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TEC21 2008|12
(G)artenvielfalt
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Verlag: Verlags-AG

Pflanzen in Gesellschaft

Mit abwechslungsreichen Pflanzungen öffentliche Flächen in der Stadt bereichern – dies wollten die Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau in Wädenswil1 und entwickelten zu diesem Zweck integrierte Pflanzsysteme. Dafür verleiht ihnen der Schweizer Heimatschutz dieses Jahr den Schult hess- Gartenpreis.

17. März 2008 - Claudia Moll
Sie sind schön anzuschauen, machen aber auch viel Arbeit: öffentliche Pflanzfl ächen mit so genanntem Sommerfl or, akkurat gepflanzt, streng gepflegt und jährlich mehrfach erneuert. Wegen der hohen Pflegekosten sind die bunten Schmuckrabatten jedoch in Gefahr, aus dem Stadtbild zu verschwinden – ersetzt durch Kleingehölze, die jahrein, jahraus mehr oder weniger gleich aussehen. Gegen das «Einheitsgrün» im öffentlichen Raum entwickelten Forscherinnen und Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil Stauden-Mischpflanzungen, so genannte integrierte Pflanzsysteme.

Grundlagenforschung

Integrierte Pflanzensysteme basieren auf den Erkenntnissen der Pflanzensoziologie, eines Fachgebiets der Geobotanik. Laut dieser Theorie leben Pflanzen nicht isoliert, sondern bilden von Standort und klimatischen Bedingungen abhängige Gruppen, sprich Gesellschaften. In diesem Verbund bilden die Pflanzen ein wechselseitiges Wirkungsgefüge, das im Laufe der Zeit stabil ist. Dies ist auch bei den integrierten Pflanzsystemen – eigentliche künstlich geschaffene Pflanzengesellschaften – der Fall. Praktisch umgesetzt werden sie folgendermassen: Gärtner pflanzen auf Freifl ächen von mindestens 30 Quadratmetern eine Mischung aus Stauden, Gräsern und Zwiebelgewächsen, durchsetzt von eingesäten ein- bis zweijährigen Krautpflanzen. Letztere wachsen schnell und decken die Fläche bereits im Sommer nach der Einsaat ab, sodass nicht erwünschtes Unkraut geringe Chancen hat, zu wachsen. Die sich langsamer entwickelnden Stauden – mehrjährige nicht verholzende Pflanzen mit Blütenschmuck – dehnen sich dann aus, wenn die Krautpflanzen sich bereits reduzieren oder weiter wandern, das heisst, in der zweiten oder dritten Vegetationsperiode. Die ausgewählten Stauden blühen vom Frühsommer bis im Herbst, die dazwischen eingebrachten Zwiebelpflanzen setzen schon im Frühjahr leuchtende Akzente.

«Silbersommer»

Das Bild von Pflanzungen mit integrierten Pflanzsystemen verändert sich von Jahr zu Jahr. Im ersten dominieren die eingesäten Arten, im Laufe der Zeit nehmen die Stauden Überhand. Je nach Standortbestimmungen und Pflegeeingriffen entwickeln sich die einen mehr als die anderen. Auf Basis derselben Initialpflanzung entstehen immer wieder andere Bilder. Diese Dynamik der Pflanzen fasziniert Jean Bernard Bächtiger, der mit seiner Crew die Pflanzenmischungen entwickelte, und ist für die Forschergruppe Antrieb für ihre Arbeit. Erste Schritte in der angewandten Forschung zu integrierten Pflanzsystemen machte die Hochschule Wädenswil in Zusammenarbeit mit deutschen Fachhochschulen; zu diesem Zweck entstand der Arbeitskreis Pflanzenverwendung. Im Frühjahr 1999 konnte die aus dieser Zusammenarbeit entstandene Mischung aus Stauden und Zwiebelpflanzen, «Silbersommer » (Bild 1), auf Versuchsfl ächen in acht Städten der Schweiz ausgebracht werden. Die begonnenen Studien setzte die Hochschule Wädenswil im Rahmen eines neuen Forschungsprojektes fort. Nun entwickelten die Forscher integrierte Pflanzungen, bei denen zusätzlich zu Stauden- und Zwiebelpflanzen Krautpflanzen eingesät werden.

«Sommernachtstraum»

2001 hatte Bächtiger zusammen mit Mirjam Bucher und Martina Föhn sechs verschiedene integrierte Pflanzsysteme zusammengestellt. Auf Versuchsfl ächen an der Hochschule Wädenswil und an 13 weiteren Standorten in mehreren Schweizer Städten wurden die Mischungen angepflanzt. Sie konnten so unter unterschiedlichen klimatischen und edaphischen (den Boden betreffenden) Bedingungen auf ihre Tauglichkeit getestet werden. Die damit betrauten Gartenbaubetriebe bewerteten die Pflanzfl ächen mittels eines Fragebogens. Am besten schnitt die Mischung «Sommernachtstraum» ab. Bei dieser Mischung kombinierten die Fachleute aus Wädenswil dunkellaubige Stauden mit fi ligranen Gräsern. Die ausgewählten Pflanzen blühen von Mai bis Oktober in blauen, violetten und weissen Tönen, die Zwiebelpflanzen bereits ab Februar, ebenfalls in unterschiedlich abgestuften Blautönen. Schon in der ersten Vegetationsperiode wiesen die Pflanzfl ächen dieser Zusammensetzung einen hohen Deckungsgrad auf, zudem bewerteten sie die Gärtner in allen Jahreszeiten als attraktiv. Seit 2005 kann der «Sommernachtstraum» bei den Partnern des Stauden Ring – ein Zusammenschluss von Staudenproduzenten im deutschsprachigen Raum – von Garten- und Landschaftsbauern per Quadratmeter bestellt werden.

Neue Aufgaben

Zurzeit beschäftigen sich die Spezialistinnen Doris Tausendpfund und Martina Föhn in Wädenswil mit einem Pflanzenmix für Flächen im «trockenen Schatten», also beispielsweise unter dichten Baumkronen, wo Licht, Wasser und Nährstoffe ein rares Gut sind. Im Frühjahr 2006 startete die Hochschule in Wädenswil mit den Gartenbauämtern von Chur, Luzern, St. Gallen und Zürich eine Zusammenarbeit, um diese oftmals stiefmütterlich behandelten Flächen aufzuwerten. Getestet wird, welche Pflanzen in welcher Zusammensetzung den nicht optimalen Standortbestimmungen standhalten können und die Flächen zudem ansprechend erscheinen lassen. Aussagen zu diesen Pflanzsystemen lassen sich noch keine machen. Die auch bei diesen Mischungen eingebrachten Zwiebelpflanzen erfreuten jedoch bereits Anwohner und Passanten. Die Entwicklung der «Robinsonschen Blumenwiese » ist ein weiteres Projekt, mit dem sich das Zentrum Urbaner Gartenbau seit 2004 auseinandersetzt. Hier greifen sie die Idee des irischen Gärtners William Robinson (1838– 1935) auf, der Blütenpflanzen in Wiesen pflanzte. So sollen Stauden und Zwiebelpflanzen künftig monoton wirkende Rasenfl ächen durchsetzen, ihre Attraktivität steigern – mit einem geringeren Pflegeaufwand als für die Rasenpflege.

Neue Kompetenzen

Das für die öffentliche Hand überzeugendste Argument, diese Pflanzsysteme anzuwenden, ist denn auch der deutlich reduzierte Pflegeaufwand: Nur noch 12 Minuten müssen pro Jahr und Quadratmeter für den Unterhalt aufgewendet werden; bei Mosaikpflanzungen eines klassischen Staudengartens rechnet man für dieselbe Fläche mit dem Fünffachen an Zeit. Die Unterhaltsarbeiten der in Wädenswil erforschten Pflanzenmischungen sind auf ein Minimum reduziert: Bewässern muss man nur während der Anwachsphase oder einer ausserordentlichen Trockenperiode. Im November werden die Stauden, mancherorts sogar maschinell, eine Handbreit über dem Boden abgeschnitten, und da die gewählten Stauden allesamt winterhart sind, entfällt auch ein Winterschutz. Im ersten Wachstumsjahr der Pflanzung ist aber vor allem im Frühjahr eine aufmerksame Pflegeleistung gefragt. Dann gilt es nämlich, die nicht gewollten spriessenden Blättchen des Unkrauts von denen zu unterscheiden, die sich weiterentwickeln sollen. Damit die Pflegefachleute hierfür den richtigen Blick gewinnen, bietet die Hochschule in Wädenswil Weiterbildungskurse an. Sie sind in gewisser Weise Teil des Pakets, für das sich Auftraggeber entscheiden. Denn: «Die gärtnerische Arbeit ist eine andere», meint Jean-Bernard Bächtiger. «Es geht nicht mehr nur um Sauberkeit in der Pflanzfl äche – die Gärtner müssen die einzelnen Pflanzen und ihr Wuchsverhalten kennen.» Die Gärtner entwickeln ihrerseits eine Eigenverantwortung für «ihre» Pflanzen, und das sieht man den Rabatten auch an. «Der Gärtner moderiert die Pflanzungen, er wehrt nicht mehr nur Veränderungen ab», so Bächtiger. Dadurch werden diePflegepersonen zu Fachleuten und auch als solche wahrgenommen: Passanten stellen ihnen immer wieder Fragen zu den einzelnen Pflanzenarten, klagen ihr Leid, wenn die Topfpflanze in der Stube serbelt, und holen sich Rat für den eigenen Garten.

Blumenwiese statt Rasen

Die Jahreszeiten in der Stadt erfahrbar zu machen und der Stadtbevölkerung einen direkten Kontakt zu Pflanzen zu ermöglichen ist für Bächtiger das Ziel hinter der Entwicklung der integrierten Pflanzsysteme, das Geldeinsparen ein willkommener Nebeneffekt. Ein Schlüsselerlebnis war für ihn ein Kurs, den er in einem Primarschulhaus in Thalwil gab. Kinder, dazu befragt, was für sie Natur sei, nannten unter anderem den Rasen2 – eine botanisch und ökologisch verarmte Wuchsform. Bächtiger ist davon überzeugt, dass das Potenzial von Grünfl ächen im urbanen Raum bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist, und möchte das Bild einer Blumenwiese wieder in das Bewusstsein der Menschen bringen.

[ Claudia Moll, Landschaftsarchitektin BSLA, Institut für Landschaftsarchitektur ETHZ ]

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Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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