte international um Aufmerksamkeit konkurrieren. Dies war These und Ausgangspunkt des Symposiums Economy of Fascination. Themed Urban Landscapes of Postmodernity am Geographischen Institut der Uni Heidelberg, das seinerseits um Aufmerksamkeit warb, indem es mit Michael Sorkin, Neil Smith oder Michael Dear große Namen der US-amerikanischen kritischen Stadtforschung versammelte.

Mit welcher Theorie und welchem Vokabular können die inszenierten Urbanitäten beschrieben werden? Welche politischen oder ökonomischen Strategien stehen hinter dem „urbanen Zirkus“? In welchem Verhältnis stehen Erscheinungsform und „Realität“? Und kann die neue Stadtlandschaft eigentlich noch als postmodern aufgefasst werden? Über zwei Tage wurden diese und viele weitere Fragen diskutiert, wobei sich der erste Tag den Grundlagen und Lesarten von Faszination und Spektakel widmete, während der zweite Tag vorwiegend Fallstudien zusammentrug.

Als mögliche theoretische Basis für die Ökonomie der Faszination wurden zunächst die Auffassungen und Bedingungen von postmoderner Urbanität verhandelt. Zur Einführung lieferte Michael Dear einen synoptischen Blick auf die weitgehend „pathologischen“ und wenig progressiven Erscheinungsformen postmoderner Stadtentwicklung, wie Zersiedelung, soziale Fragmentierung und fortschreitende Privatisierung, während Jacques Levy dazu aufrief, die Komplexität, Heterogenität und Faszinationen des Urbanen als produktive und selbstheilende Kraft zu erkennen. Für Ludger Basten (der zwischen Postmodernism als Ideologie und Postmodernity als Epoche unterscheidet) ist die sich verselbständigende Peripherie, die Zwischenstadt, zum Inbegriff einer widersprüchlich-pluralistischen postmodernen Stadtlandschaft geworden, während Mark Gottdiener (der den Postmoderne-Begriff eng an die fundierten Theorien von Jameson, Soja und Harvey geknüpft wissen möchte) noch immer Las Vegas mit seinen freigesetzten Zeichensystemen als ultimatives Beispiel für Postmodernität begreift. Implizit und auch explizit wurde durch dieses diffuse Spektrum das Bedürfnis nach präziseren Termini und einer differenzierenden Betrachtung aktueller Phänomene deutlich.

Ähnlich heterogen waren die Auffassungen von Faszination und Spektakel sowie die Theorien und Methoden ihrer Beschreibung: Für Dear sind die urbanen Spektakel, wie Theme Parks oder Signature Architectures, „irresistable narcotics“ und ein ästhetisches Werkzeug, um in den gleichförmigen Landschaften des Sprawl neue Identitäten zu kreieren. Entsprechend schaffen sie laut Basten Distinktion und Vermarktungsgrundlage in der „Zwischenstadt“. Beide riefen zu einer verstärkten Einbeziehung der Alltagsperspektive und der Ebene persönlicher Erfahrung auf, blieben aber genauere Ausführungen schuldig. Neil Smith ging in seinem Beitrag den Strategien von Kosmetik, Imitation und Fetischisierung nach, mit denen die raumproduzierenden Machtstrukturen überdeckt werden. Nachdem bereits Michael Sorkin in seinem Einführungsvortrag darauf hingewiesen hatte, dass auch urbane Katastrophen wie 9/11 einen Bestandteil der Faszinationsökonomie bilden, beschrieb Neil Smith, wie die offensichtliche Faszination an den neuen Militär- und Sicherheitstechnologien in der jüngeren kritischen Stadttheorie zur reinen Skandalisierung der urbanen Kriegsführung führe und damit eine genaue Analyse der Hintergründe deutlich erschwere. Auch Michael Dear hatte davor gewarnt, dass selbst die Stadtforscher der Aufmerksamkeitsökonomie erliegen und sich von dem „Bling“ blenden lassen. Mark Gottdiener näherte sich dem Phänomen des Theming dagegen aus der Perspektive der Semiotik und entlang der Begriffe der Entfremdung (Marx/Lefebvre), Entäußerung (Hegel) und Simulation (Baudrillard). Die vielfältigen Zeichensysteme von Las Vegas stellte er der Eindimensionalität von Dubai („do-buy“) gegenüber, das mit den sich immer wiederholenden Chiffren nur eins zum Ausdruck bringen möchte: Konsum, Luxus, Exzess.
Die zahlreichen Fallstudien lieferten weitere Auslegungen der Economy of Fascination, so z.B. Paradebeispiele für die Festivalisierung und Kulturalisierung der Stadtpolitik – sei es zum Imagewandel nordenglischer Industriestädte (Gerald Wood) oder zum Branding des Ruhrgebiets als neuem Stadtkonstrukt (Achim Prossek). Die seit Bilbao ungebrochene Begeisterung am Einsatz von Flagship Museums als „magischem“, doch häufig scheiterndem Instrument zur Revitalisierung von Stadtzentren illustrierte Noam Shoval, und die geschickte mediale Selbstdarstellung Hamburgs in Imagefilmen und TV-Produktionen wurde von Anke Strüver und Sybille Bauriedl untersucht.

Als unerreichte Referenzen in Sachen Simulation und Größenwahn standen aber immer wieder Dubai und China im Zentrum des Interesses. Dieter Hassenpflug schilderte das Scheitern deutscher Architekten, die versucht hatten, in den New Towns von Shanghai ihr europäisch geprägtes Ideal einer funktionsdurchmischten Stadt gegen die herrschende Dualität von gated community und gethemetem Kommerzraum durchzusetzen. Tim Simpson zeigte eine detailreiche Innensicht aus Macau, der ehemaligen portugiesischen Kolonie und Casino-Insel, die einige Triadenkriege hinter sich hat und heute als boomendes Glücksspielparadies den ChinesIn­nen zur kontrollierten Einübung von Tourismus und Konsum dient. Dagegen blieb die Darstellung von Dubai sehr schematisch: Weder eine genaue Analyse der Zeichen- und Referenzwelten, noch der oft beschworene kritische Blick hinter die Kulissen wurde geleistet; die Aufzählung der totalitären Politik, der repressiven Arbeitsbedingungen und des exzessiven Ressourcenverbrauchs lieferte keine neuen Einsichten.

An Methoden wurde dagegen einiges aufgeboten: Semiotik und Linguistik, Diskurs­analyse und Performanz, kulturwissenschaftliche und anthropologische Zugänge. Oft schien es weniger darum zu gehen, für die beobachteten Zustände konstruktive Erklärungsmuster zu finden, als vielmehr darum, komplexe Theoriegebäude an der noch komplexeren städtischen Realität zu verifizieren. Für eine Architektin wirkt es befremdlich, dass vor der konkret-räumlichen Analyse von Architektur und Stadt halt gemacht wird und dass der Raumbegriff der Geographie damit abstrakt bleibt. So fehlten nicht nur die Brücken zwischen Theorie und Empirie, sondern auch zwischen den räumlichen Disziplinen – zwischen akademischem Diskurs und praktischem Handeln in Politik und Planung.

www.geog.uni-heidelberg.de/fascination/fascination.htm
Eine Publikation ist geplant.

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Für den Beitrag verantwortlich: dérive

Ansprechpartner:in für diese Seite: Christoph Laimermail[at]derive.at

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