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TEC21 2008|15
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TEC21 2008|15
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Bahnhof Visp

Der im Dezember eröffnete Lötschberg-Basistunnel hat Visp vom Industriestandort zum Verkehrsknotenpunkt gemacht. Die Zahl der Reisenden hat sprunghaft zugenommen, im Bahnhofquartier sind grössere Planungen im Gang. Mit dem Neubau von Bahnhof und Busterminal haben die Basler Architekten Steinmann & Schmid eine solide Basis für weitere Entwicklungen des Ortes gelegt.

14. April 2008 - Jutta Glanzmann
Seit dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember 2007 ist Visp das neue Tor ins Oberwallis ge - worden. Sind hier bisher circa 400 000 Personen pro Jahr um- oder ausgestiegen, werden es künftig fast zehn Mal mehr sein. Der 2002 gefällte Entscheid der SBB, Visp und nicht das bekanntere Brig zum neuen Hauptverkehrsknotenpunkt zu machen, veränderte das Bahnhofsquartier grundlegend. Vom ursprünglichen Projekt, mit dem die Basler Architekten Steinmann & Schmid 1999 einen nationalen Studienauftrag für die Neugestaltung des Bahnhofs gewonnen hatten, blieb nur die Idee, die Gleise der Matterhorn Gotthard Bahn (MGB) und der SBB auf der Ebene des Bahndamms zusammenzufassen und den Bahnhof ebenerdig auf Stadtebene zu erschliessen. Für die zusätzlichen Gleise wurde das Gleisfeld Richtung Süden um rund 20 m verbreitert; zwölf Gebäude südlich des alten Bahndamms mussten für die Infrastrukturanlagen und die Hochbauten des Bahnhofs Platz machen, darunter Wohnund Geschäftsbauten, Lagerhallen, Werkstätten und das Hotel «Touring». Eine Erweiterung Richtung Norden kam aufgrund der bestehenden Gleisgeometrie nicht in Frage. Steigt man heute in Visp aus dem Zug, ist der radikale Neuanfang selbst dann spürbar, wenn man das erste Mal hier ist – weniger im Gleisbereich des Bahnhofs als auf dem neuen Bahnhofplatz, wo sich jetzt auch der Busterminal für die vierzehn von Visp abgehenden Postautolinien befi ndet. An verschiedenen Stellen wird noch gebaut, einzelne Gebäude stehen aufgrund der neuen städtebaulichen Situation an exponierter Lage. Die Bauzeit für das 120-Millionen-Projekt war kurz: Nach einer intensiven Planungsphase blieben für die Realisierung der Perron- und Gleisanlagen sowie den Hochbau knapp drei Jahre. Gleichzeitig wirkt der momentane Zustand wie eine Metapher für den Aufbruch, den man sich in Visp aufgrund der neuen Ausgangslage verspricht. Mit dem Zug ist Bern in einer Stunde, Zürich und Basel in zwei Stunden erreichbar.

Städtebaulicher Akzent für die Zukunft

Kernstück des neuen Bahnhofs ist das fünfgeschossige Aufnahme- und Dienstleistungsgebäude. Der schmale, über 100 m lange Baukörper liegt parallel zum Bahndamm, der Visp in einen nördlichen, vorwiegend durch die Industrieanlagen der Lonza-Werke geprägten Teil und einen südlichen Siedlungsbereich trennt. Das Volumen ist dem Bahndamm quasi übergestülpt und wird so zur räumlichen Verbindung zwischen höher liegendem Bahntrassee und Stadtebene. Im entstehenden Bahnhofquartier setzt es – zusammen mit der über 400 m langen Stützmauer entlang des Bahndamms – einen ersten starken Akzent. Der ganz in Glas gehüllte Bau beherbergt in den unteren beiden Geschossen kommerzielle Nutzungen wie Café, Läden, Kiosk und die Kundenplattform von SBB und MGB. In den oberen drei Etagen befinden sich je rund 1300 m² Büroflächen. Sowohl bahn- als auch platzseitig ist das unterste Geschoss durch die zurückspringende Fassade klar als Sockel ausgebildet. In den oberen Stockwerken überspielt die äussere Verglasung der doppelschaligen Fassade die unterschiedliche Nutzung und verleiht dem Volumen einen homogenen, an trüben Tagen fast finsteren Ausdruck; ein Eindruck, der sich ändern mag, sobald die jetzt noch leeren Räume belebt sein werden. Bei guten Lichtverhältnissen spiegeln sich die umliegenden Berge in den Glaselementen, die geschossweise zueinander gekippt sind, und lassen ein sich stetig wechselndes Fassadenbild entstehen. Aufgrund seiner Lage betontdas Volumen von aussen die räumliche Trennung des Ortes durch den Bahndamm. Ganz anders im Innern: Von den oberen drei Geschossen geht der Blick durch die raumhohe Verglasung rundum in alle vier Himmelsrichtungen und ermöglicht eine Sicht auf Visp, die es so bisher nicht gegeben hat.

Schlichte Formen und klare Farben im Infrastrukturbereich

Für die Perrondächer entwickelten Steinmann & Schmid eine eigene Lösung, die von den üblichen Standarddächern der SBB abweicht. Dunkle, rechteckige Stahlstützen tragen die schlichte Konstruktion aus Holzelementen und Stahlträgern. In die helle Untersicht eingelassene Lichtbänder bringen beim Eindunkeln ein verspieltes Element in die formal strenge Komposition – ein Thema, das in der Personenunterführung und im leicht zurückversetzten Eingangsgeschoss wiederkehrt. Von den Perrons führen Treppen und Rampen, deren Einschnitte mit rostroten Stahlplatten ausgekleidet sind, in die Personenunterführung, die stadtseitig in den Bahnhofplatz übergeht. Dabei wirkt die Brandmauer des Gebäudes direkt gegenüber – ein Relikt aus einem Quartierplan der frühen 1990er-Jahre – leider nicht besonders einladend auf Reisende. Am nördlichen Ausgang der Fussgängerverbindung befi nden sich das neue Stellwerk und der zweite, neu gestaltete Zugang mit Veloabstellplätzen. Ein bemerkenswertes Detail: Runde Lichtstelen mit Birkenmuster begleiten die Fussgänger zum Eingang der Unterführung. Parallel zur Personen- liegt die Strassenunterführung, die um rund 20 m verlängert wurde und südseitig in einen neu geschaffenen Kreisel mündet. Von hier wird das um 150 Plätze ergänzte Bahnhofparking erschlossen. Dieses ist mit dem Untergeschoss des Bahnhofs über einen grosszügig gestalteten Zwischenbereich verbunden, wo sich Kurzzeitparkplätze befinden. Die 14 in unmittelbarer Nachbarschaft des neuen Dienstleistungsgebäudes fächerartig aufgereihten Haltekanten des neuen Busterminals von Postauto Wallis werden durch ein 100 m langes, diagonal verzogenes und an den Enden abgerundetes Betondach geschützt. Zusammen mit den Pilzstützen und den rot eingefärbten Haltekanten bildet der Terminal ein monolithisches Element, das verspielter und leichter wirkt als sein formal strengeres Gegenüber. Durch unterschiedlich grosse Oberlichtkuppeln fällt Tageslicht, abends taucht ein raffi niertes Beleuchtungskonzept den Busbahnhof in ein leicht schimmerndes, glänzendes Licht. Die an den Terminal anschliessende Grünanlage wird gegenwärtig realisiert, ebenso wie weitere Umgebungsarbeiten, die bis Mai 2008 abgeschlossen sein sollen. Seitens der Gemeinde, die sich bereits im Rahmen des Bahnhofneubaus mit rund 24 Millionen Frankendafür eingesetzt hat, dass dieser nicht zu einer reinen Umsteigeplattform wird, sind weitere Massnahmen geplant, um Visp für Einheimische und Besucher attraktiver zu machen. Dazu gehören laut Gemeindevizepräsident Niklaus Furger ein übergeordnetes Beleuchtungskonzept und kurzfristige Eingriffe im Zusammenhang mit der Möblierung des öffentlichen Raums, die man in nächster Zeit in Angriff nehmen will.

Ortschaft im Aufbruch

Die Aufwertung des Quartiers rund um den Bahnhof steht erst am Anfang. Durch die optimale Anbindung an den regionalen und den nationalen öffentlichen Verkehr ist Visp zu einem attraktiven Standort geworden – nicht nur als Arbeitsort, was die Gemeinde mit 6700 Einwohnern und 8400 Arbeitsplätzen ja bisher schon war, sondern auch als Wohnort für neue Einwohnerschichten. Laut Niklaus Furger hat die Wohnbautätigkeit im Ort in den letzten Jahren deutlich zugenommen: «Aktuell sind Projekte für Investitionen von rund 50 bis 60 Millionen Franken in der Pipeline.» Die rund 3600 m² Büroflächen im neuen Bahnhofgebäude waren bereits vor dem Bezug praktisch alle verkauft. Für zwei Areale in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, die aufgrund der Konzentration der Umsteigebeziehungen frei geworden sind, haben Steinmann & Schmid Testplanungen durchgeführt. Auf dem Postareal, dem bisherigen Standort der Postautos, sollen 3000 m² Verkaufsflächen und 55 Wohnungen entstehen. Für das ehemalige Gleisfeld der MGB sind eine Überbauung mit Parkplätzen im Untergeschoss, Verkaufsflächen und öffentliche Nutzungen im Erdgeschoss sowie rund 70 Wohnungen geplant. Beide Projekte, für die im April beziehungsweise Ende 2008 die Baueingaben vorliegen sollen, führen zu einer städtebaulichen Verdichtung des Quartiers rund um den Bahnhof. Visp ist gewillt, die Chance zu packen. Die Ausgangslage jedenfalls könnte nicht besser sein, schrieb doch «Tages- Anzeiger Online» am 6. März: «Deutschschweizer strömen ins Wallis». An Wochenenden stosse der neu gebaute Bahnhof bereits an seine Kapazitätsgrenzen, der Walliser Tourismusdirektor Urs Zenhäusern fordere deshalb den Vollausbau des Lötschberg-Basistunnels auf durchgehend zwei Röhren.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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