Zeitschrift

TEC21 2008|12
(G)artenvielfalt
TEC21 2008|12
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Naturbegegnung

Unsere Umwelt verstädtert. Der Nutzungsdruck auf die öffentlich zugänglichen Aussenräume steigt. Aber die neueren Schöpfungen der Landschaftsarchitektur zielen an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei. Auf allen Ebenen sind Anstrengungen nötig, um wieder mehr Begegnung mit der Natur zu ermöglichen.

17. März 2008 - Hansjörg Gadient
Auf dem Ast eines Gummibaums sitzt ein Riesentukan und wirft sich Apfelwürfelchen in den Schnabel, eins nach dem anderen. Zwischen zwei Bissen äugt er auf den Schreibenden. Der hat sich mit dem Laptop auf eine ruhige Bank im Palmenhaus zurückgezogen und sinniert dort über das verlorene Paradies.

Designerparks

Die zeitgenössische Landschaftsarchitektur hat ein Problem. Sie baut zu oft Parks, die niemand will. «Designerparks» hat eine Zürcher Lokalzeitung diese Anlagen genannt und meint das als Schimpfwort. Kritisiert werden die «Kälte» und der «Beton». Das ist das normale Laienvokabular, wenn räumliche Leere, strenge Linienführung und eine reduzierte Pfl anzenpalette gemeint sind. Die Fachleute freuen sich an den strengen Entwürfen und halten sie für den Fortschritt; sie irren im Hinblick auf die Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Anlagen stehen leer, werden verschmutzt und zerstört. Die Menschen fahren weit weg, um die Natur zu suchen. Es gibt bessere Ansätze, den Nutzern mehr zu bieten, aber noch sind sie vereinzelt. Die «Blumenberge» von Vogt Landschaftsarchitekten in St. Gallen oder der «MFO-Park» von Raderschall Landschaftsarchitekten sind sehr gute Beispiele.1 Parks und andere öffentliche Freiräume müssen zu wirklich genutzten Erholungsräumen werden. Dafür sind Anstrengungen aller Beteiligten nötig. Die Planenden müssen von überholten Vorstellungen betreffend entfl ochtene Funktionen abrücken und das Potenzial von überlagerten Nutzungen erkennen und planerisch ermöglichen. Die Verwaltungen müssen innovative Lösungen im Umgang mit bestehenden und neuen Anlagen fi nden, um deren Attraktivität langfristig zu erhalten. Die Landschaftsarchitektur muss von ihrer Fixiertheit auf modernistische Reduktion abrücken und sich wieder mehr ihrer Kernkompetenz, der Gestaltung mit Pfl anzen, zuwenden. Die Nutzer sollten zweierlei tun, erstens ihre Ansprüche lauthals geltend machen und zweitens die Anlagen respektvoll nutzen. Und die Politik muss einsehen, dass die Grenzen des Sparens dort erreicht sind, wo die neuen Anlagen ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Attraktive Freiräume tragen wesentlich zur Lebensqualität bei, aber sie kosten Geld. Das Zentrum Urbaner Gartenbau in Wädenswil schafft Grundlagen, die unter den gegebenen – widrigen – Umständen zur Verbesserung der städtischen Freiräume beitragen. Dafür hat es den diesjährigen Schulthess-Gartenpreis erhalten (siehe Seite 20 ff). Sein Ansatz, trotz fehlenden Pfl egemitteln ansprechende Pfl anzungen für den öffentlichen Raum zu entwickeln, ist eine sehr gute Strategie. Im Folgenden werden zwei weitere Ansätze vorgestellt, wie Aussenräume attraktiver werden könnten: privatisierte Pärke und mehrfach genutzte Anlagen. Beide haben ihre Nachteile, können aber Denkanstösse liefern.

Privatistierte Pärke

Das Konzept ist einfach. Die Anlagen werden eingezäunt und privat oder von staatlich beauftragten Betreibergesellschaften unterhalten und vermarktet. Der Vorteil liegt in der Kostenkontrolle und der delegierten Verantwortung für die öffentliche Hand. Der Nachteil ist der, dass solche Anlagen nicht mehr als öffentliche Räume gelten können, weil in ihnen das Hausrecht des Betreibers gilt

Jardin Majorelle in Marrakesch
In der staubigen Stadt Marrakesch haben Yves Saint Laurent und Pierre Bergé den Garten des Malers Jacques Majorelle2 gekauft, saniert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Garten ist eine paradiesische Oase mit einer reichen Pfl anzenpalette, gegliedert in verschiedene Lebensbereiche wie Bambuswald oder Kakteenfeld. Die knapp fünf Hektaren grosse Anlage wird von 40 Gärtnern gepfl egt und sieht entsprechend kultiviert aus. Der Garten ist einer der wichtigsten touristischen Anziehungspunkte der Stadt; jährlich empfängt er etwa 600 000 Besucher! Selbstverständlich ist das nicht gratis. Der Eintritt beträgt 30 Dirham, was etwa Fr. 4.50 entspricht, eine unerschwinglich hohe Summe für die Einheimischen. Das ist denn auch der grosse Nachteil. Die Lehre, die sich daraus aber ziehen lässt: Wenn eine gärtnerische Anlage so anspruchsvoll und ansprechend ist, dass sie viele Besucher anzieht, lässt sie sich über Eintritte fi nanzieren. In einer Stadt könnte dieses Modell für besondere Höhepunkte der Gartenkunst durchaus geeignet sein.

Gärten der Welt in Berlin
Im äussersten Osten der Hauptstadt, zwischen den Grosssiedlungen Marzahn und Hellersdorf, wurde eine Fläche von 21 Hektaren eingezäunt und zu einem Park3 mit verschiedenen Ländergärten gemacht, dem Chinesischen, dem Japanischen, dem Orientalischen etc. Weitere sollen im Verlauf der Jahre dazukommen. Die nationalen Gärten wurden alle von renommierten Gartengestaltern des entsprechenden Landes entworfen. Die ganze Anlage wird minutiös gepfl egt. Auch dieser Garten kostet Eintritt. Dieser ist allerdings mit 2 Euro pro Eintritt erschwinglich. Mit einer Jahreskarte für 20 Euro wird er auch als Naherholungsraum für Anwohner bezahlbar. Der Nachteil ist, dass die Vorschriften in dem Park geradezu preussisch anmuten: Fast alles, ausser gemessenen Schrittes auf den Wegen spazieren, ist verboten. Und ein zweiter Nachteil sind die endlosen Warteschlangen, die sich an schönen Tagen vor der Kasse bilden. Aber das System funktioniert. Der Park ist ausgesprochen beliebt, selbst Einwohner, die ganz Berlin durchqueren müssen, frequentieren ihn häufi g dank seiner Grösse, den verschiedenen jahreszeitlichen Stimmungen und den Ländergärten, die traditionelle Gartenkultur auf hohem Niveau erlebbar machen.

Masoala-Halle des Zürcher Zoos
Die Anlage ist mehr Park als Zooteil. Die Pfl anzen dominieren und faszinieren. Wenn man einmal ein Tier zu Gesicht bekommt, ist das eher Zugabe. Als Erholungsraum funktioniert der Dschungel unter dem Plastikdach perfekt. Überwiegend endemische Pfl anzen der madagassischen Halbinsel Masoala sind zu einer dichten urwaldähnlichen Gemeinschaft gruppiert. Darin fi nden sich aber auch Hütten und Zäune, die an die im madagassischen Wald lebenden Menschen erinnern. Auch Nutzpfl anzen wie Zuckerrohr oder Vanille wachsen hier. Den Landschaftsarchitekten Kienast und Vogt4 ist es gelungen, in der 11 000 m² grossen Halle ein Gleichgewicht herzustellen zwischen der Illusion, sich im Urwald zu befi nden, und der Brechung dieses Wunschdenkens. Im imposanten Zoo-Shop, wo das Merchandising zur Gewinnsteigerung des Zoos überhand nimmt, bricht die Illusion dann aber in sich zusammen. Wie beim Jardin Majorelle ist der grösste Nachteil auch hier der sehr hohe Eintrittspreis von 22 Franken, der einen häufi gen Besuch der Anlage ausschliesst.

Doppelt genutzte Anlage

Der zweite Ansatz macht sich bestehende Anlagen zu Nutze, deren Pfl ege und Unterhalt schon gesichert sind. Sie sind in aller Regel öffentlich zugänglich oder sollten es sein. Ein gutes Beispiel sind die botanischen Gärten, sie könnten für andere Anlagen Vorbildcharakter haben. Die Chance liegt in der besonderen Atmosphäre, die nicht allein für eine Parknutzung bestimmte Anlagen meist bieten. Ein Hindernis ist oft die überholte Vorstellung einer monofunktionalen Nutzung. Die Verstädterung und Verdichtung wird uns immer mehr dazu zwingen, Aussenräume mehrfach zu nutzen und Nutzungsüberlagerungen nicht nur nachträglich zu ermöglichen, sondern aktiv zu planen.

Gartenquartiere
Der abendliche Spaziergang durch ein Gartenquartier ist oft lohnender als der Aufenthalt in einem öffentlichen Park. Die meisten Baugesetze lassen keine überhohen Einfriedungen auf der Grundstücksgrenze zu. So gewähren fast alle Gärten nolens volens Einblick in ihr Inneres; vom grausig gemischten Grundsortiment bis zum kunstvoll gestalteten Themengarten mit absolut exklusiven Raritäten fi ndet sich alles. Und alles umsonst. Voraussetzung ist, dass die Strassen in diesen Quartieren ruhig genug sind, um fl anierend den Gärten ent - lang gehen zu können. Auch aus Schrebergartenkolonien liessen sich durchquerbare Gartenquartiere machen, wenn sie planerisch anders behandelt würden und die Kleingärtner verpfl ichtet wären, öffentliche Wege durch ihre eifersüchtig gehüteten Kolonien zuzulassen.[5]

Friedhöfe
Einer der schönsten Friedhöfe ist der Waldfriedhof von Schaffhausen. Die Anlage ist mit 17 Hektaren so weiträumig, dass sich zwischen den Gräberfeldern grosse bewaldete Partien mit weit geschwungenen Spazierwegen fi nden. Die Gräberfelder selbst stammen aus verschiedenen Epochen und sind entsprechend abwechslungsreich und interessant. Das Feld mit den Urnenstelen von 1972 zum Beispiel oder die Plastik von Hans Josephson sind Attraktionen, denen man auf einem Spaziergang begegnet. Bei neueren Friedhofanlagen fehlt dagegen meist die räumliche Grosszügigkeit, die sie auch zum Park macht. In Zürich ist der 1966 angelegte Friedhof Eichbühl von Fred Eicher6 ein Beispiel, wie dies aussehen und funktionieren kann. Und er liegt im Gegensatz zu den meisten neuen Friedhöfen nicht am fernen Stadtrand, sondern mitten in einem an Grünfl ächen armen Quartier. Entsprechend gut ist er frequentiert.

Felder und Wälder
Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Felder und Wälder, die an die Stadt angrenzen, zu den beliebtesten Naherholungsräumen gehören. Entsprechend werden in Richtplänen die Belange der Erholungssuchenden höher gewichtet. So werden beispielsweise Spazierwege entlang von attraktiven Landschaftselementen geplant und quer über Felder zu Netzen verbunden, nicht immer zur Freude der Bauern. Hier muss das Zusammenleben noch geübt werden. Andere Bauern haben die Flucht nach vorn angetreten und informieren auf Tafeln am Wegrand über ihre Feldfrüchte und Wirtschaftsweisen, eine Art agronomischer Lehrpfad. Wer kann Gerste von Weizen und Raps von Kohl unterscheiden? In der Forstwirtschaft sind Nutzungskonfl ikte zwischen Holzproduktion, Jagd und Erholungssuche schon länger ein wichtiges Thema. Auch hier verstehen sich manche Stadtförstereien längst als Dienstleister am Erholung findenden Waldbesucher.

Naturbezug und Gartenkultur

Trotz diesen Möglichkeiten bleibt das Fazit: Öffentliche Parks sind in den Städten unentbehrlich. Sie ermöglichen Naturbezug und tragen zur Gartenkultur bei. Aber sie kosten Geld; und zwar nicht nur bei ihrer Anlage, sondern vor allem bei Pfl ege und Unterhalt. Das ist etwas, was sich Politik und Planung eingestehen müssen. Der Riesentukan, der so reizend mit seinem Essen spielt, lebt nicht im brasilianischen Regenwald, sondern im Palmenhaus der Stadtgärtnerei Zürich: geöffnet an 365 Tagen im Jahr, Eintritt frei.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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