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TEC21 2008|13
Seilbahnen
TEC21 2008|13
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Schweben über Portland

Die Oregon Health and Sciences University liegt an einem Hang über dem Stadtzentrum von Portland, ihre Erweiterung soll am Willamette River realisiert werden. Zwischen den beiden Standorten liegen historische Stadtteile, ein unter Schutz stehender Park und grosse Verkehrsachsen. Die Stadtverwaltung beschloss, die Verbindung mit einer Seilbahn zu gewährleisten. Den 2003 ausgeschriebenen internationalen Architekturwettbewerb gewannen agps architecture (Zürich / Los Angeles), Ende 2007 ging die Anlage – die zweite innerstädtische Seilbahnverbindung in den USA – in Betrieb.

25. März 2008 - Francesco Kleeblatt
Susan Anderson, Leiterin des Office of Sustainable Development (OSD) in Portland, fasste unlängst in prägnante Worte, was die bevölkerungsreichste Stadt des Bundesstaats Oregon von anderen US-amerikanischen Metropolen unterscheidet: «New York has its financial district. Los Angeles has freeways. Las Vegas has gambling. And Portland has sustainability. » Jeweils 100 Kilometer vom Pazifik im Westen und der Bergkette der Cascade Range im Osten entfernt zeichnet sich die Stadt mit ihren 560 000 Einwohnerinnen und Einwohnern durch eine landschaftlich attraktive Lage aus: Sie liegt in dem von Hügeln umgebenen Tal des Willamette River, der im Norden in den Columbia River mündet. Gewiss zählt Portland nicht zu den touristischen Hotspots der Vereinigten Staaten, doch Anderson spricht von «one of the most vibrant cities in the U.S.».

Weitsichtige Stadtverwaltung

Diese Aussage mag vielleicht einem gewissen Lokalpatriotismus geschuldet sein, doch wer die Stadt zum ersten Mal besucht, ist tatsächlich überrascht. In der Downtown fahren erstaunlich wenige Autos, und das nicht etwa, weil die Innenstadt wie andere urbane Zentren des Landes verödet wäre – im Gegenteil. In Portland rollen Trams, die kostenlos benutzt werden können, durch die Strassen, und so viele Fahrräder wie hier glaubt man selten in den USA gesehen zu haben. Tatsächlich erhielt die Stadt 2006 den Rang der «number one bicycling city», und die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel hat sich seit 1990 beinahe verdoppelt.

Dass sich die Stadtverwaltung mit dem Thema der Nachhaltigkeit auseinandersetzt, geht auf die 1970er-Jahre zurück. Damals wurde eine «urban growth boundary» festgelegt, um die Ausdehnung der Stadt in die Fläche zu verhindern und die – zum Teil landwirtschaftlich genutzten – Freilandreserven jenseits der Stadtgrenze zu bewahren. Der Kampf gegen die Suburbanisierung hatte einen willkommenen Nebeneffekt: Er führte in Portland selbst zu einer Bevölkerungsdichte, die es ermöglichte, sukzessive ein effizientes öffentliches Nahverkehrssystem aufzubauen. Weitere Programme festigten Portlands Ruf als ökologische Modellstadt der USA: Dazu zählte die Sanierung der Flussläufe, aber auch die Stärkung des öffentlichen Verkehrs durch ein restriktives Parkplatzmanagement und der Verzicht auf den Ausbau der Highways in den Wohnquartieren. Aktiv begann man überdies in den 1990er- Jahren mit der Bekämpfung der Treibhausgase. Während landesweit die CO2-Emissionen seit 1990 um 16 % gestiegen sind, strebt man in Portland einen Wert an, der den von 1990 um 10 % unterschreitet. Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld ist ein nachhaltiges «grünes» Bauen, das besonders durch das OSD gefördert wird.

Mit der Seilbahn auf den «pill hill»

Einer der neuesten Bausteine des öffentlichen Verkehrssystems ist die Ende Januar 2007 offiziell eingeweihte Luftseilbahn, die vom Stadtentwicklungsprojekt des South Waterfront District, der südlich der Downtown auf einem flussnahen Areal realisiert wird, auf den Marquam Hill führt. Hier befindet sich, 150 Meter über dem Talboden, der Hauptcampus derOregon Health and Science University (OHSU). 1917 wurden erste medizinische Bauten auf dem «Pill Hill» errichtet, doch sind diese in einem ständig sich verdichtenden Konglomerat aus Bettenhäusern und Behandlungstrakten, Labors und Forschungsinstituten aufgegangen. Verbunden durch Lifttürme und Passerellen, staffelt sich die labyrinthisch anmutende Krankenhausstadt den Hang empor. Weil auf dem angestammten Standort kein Platz mehr vorhanden war, suchte die Leitung der OHSU nach einem Erweiterungsgelände. Ein geeignetes Areal fand man 2001 mit dem South Waterfront District. Er ist zwar nur einen Kilometer Luftlinie in östlicher Richtung entfernt, lässt sich aber auf bestehenden Strassen nur über einen mehr als drei Kilometer langen Umweg erreichen. Dafür verantwortlich sind der Geländesprung ebenso wie die Trasse des Interstate Highway 5, die am Hangfuss entlang führt und auf der Fahrt überquert werden muss.

Eine schnelle Verbindung zwischen Hauptcampus und Erweiterungsareal war für die Klinikleitung jedoch eine wesentliche Bedingung – anderenfalls hatte man gar mit einem völligen Neubau ausserhalb von Portland gedroht. Und selbstverständlich stiess die Idee einer leistungsfähigen ÖV-Verbindung von OHSU und South Waterfront District bei der Stadtverwaltung auf Gegenliebe, weil sie sich in das Nahverkehrskonzept einfügte. Zunächst wurden die möglichen Verkehrsmittel evaluiert: Dabei zeigte sich eine Luftseilbahn den übrigen Optionen – Pendelbusse, Tunnel oder Standseilbahn – deutlich überlegen. Die einzige innerstädtische Seilbahnverbindung in den USA war bislang das Roosevelt Island Tram in New York. In einem Architekturwettbewerb des Jahres 2003 unter vier eingeladenen Teilnehmern konnte sich am Ende das Büro agps aus Zürich und Los Angeles durchsetzen. Die Aufgabe umfasste nicht nur den Entwurf der Berg- und der Talstation, sondern auch die Gestaltung des Mittelmastes und der Kabinen.

Kein Platz mehr für die Bergstation

Neben der Strassenbahnhaltestelle im South Waterfront District, von dem aus die Innenstadt in wenigen Minuten erreichbar ist, steht die neue Talstation (Bilder 4 und 5). Über dem im Untergeschoss liegenden Antriebsraum, der die Elektromotoren und die Notstromaggegrate beherbergt, ist das Gebäude als luftiger, zu seiner Umgebung hin offener Pavillon konzipiert. Ein Stahlbetonskelett bildet die Grundstruktur, auf der eine Stahlrahmenstruktur aufliegt. Wie mit einem Überwurf, der aber nicht den Erdboden berührt, ist diese Konstruktion mit einem transluzenten Stahlgitternetz verkleidet. Dieses erlaubt den schemenhaften Einblick ins Innere ebenso wie von dort aus den Ausblick auf die Umgebung. Das kräftige Rot, das die Benutzer im Abfertigungsbereich umgibt, verstärkt als Signalfarbe den konstruktivistischen Charakter des Gebäudes.

Die Fahrt geht zunächst steil bergan – der 60 Meter hohe, mit Stahlblech verkleidete Zwischenmast erlaubt es, den Highway in ausreichender Höhe zu überqueren – und führtund Formensprache folgen den schon im Tal prägenden Gestaltungsprinzipien, also der Verbindung aus Stahlbetonskelett, körperhaften Einbauten in Primärfarben – hier ergänzt um Gelb und Blau – und einer transparenten Hülle als Flächenkomposition aus Gitterelementen. Doch aufgrund der speziellen topografischen Situation ist hier eine atemberaubende, waghalsig anmutende architektonische Struktur entstanden: Weil in dem völlig zugebauten Klinikareal buchstäblich nicht einmal für eine Seilbahnstation Platz war, wurde das kleine Gebäude gleichsam in der Luft errichtet. Man erreicht die als Plattform auskragende Abfertigungs- und Einstiegsebene durch den Erdgeschossbereich eines Klinikgebäudes; in die Tiefe wird die Last durch einen Liftschacht, der die Parkhäuser im Tal mit den Krankenhausbauten verbindet, und vier scheinbar zufällig wie ein Arrangement aus Mikadostäben wirkende Betonstützen abgetragen. Die bizarre, höchst expressive Konstruktion zeigt, welche Mühe es bedeutete, das neue Gebäude mit dem Untergrund zu verzahnen, wobei erschwerend die Tatsache hinzukam, dass Spitalgebäude und Seilbahn aufgrund möglicher Vibrationen statisch voneinander getrennt werden mussten.

Lang ersehnter architektonischer Höhepunkt

Für die Kabinen selbst, die jeweils 78 Personen fassen, wählten agps eine Form, die als Reaktion auf die Einsprachen von Anwohnern unterhalb der Seilbahntrasse visuell nicht zu dominant sein durfte. So sind es silbergraue «bubbles floating through the sky», wie die Architekten es formulieren. Zwei Gondeln im gegenläufigen Betrieb hängen an jeweils zwei Seilen und werden von einem Antriebsseil bewegt. Die Antriebsscheibe befindet sich in der Talstation, während ein Gegengewicht in der Bergstation die Last der Seile und Kabinen kompensiert.

Drei Minuten dauert die Fahrt hinauf oder hinunter. Für die Fahrgäste bieten sich eindrucksvolle Blicke über Downtown Portland, über das Tal des Willamette River und bei gutem Wetter sogar auf den schon im Bundesstaat Washington gelegenen Mt. Rainier, den höchsten Berg der Cascade Range. Nicht zuletzt rücken aber auch die Seilbahnbauten ins Gesichtsfeld, welche die jüngste architektonische Attraktion der Stadt darstellen. Bei allem berechtigten Lob der «green city»: Qualitativ hochstehende Architektur ist in der Stadt seit dem von Charles Jencks zur Ikone der Postmoderne erhobenen «Portland Building» (1980–82) von Charles Moore nämlich nicht mehr entstanden.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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