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TEC21 2008|17-18
2D -> 3D
TEC21 2008|17-18
TEC21 2008|17-18
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Aus Karton gefaltet

Im Rahmen eines Workshops entstand an der Hochschule Liechtenstein im September 2007 ein geschwungener Baukörper, dessen tragende Struktur aus rund 600 unterschiedlichen Wellkartonelementen besteht. Der temporäre Bau ergänzt die bestehende Modellbauwerkstatt des Instituts für Architektur und Raumplanung. Entworfen und vorfabriziert wurde er mithilfe von computergestützten, standardisierten Produktionsverfahren.

28. April 2008 - Oliver Fritz
Dieses Bauexperiment steht zusätzlich in engem Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt «Computergestützte Freiformen in der Architektur», das in den letzten zwei Jahren unter der Leitung des Autors an der Hochschule Liechtenstein von Tom Pawlofsky bearbeitet wurde. Schwerpunkt dieser staatlich und privat geförderten Forschung ist die Auseinandersetzung mit standardisierten Produktionsverfahren für beliebige Formen in architektonischem Massstab. Durch die Möglichkeit des freien Modellierens dreidimensionaler Formen am Computer und die sich daraus verändernde Formensprache der Architektur gewinnt dieser Aspekt zunehmend an Bedeutung. Ein Produkt des Forschungsprojekts ist der Prototyp eines Schalungssystems für Freiformen aus Wellkarton: Zu sehr günstigen Preisen ist nun die computergestützte Produktion grossformatigen Formenbaus – direkt aus dem 3-D-Programm gesteuert – möglich geworden. Es ist ein deutlicher Fortschritt zu den bisherigen Produktionsmethoden, bei denen für vergleichbare Projekte schiffbauähnliche Spantenkonstruktionen entworfen und gebaut werden. Das Herausfräsen von Grossformen mit CNC-Maschinen aus massiven Schaumklötzen findet aus Kostengründen kaum statt.

Entwurf

Das Institut für Architektur und Raumplanung der Hochschule Liechtenstein leidet seit geraumer Zeit an Platznot, daher der Wunsch nach einer ausgelagerten Modellbauwerkstatt. Auf Anfrage wurde ein ausdrücklich als temporär deklariertes Gebäude im Eingangsbereich der Schule genehmigt. Basierend auf den Resultaten studentischer Entwurfsarbeiten wurde entschieden, eine Werkstatt aus Wellkarton zu bauen: Einerseits unterstützt dieses Material den temporären Charakter eines solchen Baus, andererseits verfügt die Hochschule dank dem oben erwähnten Forschungsprojekt über die nötige Kompetenz, um es zu verwirklichen. Im Vorfeld konnten die Projektleiter bereits in einem ebenfalls gebauten Projekt, dem so genannten Pappshop, material- und produktionsspezifische Erfahrung sammeln und nachweisen, dass ein Selbstbau in einem Workshop mit Studierenden realisierbar ist.

Der Perimeter für die neue, 60 m² grosse Modellbauwerkstatt ist durch die Topografie geprägt sowie durch Fenster und Schächte, die nicht verbaut werden sollten, und durch einen Baum, den es zu erhalten galt. Eine aufgeständerte Holzplattform, die infrastrukturell mit Wasser und Strom ausgerüstet wurde, bildete die Grundlage für den Bau. Die Form des Grundrisses wurde im Wesentlichen durch Nutzung und äussere Faktoren beeinflusst. Da das Material Wellkarton nur bedingt Zugkräfte aufzunehmen vermag, musste sich der Schnitt dem Kräfteverlauf annähern. Um die 600 Elemente konstruktiv gleich einsetzen zu können, entstand eine unhierarchische Struktur ohne Unterscheidung zwischen den Bauteilen für Decke oder Wand. Da der Workshop zeitlich auf zwei Wochen limitiert war, mussten zahlreiche Entwurfsentscheidungen und Produktionsschritte vorweggenommen werden. Auch wurde der Bau erst nach dem erhofften Termin fertig, weil der gesamte Bauablauf der Wettervorhersage angepasst werden musste: Zu gross war die Gefahr, dass ein sommerlicher Regenschauer das in der Bauphase noch undichte Konstrukt innert zwei Stunden aufweichen würde. Der Grossteil der Vorfertigung fand im Atelier der Hochschule statt, die eigentliche Montage der Tragstruktur auf der Baustelle geschah innerhalb von drei bis vier Tagen.

Digitaler Prozess

Nachdem die Hüllform in einer 3-D-Software (Rhino 3D) modelliert worden war, musste ein Konzept für die angestrebte Triangulierung entwickelt werden. Ziel war es, möglichst gleich grosse, nahezu gleichseitige Dreiecke zu generieren. Dabei konnte auf Ideen Buckminster Fullers zurückgegriffen werden, der sich bei der Konstruktion seiner geodätischen Kuppeln genau mit dieser Problematik beschäftigt hatte. Üblicherweise wird ein Knotenpunkt über sechs sich treffende Dreiecke definiert. Um jedoch eine zweifache Krümmung herstellen zu können, bedarf es einiger Knotenpunkte, die – vergleichbar dem Abnehmen beim Stricken – aus nur fünf Dreiecken bestehen.

Nachdem die Position der Knotenpunkte auf der Form festgelegt worden war, konnten die Dreiecke gezeichnet werden; dann kamen die Streben, die Laschen der Kartons und schliesslich die Schnittmuster. Jedes der 600 Dreiecke hat eine andere Dimension und einen anderen Winkel. Ein Projekt dieser Komplexität manuell zu zeichnen, wäre nicht durchführbar gewesen; stattdessen wurden für die einzelnen Bearbeitungsschritte CAD-Skripte geschrieben, die – ähnlich wie das Drucken eines Word-Serienbriefs an unterschiedliche Adressaten – automatisch jedes einzelne Schnittmuster mit seinen individuellen Laschen, Falzlinien und seiner Beschriftung zeichneten. So gab es ein Script für die Generierung der Haut und eines für die Aufkleber der Bauteile; ein weiteres fertigte – einem Druckertreiber vergleichbar – aus den farbigen Linien der Zeichnung die Maschinendaten für die unterschiedlichen Werkzeuge des CNC-Flachbettcutters (Schneiden, Falzen, Beschriften). Auf diese Weise konnten die Daten für die Produktion und den Bau frei von Flüchtigkeitsfehlern und Zeichentoleranzen unmittelbar aus den Entwurfszeichnungen in wenigen Minuten generiert werden.

Dezentraler Aufbauplan und intelligente Bauteile

Der Aufbau der Bauelemente untereinander war über die Definition von Nachbarschaftsverhältnissen organisiert: Es gab also keinen klassischen Übersichtsplan mit Grundrissen oder Schnitten, sondern nur die Informationen zu Produktion, Identität und Nachbarschaft, die jedes Bauteil auf einem Sticker trug. Dieses System mit «intelligenten Puzzleteilen» hat sich beim Aufbau bewährt; ein «globaler» Plan wurde lediglich erstellt, um beim Verschweissen der PVC-Haut die Übersicht zu behalten.

Die Tragkonstruktion besteht aus schiefwinkligen Kartons mit Laschen, die zu stabförmigen Elementen gefaltet werden und die Kante eines Dreiecks bilden. Gemeinsam ergeben die geringfügig unterschiedlichen Elemente eine zweifach gekrümmte Form. Als Material wurde paraffinierter Wellkarton gewählt, der üblicherweise für die Produktion von Obstkartons zum Einsatz kommt. An den Knotenpunkten wurden die windmühlenförmig ineinandergreifenden Laschen verleimt und getackert; zu Montagezwecken wurde um jedes Dreieck ein Umreifungsband gespannt. Im Sockelbereich dient eine sägezahnförmige Unterkonstruktion aus Holz, die auf der aufgeständerten Holzplattform angebracht ist, zugleich als Schablone, Auflager und Spritzwasserschutz. Um die Pappkonstruktion gegen Regen zu schützen, erhielt sie eine Haut aus opaker PVC-Lastwagenplane, die zu einem grossen «Taucher­anzug» aus konfek­tionierten Einzelteilen zusammengeschweisst wurde. Die Hinterlüftung wurde mittels gebrauchter Tennisbälle gewährleistet, die als Abstandhalter zwischen der Konstruktion und der Blache (Folie) fungieren.

Dieses selbst gebaute Experiment vermittelt mit einfachen Mitteln komplexe Technologie als Lehrinhalt. Die erarbeiteten Erkenntnisse lassen sich separat anwenden oder auf andere Materialien übertragen, zeigten zum Abschluss des Forschungsprojekts aber auch die Grenzen der Machbarkeit auf. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts erscheinen dieses Jahr als Buch der Reihe «Positionen der Architektur» unter demselben Titel im Michael Imhof-Verlag, Petersberg.

[Oliver Fritz, ehem. Assistenzprofessor Hochschule Liechtenstein]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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