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TEC21 2008|17-18
2D -> 3D
TEC21 2008|17-18
TEC21 2008|17-18
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Verformtes Blech

Studierende der Fakultät Architektur der ETH Zürich haben eine 6 m lange Stahlblechbrücke mit der Freie-Innendruck-Umformung (FIDU) konstruiert und einem Belastungstest unterzogen. Diese neue Produktionsmethode hat ein hohes Potenzial für weitere Anwendungen in der Architektur – die entwickelten Formen können leicht und günstig konstruiert werden.

Die Professur für Computer Aided Architectural Design (CAAD) von Prof. Ludger Hovestadt an der ETH Zürich untersucht seit Jahren neue industrielle Produktionsmethoden. Ziel der Forschungsarbeiten ist die Entwicklung computerunterstützter, nahtlos ineinandergreifender Entwurfs- und Bauprozesse. Ein Thema, dem sich die Professur von Anfang an gewidmet hat, ist die Bearbeitung von Blech.

Die Freie-Innendruck-Umformung (FIDU)

Beim FIDU-Prozess werden aus zwei deckungsgleich geschnittenen und am Rand miteinander verschweissten Blechen stabile Formen erzeugt. Der Raum zwischen den Blechen wird durch Wasser- oder Luftdruck aufgeblasen und somit in seine endgültige Form gebracht. Die Form wird wesentlich über die Geometrie des Zuschnitts (Kontur), den verwendeten Innendruck und die Dauer des Druckes gesteuert. Im Gegensatz zur Innenhochdruck-Umformungs-Methode IHU (siehe Kasten Seite 37) kommt die FIDU mit einem Tausendstel dieser Drücke aus (0.1–7 bar). Die FIDU ermöglicht zudem eine Formgebung für das Blech am Ende einer digitalen Produktionskette. In dieser hat sich der CNC-gesteuerte Laser als universelles Trenn- und Verbindungsverfahren bewährt.

Entwurf und Produktion einer Brücke

In den Workshops und Seminarwochen der Professur für CAAD konnten die Studierenden einen Entwurf mit Stahlblechen machen und in der Werkstatt umsetzen. Dabei wurde die Diskrepanz zwischen der hochpräzisen Lasertechnologie und der ungenauen manuellen Montage deutlich, die sich bei Anwendung der FIDU-Methode für die Formgebung noch verstärkt. In bisherigen Experimenten wurden die Produktions- und Konstruktionsmöglichkeiten von Blechobjekten stets im kleinen Massstab getestet, in der Seminarwoche des Herbstsemesters 2007 wurde erstmals ein grösseres Tragwerk entworfen und produziert.

Die erste Phase der Seminarwoche bestand in der Auseinandersetzung mit der FIDU-Technologie, der Blechbearbeitung im Allgemeinen und dem materialgerechten Entwurf einer Brücke in Stahlblechkonstruktion (Typ St 3s DC04). Die zweite Phase widmete sich der Umsetzung und Realisierung des Konzepts. Zur Produktion der Brücke kamen computer­gesteuerte Maschinen zur Anwendung, die bei der CNC-Metallverarbeitung üblich sind (Laserschneid- und -schweissanlagen). Die 6 m langen Längsträger wurden mit einem Flachbett-Laser geschnitten (Bild 1), die Herstellung der 30 Querträger von1.2 m Länge erfolgte mit einem Laser-Schweissroboter (Bilder 2 3). Alle vorproduzierten Teile wurden im flachen, noch unverformten Zustand an die ETH gebracht. Die Hauptträgerelemente wurden vor Ort zusammengeschweisst und zum Aufblasen vorbereitet. Der Formgebungsprozess der Längs- und Querträger erfolgte mit Innendrücken bis 0.4 bar (Bilder 5–8). Nach der Formgebung wurden die Längs- und Querträger zu einer Brücke aufgebaut. Die Querträger wurden dabei als Flachkant eingebaut, um direkt eine begehbare Fläche zu erhalten (Bilder 10–12). Für die Auflagerbleche wurden 5 mm starke Stahlplatten gefertigt, die jeweils an den Enden der Längsträger beidseitig angeschraubt wurden (Bild 9 Hintergrund). Vertikale Laschen t=10 mm bildeten die Auflager (Bild 9 Vordergrund).

Im Anschluss fand ein Belastungstest der Konstruktion statt. Dazu wurde die Brücke auf dem Aufspannboden des Instituts für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich so verankert, dass sie horizontal in beide Richtungen unverschieblich gelagert war (Aufbau Bild 13). Bedingt durch die Lagerung ist die Brücke statisch unbestimmt und trägt ihre Lasten, abhängig vom Verhältnis der Steifigkeiten EA / EI, über Normalkräfte und Biegung ab. Im Belastungstest wurde die Konstruktion durch 25-kg-Sandsäcke sukzessive bis zum Bruch belastet. Am nördlichen Lager traten jedoch kleine horizontale Verschiebungen auf. Das Lager bestand aus zwei Hydraulikzylindern, die bedingt durch den zusätzlichen Öldruck aus der Auflast und durch die Elastizität der Ölschläuche Verschiebungen von bis zu 1.4 mm zuliessen. Dadurch reduzierte sich der Normalkraftanteil der Lastabtragung, und die Lasten wurden zu einem grösseren Anteil über Biegung abgetragen.

Tragverhalten der Brücke erfassen

Um das Tragverhalten der Brücke während der Belastung erfassen zu können, wurden sechs induktive Wegaufnehmer jeweils in jedem Viertelspunkt der beiden Längsträger positioniert. Zwei weitere Wegaufnehmer massen die horizontalen Verschiebungen des nördlichen Lagers und die Querverschiebung in Feldmitte der Brücke. Um die vertikalen Auflagerkräfte zu erfassen und die Lastaufbringung zu kontrollieren, wurden unter das nördliche Lager zwei Kraftmessdosen gesetzt. Durch zwölf Dehnmessstreifen (DMS), die an einem der beiden Längsträger jeweils beidseitig an der oberen und der unteren Kante in den Viertelspunkten aufgebracht wurden, konnten Dehnungen des Längsträgers gemessen werden. Zusätzlich wurde die Verformung bzw. Verschiebung der gesamten Brücke mit einem terrestrischen Laserscanner ZLSO7 dreidimensional nach jeder aufgebrachten Last-stufe erfasst. Die Belastung der Querträger wurde nicht separat beobachtet.

Die Belastung erfolgte in Laststufen zu je 8 Sandsäcken à 0.25 kN bis zum Bruch (Bild 14: Last-Verformungs-Kurven; Bild 15: Horizontalkraft und Horizontalverschiebung im nördlichen Lager). Die Last wurde von der Mitte der Brücke nach aussen hin zu den Auflagern als verteilte Last aufgebracht. Nach Erreichen der siebten Laststufe war die Brückenfläche komplett mit Sandsäcken belegt, und die weitere Last wurde in einer zweiten Lage erneut von der Mitte nach aussen hin positioniert. Bei der neunten Belastungsstufe zeigte die Brücke plötzlich grössere Verformungen, bei Beginn der zehnten Laststufe (1.85 kN) versagte die Konstruktion und knickte in der Feldmitte der Längsträger ein.

Aus dem Last-Verformungs-Diagramm (Diagramm 1: blaue Kurve) lässt sich erkennen, dass ab einer Gesamtlast von 14 kN die Steifigkeit der Brücke abnimmt und die Kurve flacher wird. Die Konstruktion versagte bei einer Gesamtlast von 18.5 kN durch Beulen und dadurch bedingte grosse plastische Verformungen im Druckgurt der Längsträger (Bilder 18 und 19). Dieser ist durch die Formgebung von Beginn an stark imperfekt, da die Bleche bereits beim Aufblasen aufgrund der plastischen Verformung beulen. In diesen Bereichen tritt zunächst erstes lokales Versagen auf, was schliesslich zum Versagen der Gesamtkonstruktion führt.

Berechnung am idealen statischen System

Der Vergleich mit einer Berechnung der Brücke anhand eines idealen Systems, also ohne die erwähnten Imperfektionen aufgrund der Formgebung, zeigt, dass bis zu einer Belastung von 8 kN die Steifigkeit der Brücke durch die Imperfektionen nicht vermindert wird. Erst ab einer Belastung von 12 kN nimmt sie ab. Die am imperfekten System gemessene Kurve fiel insgesamt nur leicht flacher aus als die am idealen perfekten System errechnete.[1] Die Berechnung am idealen System erfolgt unter Berücksichtigung der gemessenen horizontalen Verschiebungen u am nördlichen Lager. Die blaue Kurve (Bild 14) zeigt auf der y-Achse bei einer Last von 10 kN und 14 kN horizontale Abschnitte, welche die Kurve nach links verschieben und somit die Steifigkeit erhöhen. Dies erklärt sich durch ein zweimaliges Ausgleichen der horizontalen Verschiebung, wobei die Zylinder des nördlichen Lagers durch Erhöhung des Öldruckes zurück in den unverschobenen Zustand gebracht wurden. Dadurch wird die Normalkraft in den Längsträgern erhöht und der Bieganteil der Lastabtragung verringert, was zu einer Reduktion der Durchbiegung in Feldmitte führt. Die horizontalen Verschiebungen nach rechts zeigen den jeweiligen Beginn der nächsten Laststufe. Bild 15 stellt den Verlauf der horizontalen Verschiebung u am nördlichen Lager (blaue Kurve) und die zugehörige gemessene Horizontalkraft an den Auflagern (rote Kurve) dar. Die Horizontalkraft entspricht der Normalkraft in Feldmitte der Längsträger.

FIDU als Alternative zu bisherigen Profilen

Das Ergebnis des Belastungstests zeigt, dass Konstruktionen aus verschweissten, dünnen Blechen, die mit der FIDU-Methode geformt werden, für grössere statische Systeme eingesetzt werden können. Sie stellen eine Alternative zu herkömmlichen Rohr- oder Hohlprofilen dar. Die auftretenden Imperfektionen aufgrund der Formgebung verringern zwar die maximal aufnehmbaren Lasten. Mit diesen Profilen sind aber – bedingt durch die schnelle und einfache Herstellung, die Materialeinsparung und den einfachen Transport – Konstruktionen möglich, die kostengünstiger sind als vergleichbare Systeme aus herkömmlichen Profilen.

Die Brücke hat bei einer Spannweite von rund 6 m und einer Breite von 1.2 m ein Eigengewicht von rund 170 kg. Die Traglast betrug im Versuch 1800 kg, sodass ein Verhältnis von Nutzlast : Eigengewicht von 10 : 1 erzielt werden konnte. Vergleicht man diese Konstruktion mit einer konventionellen Brücke aus Standardprofilen aus Stahl, zum Beispiel IPE 180 als Längsträger und IPE 100 als Querträger mit einer Fahrbahn aus Stahlgitterrosten, so kann rund die Hälfte an Eigengewicht eingespart werden. Vergleicht man die Produktionskosten der Konstruktionselemente, so ermittelt man rund 3500 Fr. für die konventionelle Bauart. Bei der FIDU-Methode, mit einem realistischen Ansatz von 500 Fr. / Stunde für die Laserschneid- und -schweissmaschine, werden bei ähnlichem Planungsaufwand Produktionskosten von 1200 Fr. generiert. Mit der FIDU-Methode können also nicht nur interessante Formen entwickelt, sondern auch leichtere und günstigere Konstruktionen ermöglicht werden.

Die Entwicklung der FIDU-Methode und ihrer Möglichkeiten steht erst am Anfang. In weiteren Studentenprojekten sollen im Laufe dieses Jahres potenzielle Anwendungsgebiete aufgezeigt werden. Parallel zu dieser konzeptionellen Entwicklungsarbeit wird auf dem Aufspannboden des Instituts für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich ein Versuchsstand erstellt, auf dem verschiedene FIDU-Prototypen, deren Träger sich in Geometrien und Konstruktionsart unterscheiden, systematisch getestet werden können. So soll das Potenzial dieser Konstruktionsmethode auch wissenschaftlich erfasst werden.

Anmerkung
[1] Anmerkung der Redaktion: Auf die Berechnungen, die im perfekten System gemacht worden sind, ist aufgrund der nicht präzis kalkulierbaren Formgebung der Träger nur bedingt Verlass. Die bisherigen Versuche reichen aber noch nicht aus, um einen Abminderungsfaktor festlegen zu können.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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