Zeitschrift

TEC21 2008|08
Gesundes Licht
TEC21 2008|08
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Wie Tag und Nacht

Physiologische Aspekte stehen im Zentrum des Interesses des schweizerischfranzösischen Architekten und Künstlers Philippe Rahm. In seine Installationen und Projekte integriert er die Zeit und das Klima und passt beides den Bedürfnissen der Nutzer an. Eines seiner aktuellen Projekte beschäftigt sich mit der Auswirkung des Raumes bei unterschiedlichem Licht.

25. Februar 2008 - Katinka Corts-Münzner
Viele Projekte von Philippe Rahm, der bis 2004 mit Jean-Gilles Décosterd zusammengearbeitet hat, drehen sich um Klima- und Lichträume – so etwa der Biennale-Beitrag «Hormo nium» von 2002 oder die Installation «Melatonin Room» zwei Jahre zuvor (vgl. TEC21 Nr. 36/2002 und 43/2004). Ein aktuelles Projekt Rahms, das seit 2007 besteht, ist ein Café, in dem die Wahrnehmung des Gastes über die physiologischen Wirkungen von Licht gezielt manipuliert werden soll. Ein blau verglaster Raum soll den Tag, ein gelb verglaster Bereich des Cafés die Nacht simulieren. Das Gebäude wird in das Fabric Outlet Center (FOC) im Schlosspark Eybesfeld im österreichischen Jöss, südlich von Graz, integriert.

Shoppen im Schlosspark

Nach dem Kauf der sanierungsbedürftigen Schlossanlage mit grossem Park entschloss sich die Bauherrschaft, die Restaurierung und Renovation gemeinsam mit verschiedenen Künstlern und Landschaftsgestaltern in Angriff zu nehmen. Das entwickelte Konzept sieht vor, wichtige historische Teile und Anlagen des Schlosses zu restaurierten; in anderen Bereichen des 70 ha grossen Geländes sollen zeitgenössische Kunst, Architektur und Landschaftsgestaltung Raum erhalten. Auf dem Gelände sollte neben temporärer Kunst und der sich verändernden Landschaft auch ein statischer Bereich entstehen. So wurden auf den Ländereien von Eybesfeld neue Gewerbefl ächen ausgewiesen, ein Fabric Outlet Center (FOC) sollte Mittelpunkt der neuen Anlage werden und auch die umgebende Landschaft nachhaltig verändern. Denn das Gut liegt an einer alten Handelsroute in einer Hügellandschaft und ist auch heute gut an Infrastrukturen wie Autobahn und Schnellstrassen angebunden. In der Umgebung befi nden sich neben Nutzwäldern, kleinen Städtchen und Dörfern auch grosse Gewerbegebiete. Die Landschaft um das Schloss erscheint heute nicht mehr als Einheit, sondern als Collage vieler kleiner Teile, denen die grossräumigen Beziehungen fehlen. Künstler und Bauherrschaft beschäftigten sich deshalb mit der Frage, inwieweit eine neue, die Einzelteile fassende Struktur auf dem Schlossareal umgesetzt werden könnte. In einem Masterplan entwickelten die Wiener Architekten BEHF ein räumlich übergeordnetes Landschaftskonzept, das das FOC in die Umgebung einbinden und ein räumliches Gesamtkunstwerk schaffen soll. Die Einkaufsmeile liegt im Zentrum der Gesamtplanung und nimmt im Masterplan eine Schlüsselposition ein. Alle Geschäfte gruppieren sich um einen zeitgenössisch gestalteten Garten. In diesem werden Kunst- und Raumobjekte die Kundschaft zum Verweilen einladen. Das Verkaufsareal wird von grünen Adern durchzogen, die einen Bezug zur umgebenden Landschaft schaffen und die Anlage mit dem Schlosspark und den umgebenden Wäldern verbinden.

«Split Time Café»

In diesem zentralen Garten soll auch das «Split Time Café» von Philippe Rahm eingebettet werden. Es ist in drei voneinander abgeschottete Bereiche unterteilt, jeder davon in ein eigenes Licht getaucht. Das soll bei den Gästen unterschiedliche Stimmungen wecken und verschiedene Wachheitsgrade verursachen. Die Gestaltung der Räume basiert auch auf neueren Erkenntnissen über die innere biologische Uhr des Menschen, seine Aktivierung mit Licht und den Melatoninhaushalt. Dieses im Gehirn produzierte Hormon wirkt schlaffördernd und ist für den Tag-Nacht-Rhythmus wichtig. Seine Ausschüttung wird durch die biologische Uhr und durch Licht gesteuert. Dabei, so fanden Wissenschafter heraus, reagiert dermenschliche Körper bei der Aktivierung mit Licht sehr stark auf die blaugrüne Region des Lichtspektrums (Strahlung zwischen 400 und 500 nm).

Mit Gelborange-Filtern, die nur das blaugrüne Spektrum des Lichtes blockieren, könnten also Räume geschaffen werden, in denen die Aktivierung des Körpers gedämpft wird. In dieser künstlich geschaffenen Nacht würden Menschen schneller müde werden.1 Als Gegenstück dazu könnte ein Glas mit Blaugrün-Filtern, das gelborangefarbenes Licht blockiert, die Aktivierung erhöhen und die Menschen im Raum wach halten. Im «Split Time Café» betritt der Gast zunächst einen Vorraum, der ihn in den grösseren Hauptraum führt. Die Fassade ist hier aus klarem, farblosem Glas und lässt das natürliche, reine Tageslicht ungefi ltert in den Innenraum: Der Gast erlebt in Echtzeit den Tagesverlauf, Witterung, Bewölkung und Besonnung und die natürliche Zu- und Abnahme der Lichtintensität. Möbliert ist der Raum wie ein traditionelles Café mit Tischen und Stühlen. Vom Hauptraum aus erreicht man den Tag- und den Nachtbereich. Der Tagbereich ist umgeben von blau eingefärbtem oder beschichtetem Glas. Hier wird der ewige Tag simuliert. Als Einrichtung sind bislang nur hohe Tische geplant, an denen die Kundschaft steht. Der zweite Raum ist gelb verglast. Hier wird am helllichten Tag eine physiologische Nacht erzeugt, obwohl der Raum hell erleuchtet ist. Die Möblierung soll entsprechend der empfundenen Tageszeit eher an eine Lounge erinnern. Bei Dunkelheit und im lichtärmeren Winter sollen die blaue und die gelbe Stimmung in den Räumen durch künstliche Leuchten erzeugt werden. Die Architektur gestaltet hier nicht mehr vordergründig den Raum, sondern dient vielmehr als Fassung für Zeit – sie konstruiert Tag und Nacht. Die Architektur wird zur Zeitmaschine.
Anmerkungen
[1] A. Sasseville, N. Paquet, J. Sévign und M. Hébert, Laval University, Laval-CHUL Research Centre, Quebec City, Kanada 04 05 06

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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