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TEC21 2008|10
Intelligentes Wohnen
TEC21 2008|10
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Knöpfe, Schalter und unsichtbare Vorgänge

Seit rund 100 Jahren wird in regelmässigen Abständen die Revolutionierung des Wohnens durch neue technische Errungenschaften angekündigt. Was ist wirklich daran? Ein historischer Rückblick erinnert an haustechnische Pionierleistungen, avantgardistische Ausstattungen und skurrile Details.

3. März 2008 - Katrin Eberhard
Obwohl man vom «intelligenten Haus» eigentlich erst dann sprechen kann, wenn Computer die Steuerung von Jalousien, Alarm- oder Klimaanlagen automatisch erledigen, hat das so genannte «smart home» seine Wurzeln im 19. Jahrhundert: dort nämlich, wo Kohle, Gas und später Elektrizität erste haustechnische Apparate und Maschinen antreiben, die nicht nur für das Wohlbefinden der Bewohner sorgen, sondern beispielsweise auch die Kontrolle über Vorgänge im Haus oder über Angestellte gewährleisten. Im Folgenden sollen einige der technisch progressivsten Gebäude, aber auch unausgeführte Projekte zwischen 1880 und 1940 kurz beschrieben und analysiert werden. Wiederkehrende (Verkaufs-)Argumente, Interessen ebenso wie Fantasien ermöglichen Rückschlüsse auch auf die heutigen Entwicklungen in diesem Gebiet der Bautätigkeit.

Zentralheizung und Thermostat

Haustechnik im traditionellen Sinne umfasst jene Systeme, die in die Struktur des Hauses hineingedacht und gebaut sind und für ihr Funktionieren ein Netz von Leitungen benötigen. Eines der ersten dieser Systeme ist die Zentralheizung.[1] Der deutsche Stahlindustrielle Alfred Krupp baut schon 1873 in seine Essener «Villa Hügel» eine Niederdruck-Warmwasserheizung ein, die – den individuellen Wünschen der Bewohner gehorchend – in jedem Raum separat reguliert werden kann.[2] Das Wasser zirkuliert in dicken Eisenrohren, die sich jeweils in einer Ecke der verschiedenen Zimmer befinden (Bild 1). Die Beheizung der Zimmer ohne Russ und Rauch stellt nicht nur für die Hausherrschaft einen ungeahnten Luxus dar, sondern auch für die Dienstboten, die keine Kohle und kein Holz mehr herantragen und Feuer anfachen müssen. Eine Zentralheizung von 1880 kann nun zwar nicht als «automatisch» im heutigen Sinne bezeichnet werden; für den Zeitgenossen wird jedoch die Möglichkeit, über einen Drehknopf die Temperatur seines Zimmers regulieren zu können, mindestens ebenso aufregend gewesen sein, wie es heute die Aktivierung des Backofens über Internet sein kann. Eine Teilautomatisierung der Zentralheizung tritt mit ersten Thermostaten etwa ab 1890 ein: Diese regulieren den Wärmezufluss selbsttätig und garantieren somit ein mehr oder weniger konstantes Temperaturniveau. Die Diffusion der Zentralheizung ebenso wie die Entwicklung der Thermostaten erfolgt zuerst in den Vereinigten Staaten von Amerika. Noch 1928 muss Kees van der Leeuw, Mitbesitzer der Kolonialwarenfabrik Van Nelle und Bauherr des aussergewöhnlich raffinierten «Huis Van der Leeuw» in Rotterdam, die von ihm gewünschten Thermostaten von dort importieren.

Luxus, Organisation und Kontrolle

Eines der ausgefallensten Wohnhäuser des frühen 20. Jahrhunderts ist zweifelsohne die vom Erfinder Gëorgia Knap erbaute und ausgestattete «Villa Féria Electra», auch «Maison Electrique» genannt, die 1904 im französischen Troyes erbaut und 1907 nach Paris transferiert wird. Herzstück des Hauses ist die im Keller befindliche, voll elektrisierte Küche, von der mittels Liften die Speisen durch eine Öffnung im Boden direkt auf den Esstisch befördert werden können. Auf einer Schiene in der Mitte des Tisches bewegen sich die Platten, Schüsseln oder Brotkörbchen vor jeden Gast, lassen ihm Zeit zum Schöpfen und fahren dann zum Tischnachbarn. Die Kommunikation mit dem Personal im Keller geschieht über eine Gegensprechanlage, deren Mikrofone im Kronleuchter versteckt sind (Bild 2).[3] Das bereits erwähnte «Huis Van der Leeuw», entworfen von Jan Brinkman und Leen Van der Vlugt – den gleichen Architekten, die wenige Jahre zuvor schon für das berühmte «Van Nelle»- Fabrikgebäude verantwortlich zeichnen –, kommt einem heutigen «smart home» schon sehr nahe: Es verfügt über synchron geschaltete elektrische Uhren und Lautsprecher, durch einen Motor versenkbare Fensterscheiben und eine Telefonanlage, die sowohl zur hausinternen als auch zur externen Kommunikation dient (Bild 3). Der Architekt Richard Neutra übernachtet 1931 dort und berichtet: «Herr van der Leeuw lud mich und meine Frau in sein Haus in Rotterdam ein, und ein paar Wochen später befanden wir uns tatsächlich dort in der ‹Kraslingische plaslaan›. Es war das modernste Haus, das ich mir jemals erträumt hatte: ein Aufgebot technischer Neuheiten, von englischem Gummibelag für die Fussböden und gewundenen Metalltreppen bis zu Mikrophonverbindungen am Eingang und von Zimmer zu Zimmer und zu Luftabzügen für Zigarettenrauch, sobald dieser den Mund verlassen hatte; die Durchorganisierung des Lebens ging bis zu einer komplizierten Schalttafel über unseren Gastbetten, um alle möglichen Beleuchtungseffekte herbeizuführen, die Vorhänge an den Fenstern zurückzuziehen und auf elektrischem Weg heisses und kaltes Wasser im Badezimmer anzudrehen, alles während man im Bett lag. Wir brauchten nur eine halbe Stunde, um van der Leeuws Erklärungen für all die Schaltknöpfe zu verstehen und uns heimisch zu fühlen.»[4] Wenn auch das Andrehen des Wassers über Knopfdruck etwas übertrieben scheint, so wird doch die Faszination spürbar, die von den versteckt eingebauten «technischen Neuheiten» ausgeht. Für den uneingeweihten Betrachter tatsächlich sichtbar ist nur eine Reihe von Schaltern: Mit deren Hilfe setzt der Benutzer ihm verborgene Maschinen in Gang, welche die Vorhänge bewegen, Musik erklingen lassen oder ihm die Kommunikation mit Personen in anderen Räumen ermöglichen. Kees van der Leeuw steuert jedoch von seinem Bett aus nicht nur Einrichtungen des Hauses, sondern kontrolliert auch seine Bediensteten. Über Knopfdruck kann er die einzige Verbindungstür zwischen dem Angestelltenflügel und seinen Räumlichkeiten verschliessen und sich so vor allfälligen «unzeitigen Besuchen»[5] schützen.

Künstliche Ventilation

Während eine Ozonmaschine im «Huis Van der Leeuw» örtlich die Luft vom Zigarettenrauch säubert, verfügen fortschrittliche Projekte aus den 1930er-Jahren bereits über eine vollständig künstlich und automatisch belüftete Raumatmosphäre – beispielsweise das von George Fred Keck erbaute «Crystal House»,[6] das 1934 auf der «Century of Progress Exhibition» in Chicago dem Publikum vorgestellt wird. Ein französischer Journalist schreibt dazu: «La maison n’ayant aucune fenêtre ouvrante, l’aération des chambres est obtenue mécaniquement par un épurateur d’air qui maintient l’air intérieur constamment frais, pur, sans odeur, sans poussière et de température et humidité constantes en tout temps et toutes saisons.»[7] Ein «elektrisches Auge» kontrolliert die Tür zwischen Speisezimmer und Küche und öffnet sie automatisch; auch das Garagentor bewegt sich auf Funkbefehl des herannahenden Fahrers (Bild 4).

Die Idee der künstlichen Ventilation scheint Keck von Richard Buckminster Fullers «Dymaxion House»-Projekt übernommen zu haben, das allerdings nie in seiner ursprünglich geplanten Form verwirklicht werden konnte. Auch das «Dymaxion» vertraut auf automatische Belüftung: Frischluft wird am oberen Mastende eingesaugt, aufbereitet und durch perforierte heruntergehängte Decken in die verschiedenen Räume verteilt. Daneben enthält der Kern sämtliche Steig- und Fallleitungen, einen dreieckigen Lift und das Beleuchtungssystem, sodass eine weitere Verkabelung der Räume theoretisch überflüssig wird (Bild 7).[8]

Industrielle als Produzenten, Lieferanten und Bauherren

Interessant am «Crystal House» ist nicht nur seine hochmoderne Technik, sondern auch die ökonomischen Absichten, die hinter dem Einbau stecken: Die Sponsoren General Electric, Libbey-Owens-Ford Glass Company, Reynolds Metals und die Goodyear Tire and Rubber Company9 erhalten durch ihr Engagement an der Ausstellung grosse Publizität. Sie gehören zusammen mit den Energieproduzenten und -lieferanten zu denjenigen Akteuren, die handfesten wirtschaftlichen Nutzen aus der Technisierung des Wohnens ziehen. In Faltblättern und Fachzeitschriften, auf Ausstellungen und durch Architekturwettbewerbe10 machen die Firmen ihre Produkte den zukünftigen Konsumenten schmackhaft. Ein sprechendes Beispiel hierfür ist die von General Electric herausgegebene Broschüre mit dem Titel «The Edison Wonder House» von 1936 (Bilder 5 und 6). Hier können die Leserin und der Leser mannigfaltige Einsatzmöglichkeiten für strombetriebene Geräte entdecken: Zu finden sind etwa Ventilator, Elektroherd, Radio, ein elektrisches Cheminée, verschiedene Beleuchtungseinrichtungen und Gadgets wie hinterleuchtete Hausnummern. Der «utility room» des Hauses beispielsweise ist ausgerüstet mit spezieller Beleuchtung, einer Bügelmaschine, Wärmeplatten, einer elektrischen Waschmaschine und zahllosen Steckdosen. Sie sollen die Arbeit der Hausfrau erleichtern: Jede der Maschinen, wird geschrieben, sei ein weiterer Schritt Richtung Freiheit.

Neben den Produzenten und Lieferanten, die ein verständliches Interesse an der Elektrifizierung möglichst vieler Vorgänge im Haus haben, heben sich vor allem Industrielle als Auftraggeber von progressiv ausgestatteten Häusern hervor. Tatsächlich scheinen sie als technisch aufgeschlossene Zeitgenossen dazu prädestiniert, die im Geschäftsumfeld üblichen Technologien auf ihren Privatbereich zu übertragen – entgegen der gängigen These, dass eine rationale Arbeitsumgebung den Wunsch nach einem «gemütlichen» Zu hause weckt. Als Gesellschaftsschicht, die sich in den meisten europäischen Staaten erst im Laufe des 19. Jahrhunderts herangebildet hat, repräsentiert das Industriebürgertum weniger durch Kenntnis von klassischem Architekturvokabular oder bildender Kunst als durch technologisch ausgeklügelte und Komfort steigernde Einrichtungen.

Keine Arbeitserleichterung, aber Komfort für alle

Den erwähnten Häusern und Projekten ist gemeinsam, dass die zeitgenössische Berichterstattung von «nie geahnten» oder «noch nie da gewesenen» Möglichkeiten spricht – das «Wunderhaus», ebenso wie das «Haus der Zukunft» oder das «Haus, das von allen Anstrengungen befreit», können denn auch alle paar Jahre wieder als «neu» verkauft werden. Das viel zitierte Argument der Arbeitserleichterung, das insbesondere bei Kücheneinrichtungen, aber auch im Zusammenhang mit der Mechanisierung und Automatisierung des Heizens, Lüftens, Waschens und Putzens herangezogen wird, entpuppt sich jedoch bei genauerem Hinsehen als leeres Versprechen. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich die zeitliche Belastung der Hausfrau keineswegs in dem Masse verringert hat, wie dies erwartet hätte. Eine vollautomatische Waschmaschine spart zwar viel Zeit und Kraft; die Veränderung der Sauberkeitsstandards und die Konzentration der ehemals auf mehrere Personen (Hausangestellte, Waschfrauen, Wäschereien) verteilten Arbeit auf eine einzige Hausfrau heben diese Einsparungen jedoch meist wieder auf.

Andererseits haben sich viele der ehemals als Spielereien abgetanen Technologien inzwischen zu Selbstverständlichkeiten entwickelt. Die Industriepioniere, Erfinder oder Produzenten ermöglichten dank ihrer Technikfaszination die Erprobung prototypischer Einrichtungen, die zwar anfangs oft nicht lange im Einsatz, schwierig instandzusetzen und obendrein teuer waren, deren Dienste heute jedoch weit verbreitet in Anspruch genommen werden. Auch Kees van der Leeuw musste seine Thermostaten ohne Billigung der Wärmetechniker bestellen: Sie rieten ihm klar und deutlich von dieser «überflüssigen» Massnahme ab.11 Formal-architektonisch sind zwischen den hier aufgenommenen Beispielen grosse Unterschiede erkennbar. Während die Technik in den frühen, dem Historismus verpflichteten Häusern eher hinter Paneelen versteckt oder gar mit Farnen getarnt wird, inspiriert sie viele Architekten der 1920er-Jahre und wirkt in einigen Entwürfen sogar formbildend. Um 1935 erfolgt dann der Umschwung zu traditionelleren, moderater gestalteten Bauten, die das wachsende Bedürfnis nach Geborgenheit erfüllen. Haustechnik wird – erst nur in den Vereinigten Staaten, später dann auch in Europa – für breite Schichten verfügbar; sie benötigt keine speziell erkennbare Hülle mehr.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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