Zeitschrift

TEC21 2008|08
Gesundes Licht
TEC21 2008|08
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Licht tanken

Nach einer Autofahrt durch den Gotthardtunnel ist es erholsam, eine kurze Pause in angenehmer Atmosphäre einzulegen. Die Gotthardraststätte in Uri ist seit dem Umbau im Sommer 2007 mit einer neuartigen, «biologischdynamischen» Beleuchtung ausgestattet. Das Licht verändert sich im Laufe des Tages. Die Autofahrerinnen und Autofahrer sollen dadurch wacher
werden und sich rascher erholen.

25. Februar 2008 - Annette Vonder Mühll
Die Gotthardraststätte an der A2 bei Schattdorf, Uri, besteht seit 1980. Mit einem eingeladenen Wettbewerb der Gotthardraststätte AG wurden neue Ideen für eine Erweiterung gesucht. Es sollte ein neues und zeitgemässes Konzept umgesetzt werden, wobei nicht nur Shop und Restaurant vergrössert, sondern auch der Wohlfühl- und Erholaspekt bei einer Rast stärker gewichtet werden sollte. Das Architekturbüro Germann & Achermann aus Altdorf schlug einen hallenartigen Anbau an das bestehende Gebäude vor. Der neue Baukörper ist 72 m lang, im Schnitt etwa 11 m breit und bis zu 12.5 m hoch. Die Idee der Halle als Typus leiten die Architekten von anderen Einrichtungen ab, die uns vom Reisen bekannt sind, wie etwa Abfl ug- und Bahnhofshallen; von Orten also, an denen man als Reisender halten muss, die aber auch zum Wohlbefi nden beitragen. Die Aussenhülle des Neubaus ist in grossen Teilen mit Aluminiumschindeln überzogen. Im Inneren sind die Grosszügigkeit des Raumes und die Wärme der verwendeten Materialien angenehm – besonders nach der Enge der Tunnelröhre und des oberen Urner Reusstals.

Die neue Halle, die Eingangsbereich, Shop und einen grossen Teil des Restaurants aufnimmt, dockt an das bestehende Gebäude aus den 1980er-Jahren an und integriert dieses in das neue Raumkonzept. Die drei Nutzungen sind mit Schiebewänden voneinander abtrennbar, sodass sie je nach Saison, Tages- und Nachtzeit unterschiedlich kombiniert werden können. Das Selbstbedienungsbuffet und ein kleiner Teil des Restaurants befi nden sich im bestehenden Gebäude. Um eine ruhige Atmosphäre im Innenbereich zu schaffen, wählten die Architekten warm wirkende Materialien wie cremefarbiges Feinsteinzeug für die Böden und lasierte Täfer aus Buchenholz für Wände und Decke. Für einen besseren Schallschutz wurden die Holzplatten der Verkleidung gelocht.

Verbindendes Lichtband

Auch mit dem Lichtkonzept unterstreichen die Architekten die Hallenwirkung des Neubaus. Ein 64 m langes Lichtband zieht sich auf einer Höhe von 4.8 m durch Eingang, Shop und Restaurant und fasst so die Bereiche zu einer Einheit zusammen. Das Lichtband besteht aus drei Beleuchtungskomponenten mit verschiedenen Funktionen und beinhaltet die Lautsprecheranlage. Als Träger dient eine 1.2 m breite und 25 cm hohe Holzkonstruktion, die mit Stahlseilen an den Stahlträgern der Deckenkonstruktion verankert ist. Die Stromzuleitung an der Stirnseite des Bandes oberhalb des Shops dient zugleich der horizontalen Stabilisierung des Lichtbandes. In Richtung der Decke strahlt Fluoreszenzlicht, was die Höhe des Raumes unterstreicht. Nach unten wird der Gastraum hingegen durch diffus abstrahlende Lichtfelder und mit ausrichtbaren HIT-Strahlern (Halogenmetalldampf- Lampen) beleuchtet. Diese drei Beleuchtungsarten können separat gesteuert werden. Die diffusen Lichtfelder sind den drei Nutzungen entsprechend zudem in drei Schaltgruppen unterteilt. So kann in den Nachtstunden, in denen nur der Eingangsbereich geöffnet ist, die Beleuchtung auf diesen Bereich reduziert werden.

Auch im alten Gebäudeteil lenkt die Intensität der Beleuchtung den Gast durch den niedri - g eren Bereich des Selbstbedienungsbuffets. Hier sind die Tresen stirnseitig mit grossfl ächigen opaken Leuchtwänden versehen. Die Auslagen werden zusätzlich mit speziellen Hochleistungsstrahlern punktuell beleuchtet, um Raum und Produkte optisch zu trennen. Im neu gebauten Shopbereich, der ebenso vom Lichtband an der Decke beleuchtet wird, fälltdie Beleuchtungsstärke in den Randbereichen etwas ab, wodurch die Ware in den Regalen nicht immer optimal angeleuchtet werden kann. Die Absicht des Entwurfes ist, dass sich der Gast wohlfühlt.

Dem Tagesverlauf entlehnt

Zentral war die Idee, mit künstlicher Beleuchtung positive Lichtreize zu erzeugen und einen zeitlichen Rhythmus zu schaffen. Das Beleuchtungssystem wurde laut Hersteller unter anderem zusammen mit den Forschungsinstituten Spazio S.a.S. (Mailand), CNR (Nationales Forschungszentrum Rom) und dem Lighting Research Center des Rensselaer Polytechnic Institute in Troy (New York) entwickelt. Dabei wurden auch die psychologischen Auswirkungen von Licht berücksichtigt. Die diffusen Lichtfelder des Lichtbandes wurden so programmiert, dass sie sich nach einem zeitlichen Ablauf dynamisch verändern. «Biologisch- dynamisches» Licht wird dieses aktive Beleuchtungssystem vom Hersteller der Leuchte genannt. Im Laufe des Tages werden die Lichtstärke und die Lichttemperatur verändert, sodass sie dem Wandel des Farbspektrums des Sonnenlichts im Tagesablauf entsprechen. Mit laufenden Forschungsprojekten und Studien soll derzeit nachgewiesen werden, dass das auch eher dem Stoffwechsel der Menschen entspricht als eine immer gleiche Beleuchtung – und damit angeblich die Erholung beschleunigt (vgl. S.26 ff.). Am Morgen ist die Lichtintensität gering und die Farbtemperatur eher warm. Gegen Mittag erhöht sich die Intensität, während die Farbtemperatur kühler wird. Um die Mittagszeit wird die volle Stärke mit kühlem Licht erreicht. Gegen Abend wird das Licht wieder wärmer, angenehmer und weicher (Bilder 2–4).

Nach Sonnenuntergang beginnt in der Raststätte das Lichtspiel von Neuem; spät ankommende Gäste erleben so einen neuen «Sonnenaufgang», wobei der Körper das Signal «Wach werden!» erhalten soll. Lichtintensität und Farbtemperatur sind aber nicht vom Aussenlicht, sondern von der Tageszeit abhängig – und genau diese Gleichheit in Sommer 05 und Winter macht das Projekt nicht minergiefähig, denn sie bedingt den Bezug auf dieHelligkeit des Aussenraumes bei einem Projekt (siehe Kasten). Jedes Lichtfeld des Lichtbandes (Bild 5) beinhaltet sieben T16-Leuchtstoffl ampen à 54 W mit zwei unterschiedlichen Farbtemperaturen (4 × 6500 K und 3 × 2700 K). Durch diese Zusammensetzung der Lichtfarben kann ein dynamischer Verlauf von kaltweiss bis warmweiss gemischt werden. Die Steuerung funktioniert so, dass der mittlere Eingangsbereich mit dem 24-Stunden-Betrieb als Master dient, nach dem sich die beiden anderen Gruppen (Shop und Restaurant) richten. Alle 30 Sekunden wird ein Signal an den Master gesendet, der die Einstellung aktualisiert. Die Veränderung wird vom Auge des Betrachters nicht wahrgenommen. Die Gruppen Shop und Restaurant können vom Betreiber auch manuell verändert werden und bleiben dann statisch, bis sie wieder dem Master zugeordnet werden.

(K)ein Erfahrungsbericht

Die Verkäuferin an der Kasse im Shop arbeitet bis zu acht Stunden am Tag und hat bisher nicht bemerkt, dass sich das Licht dem Tagesrhythmus anpasst. Sie werde in Zukunft darauf achten, versichert sie. Ist das nun ein positives oder ein negatives Urteil? Soll man die Veränderung bemerken oder sich einfach nur wohl fühlen? Und würde sich die Verkäuferin bei statischem Licht unwohler fühlen? Die Antwort steht heute noch aus.

[ Annette Vonder Mühll, dipl. Designerin FH / dipl. Lichtdesignerin SLG ]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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