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TEC21 2008|10
Intelligentes Wohnen
TEC21 2008|10
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Wie intelligent ist intelligentes Wohnen?

Unter dem Begriff «intelligentes Wohnen» oder «vernetztes Wohnen» versteht man heute oft technische Schikanen im Luxussegment. Doch vernetzte Haustechnik bietet mehr. Eine nutzungsneutrale technische Infrastruktur erlaubt es, Altbauten veränderten Nutzungsanforderungen anzupassen. Auch im sozialen und ökologischen Bereich eröffnen sich neue Möglichkeiten.

3. März 2008 - Richard Staub
Bei der Anwendung haustechnischer Innnovationen gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Erstens geht es um die Anpassung der technischen Infrastruktur von Wohngebäuden an neue Bedürfnisse und Technologien: Dies betrifft heute hauptsächlich die Informations- und Kom - munikationstechnik, die in den letzten Jahren starke Veränderungen (Digitalisierung, Konvergenz, Triple Play, IP-TV etc.) erfahren hat. Zweitens handelt es sich um neue Funktionen, die durch eine elektronische Verknüpfung von Komponenten und von bisher getrennten Gewerken möglich werden: Die Bandbreite der Anwendungen reicht von der Energieeffi zienzsteigerung über das alters- und behindertengerechte Wohnen bis zu den vielfältigen Luxusgütern der Überflussgesellschaft. Letztere stehen zurzeit im Vordergrund, wobei zu bedenken ist, dass neue Technologien meistens zuerst in einem luxusorientierten Hochpreis-Marktsegment angewendet werden und sich erst später zum günstigen Allgemeingut entwickeln.

Veränderung der Gesellschaft - Veränderung des Wohnens

Unsere globalisierte Informationsgesellschaft ist von rasanten gesellschaftlichen und ökonomischen Umwälzungen geprägt. Der Soziologe Peter Gross prägte den Begriff der modernen «Multioptionsgesellschaft». In fast allen Lebensbereichen stehen uns viele Möglichkeiten offen: bei der Beziehungsform – in der Stadt Zürich leben heute über 50 % Singles, der Anteil der «Normfamilie» an den Haushalten fällt demnächst unter 10 % –, bei der Arbeitsform – Voll- oder Teilzeit, klassisch angestellt oder Freelancer, im Normalbüro oder Home Offi ce – und auch in der Welt des Konsums und der Dienstleistungen. Kaufratgeber und Internet-Vergleichsdienste, die dem Konsumenten Orientierungshilfe bieten, boomen. Nicht zuletzt als Rückzugsort aus einer fordernden Arbeits- und Freizeitwelt hat das Wohnen heute einen hohen Stellenwert. Wohnen ist viel individueller geworden, eine Frage des persönlichen Stils und der individuellen Lebensart. Während früher einige wenige Wohnungstypen den Marktbedarf einigermassen abbildeten, ist dies in der Multioptionsgesellschaft nicht mehr so einfach. Lediglich Haupttrends – etwa das steigende Durchschnittsalter unserer Bevölkerung – sind voraussagbar. Für wen sollen also Investoren bauen? Die Antwort kann eigentlich nur heissen: Für mehr oder weniger Unbekannt, über eine längere Zeitperiode gesehen. Vielleicht steigt die Nachfrage nach klassischen Familienwohnungen oder nach Single-Wohnungen plötzlich wieder? Vielleicht nimmt der Bedarf nach Home Offices plötzlich sprunghaft zu? Die Multioption gilt also auch für den Wohnungsgrundriss; Nutzungsneutrale Räume werden der wechselnden Nachfrage am besten gerecht. Auch Einfamilienhäuser sollten Veränderungen der Lebensverhältnisse oder der Bewohnerschaft ermöglichen. Und daraus folgt ganz logisch: Auch die technische Infrastruktur muss nutzungsneutral sein.

Flexible Kommunikation

Vorbei ist also die Zeit des TV-Anschlusses im Wohnzimmer. Der moderne Mieter und Käufer möchte seine Wohnung nach seinem Gusto möblieren und bei Bedarf auch einmal ein ehemaliges Kinderzimmer ohne teure Nachinstallation in ein Home Office verwandeln. Wenn eine WG einzieht, braucht es in allen Räumen Anschlüsse; desgleichen bei Familien mit mehreren grösseren Kindern, die für die Schulaufgaben den PC und das Internet nutzen. Während sich die Multimediawelt bezüglich Gerätetechnologie, Contentanbietern, Gewohnheiten der Benutzer etc. radikal verändert hat, blieb die Art der Kommunikationsinfrastruktur bisher mehr oder weniger gleich: Kabel-TV-Strang vertikal durch die Wohnungen, etwas Telefonanschlüsse, etwas Gegensprechanlage, alles schön getrennt. Und dies, obwohl klar ist, dass alle Medien bald digitalisiert sein werden oder es bereits sind: Die Inhalte werden als Datenpakete über die gleiche Netzwerktechnologie – Ethernet und Internet – übertragen, immer schneller und immer günstiger.

Daher drängt sich ein Paradigmenwechsel in der Kommunikationsinfrastruktur auf: pro Wohnung ein zentraler Verteiler, zu allen Räumen eine universelle Kommunikationsverkabelung, die alle Medien übertragen kann, sowie flexible Patchkabel, die die Freiheit bezüglich Contentanbieter und Bedarf gewährleisten. Ein entsprechendes Angebot an Produkten ist bereits auf dem Markt, wird aber erstaunlicherweise auch für Wohnungen im Hochpreissegment höchstens als Option angeboten. In diesem Zusammenhang sind neue «Guidelines Homewiring» erarbeitet worden, welche die Grundlagen einer solchen Vernetzung für Neu- und Totalumbau sowie die Nachrüstung bestehender Bauten aufzeigen.1 Die dabei entstehenden Kosten sind vertretbar; allerdings muss auch darauf geachtet werden, dass sowohl die Zunahme des Stromverbrauchs durch zu hohe Standby-Verbräuche als auch gesundheitsschädigende elektromagnetische Felder vermieden werden (vgl. S. 28 ff.).

Neue Funkitonen für mehr Energieeffizienz

Die energetische Optimierung eines Gebäudes kann durch die Bauweise – kompakte Form, beste Dämmung, Nutzung regenerativer Energiequellen hauptsächlich aus der Umgebung mittels Wärmepumpe, Solarkollektoren und Fotovoltaik – erreicht werden, doch auch die moderne Gebäudeautomation kann dazu beitragen. Durch den Einsatz von vernetzten Sensoren und Aktoren ist eine bedarfsgerechte, gewerkeübergreifende Steuerung und Regelung möglich. Stellt ein Sensor beispielsweise fest, dass sich niemand in einem Raum aufhält, kann er die Beleuchtung ausschalten, die Heiztemperatur senken und den Sonnenschutz je nach Bedarf öffnen oder schliessen (um Überhitzung zu vermeiden oder erwünschte Sonnenwärme zu gewinnen). Besitzen die Fenster vernetzte Kontakte, können Heizventile beim Fensteröffnen automatisch geschlossen werden, damit beim Lüften nicht zu viel Wärme verloren geht. Solche Funktionen können durch adaptive Regelungen verfeinert werden: Statt aufwendiger Systemintegration verfügen sie über mehrere hundert hinterlegte Regeln, die aufgrund der laufenden Sensordaten an das Benutzerverhalten angepasst werden. Die Kommunikation erfolgt über Funk.

Die vom Institut für Hochbautechnik der ETH Zürich entwickelte «digitalStrom»-Technologie verspricht noch viel mehr (vgl. TEC21 47/2007, S. 41). Mittels eines «intelligenten Starkstromchips » lernen Haushaltgeräte, ihr Verhalten selbstständig zu optimieren: Ein Kühlschrank beispielsweise schaltet sich vorübergehend ab, wenn er eine tiefe Netzfrequenz – Ausdruck einer hohen Netzbelastung – misst. Dadurch könnte das Verbundnetz besser genutzt und die Spitzenleistung von Netzen beschränkt werden. Alle Funktionen sind in den Chips hinterlegt, ebenso die grundlegenden Kommunikationsbeziehungen zwischen Sensoren und Aktoren der Haustechnik für alle Gewerke wie Beleuchtung, Sonnenschutz, Heizung, Sicherheit oder Multimediasteuerung. Das Konzept sieht vor, dass entsprechende Raumbeziehungen und Zentralfunktionen weitgehend selbstkonfigurierend erstellt werden können. Kommuniziert wird über die vorhandenen 230-V-Leitungen. Man tauscht also einfach bestehende Leuchtenklemmen gegen entsprechende Digitalstrom-Leuchtenklemmen, die zugleich einen miniaturisierten Dimmer enthalten, und installiert einen Digitalstromtaster – fertig ist die Vernetzung.

Ambient assisted Living (AAL)

Ende Januar trafen sich in Berlin über 300 Forscher, Mediziner, Technologieexperten, Dienstleister, Wohnbau-Bewirtschafter und andere Interessierte zum ersten deutschen AALKongress, veranstaltet vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und vom VDE.2 In über 100 Beiträgen wurden Grundlagenthesen, Technologien, Geschäftsmodelle und Praxisbeispiele erörtert. Der demografische Wandel – insbesondere die Überalterung – stellt nicht nur eine Belastung für die Gesellschaft dar, sondern schafft auch neue Wachstumsfelder. Eine zentrale Rolle spielen dabei der Haushalt und das Wohnen. Zum einen dehnt sich die Phase des aktiven Alters aus, was entsprechende Bedürfnisse dieser Altersgruppe schafft. Zum anderen wächst die Pflegebedürftigkeit mit steigendem Alter, auch wenn ein Grossteil der Pflegebedürftigen keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung benötigt. Und schliesslich nehmen chronische Krankheiten wie Diabetes mellitus zu. Dies ruft nach neuen Strategien in der medizinischen und pflegerischen Betreuung.

AAL ist mehr als die Umsetzung neuer technischer Lösungen, es fokussiert auf intelligente Assistenzsysteme in den Bereichen Kommunikation, Sicherheit, Komfort, Gesundheit und Pflege. Es verbindet Mikroelektronik, Kommunikationstechnik und Dienstleistungen zu einem Angebot. Einzelbereiche wie Notrufsysteme existieren schon lange; nun sollen soziale, ökonomische und technische Plattformen geschaffen werden, die einheitlich, aber individuell nutzbar sind. Ein Grossteil der Senioren möchte bis ans Lebensende zu Hause wohnen; das Gesundheitswesen benötigt neue Formen der Betreuung, um mit den zur Verfügung stehenden Personal- und Finanzressourcen haushalten zu können. Gefragt sind experimentelle Projekte in der Wohnungs- und Gesundheitswirtschaft, die soziale Aktivierung, Sicherung und technische Unterstützung verbinden. Um auch die soziale Dimension der Betreuung zu verankern, ist eine Fokussierung auf ganze Wohnquartiere sinnvoll.

Damit schliesst sich wieder der Kreis zum intelligenten Wohnen: Auch AAL basiert technisch auf einer Vernetzung der Wohnräume. Die beschriebene Installation eines Multimedianetzwerkes mit flexiblen Anschlüssen in allen Räumen kann demnach sowohl bei Komfort- und Unterhaltungswünschen als auch zur Unterstützung im hohen Alter dienen. Dank der allumfassenden Internettechnologie steht heute bereits das Netz für die regionale Dienstleistung zur Verfügung, ergänzt durch drahtlose Kommunikation. Ein wirklicher Fortschritt kann allerdings erst durch die Integration sozialer und ökologischer Faktoren ermöglicht werden; daher ist es bedauerlich, dass intelligentes Wohnen und AAL heute fast ausschliesslich unter technokratischen Gesichtspunkten betrachtet werden.

[Richard Staub, BUS-House (Beratung, Schulung, Fachjournalismus für Gebäudeautomation und intelligentes Wohnen)]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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