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TEC21 2008|21
Tunnel Lösungen
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Durch den Lötschberg

Der Lötschberg-Basistunnel wurde im Dezember 2007 für den Personenverkehr freigegeben. Die Verkehrsnachfrage übertrifft alle Erwartungen. Da erst eine der beiden Röhren durchgehend betriebsfertig ausgebaut ist, wird immer wieder der Vollausbau gefordert. Der Autor gibt einen Überblick über die heutige Nutzung und wägt das Für und Wider eines Ausbaus ab.

19. Mai 2008 - Toni Eder
Seit dem 9. Dezember 2007 fahren die Züge fahrplanmässig durch den Lötschberg. Zwischen Bern und dem Wallis verkehren täglich rund 40 Personenzüge und 60 Güterzüge durch den Basistunnel; über die Bergstrecke kommen etwa 40 Personenzüge und 20 bis 25 Güterzüge hinzu. Für Personenzüge beträgt die Fahrzeit von Spiez nach Brig durch den Basistunnel 35 Minuten gegenüber rund 70 Minuten über die Bergstrecke. Damit ist mit dieser zentralen innerschweizerischen schnellen Verbindung auch ein wichtiges Mosaikstück in der Anbindung der Schweiz an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz realisiert. Für den Güterverkehr schafft der Lötschberg-Basistunnel zusätzliche Kapazitäten, um den Schwerverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern.

Der 34.6 km lange Tunnel besteht zwischen dem Nordportal in Frutigen und Mitholz aus einer Tunnelröhre und dem zum Rettungs- und Sicherheitsstollen umgebauten früheren Sondierstollen Kandertal. Südlich von Mitholz bis zum Südportal in Raron bestehen zwei Einspurtunnelröhren. Zwischen Frutigen und Ferden ist nur eine, im Abschnitt Ferden – Raron sind beide Röhren bahntechnisch ausgerüstet (Bild 2).

Das Gesamtsystem Lötschberg

Auf den durchgehenden Ausbruch und den Vollausbau der zweiten Röhre wurde im Zuge der heftigen politischen Diskussionen über die Finanzierung der Neat als Gesamtsystem Gotthard – Lötschberg im Wesentlichen aus Kostengründen verzichtet. Es konnte dadurch ca. 1 Milliarde Franken gespart werden. Damit wurde die Realisierung der Netzlösung, d.h. der Bau von beiden AlpTransit-Achsen, möglich. So steht im gültigen Alpentransit Beschluss [1], dass «das Netz der BLS Lötschbergbahn AG (...) durch einen neuen, teilweise eingleisig ausgerüsteten Lötschberg-Basistunnel zwischen dem Raum Frutigen und dem Raum Steg / Baltschieder einschliesslich der Verknüpfungen an die Stammlinien erweitert» wird. Dieser Parlamentsauftrag ist seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2007 erfüllt. Das heutige System – Lötschberg-Basistunnel und Lötschberg-Scheiteltunnel – genügt kapazitäts- mässig mittelfristig für das zu bewältigende Verkehrsaufkommen. Im Basistunnel fahren die schnellen Personenzüge, alle Güterzüge nach Süden und 1/3 der Güterzüge nach Norden. Durch den Scheiteltunnel verkehren die Züge für den Autoverlad Kandersteg – Goppenstein. Die Bergstrecke Frutigen – Brig wird für den Tourismus- und den Interregioverkehr sowie für den periodischen Autoverlad bis Iselle genutzt. Zugleich ist sie auch Entlastungs- und Ausweichstrecke für den Basistunnel. Weiter werden 2/3 des Güterverkehrvolumens Richtung Norden über die Bergstrecke geführt, da sie in der Regel ein geringeres Gewicht aufweisen. Basis- und Scheiteltunnel bilden somit ein Gesamtsystem für eine kapazitätsseitig homogene Nord-Süd-Achse.

Engpässe auf den Zulaufstrecken und deren Beseitigung

Seit der Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels verkehrt der Güterverkehr auf der Achse Lötschberg – Simplon über Basel entlang der folgenden Strecke durch die Schweiz: Basel – Ergolztal – Olten – Bern [2] – Lötschberg-Basistunnel oder Bergstrecke – Simplontunnel – Domodossola. Gegenwärtige und prognostizierte Engpässe auf den Zulaufstrecken werden mit einer Reihe von Massnahmen in den nächsten Jahren behoben (Bild 3). Damit wird der Güterverkehrsnachfrage auf dieser Achse mittelfristig entsprochen werden können.

Die Frage des Vollausbaus des Lötschberg-Basistunnels

Bereits während des Baus wurden Forderungen nach einem Vollausbau des Tunnels gestellt. Sie kommen vor allem aus den Kantonen Wallis und Bern und haben sich jetzt verstärkt. Schon sehr bald nach der Betriebsaufnahme der neuen Strecke zeigte sich, dass das neue Angebot so gut genutzt wird, dass alle Erwartungen im Personenverkehr übertroffen wurden und fast alle Gütertrassees bereits belegt sind. Tatsächlich verkehrten am bisherigen Spitzentag, dem 24. Januar 2008, 108 Züge durch den Basistunnel. Die Forderung nach einem Vollausbau wird auch mit den zeitlichen Verzögerungen beim Bau des Gotthard- Basistunnels als Rückgrat der Neat begründet, der erst rund zehn – statt wie vorgesehen sechs – Jahre nach dem einspurigen Lötschberg-Basistunnel in Betrieb gehen wird. In diesem Zusammenhang ist zudem auf den Umstand hinzuweisen, dass auf einer leistungsfähigen Verkehrsachse einmal eingespielte Verkehrsströme sich erfahrungsgemäss nur schwer auf später fertig gestellte Achsen zurückholen lassen. Betrieblich gesehen hat die Einspurstrecke zur Folge, dass der Lötschberg-Basistunnel nur eine begrenzte Flexibilität aufweist und dadurch Stabilitätsprobleme beim Fahrplan auftreten können. Verspätet eintreffende Züge müssen deshalb auf einen nächsten freien Slot (ein zeitliches «Durchfahrfenster») warten oder über die Bergstrecke geführt werden. Zwischen dem 9. Dezember 2007 und Anfang April 2008 kam dies bei 234 Zügen (Güter- und Personenverkehr) vor, wobei nur 10 % der Fälle auf Störungen der Infrastruktur des Basistunnels zurückzuführen waren, der Rest auf Verspätungen und Störungen der Eisenbahnverkehrsunternehmung. Dabei hat sich gezeigt, dass von den 74 Verspätungsfällen 71 auf Güterzüge entfielen. Insgesamt verkehrten seit der fahrplanmässigen Inbetriebnahme über 10 000 Züge durch den Basistunnel.

Die infrastrukturbedingten Umleitungen über die Bergstrecke betrafen somit lediglich 0.2 % aller Züge, was die hohe Verfügbarkeit des Tunnelsystems belegt. Diese Kapazitäts- und Betriebsfragen gilt es bei der Frage eines allfälligen Vollausbaus zu berücksichtigen: Das heute bestehende, zwischen Zulaufstrecke und Alpenquerung austarierte System ermöglichte eine Optimierung des Einsatzes der finanziellen Mittel. Trotzdem kann damit das Verkehrsvolumen mittelfristig mit dem jetzt gebauten Netz bewältigt werden. Der Lötschberg- Basistunnel wurde entsprechend dem übrigen Bahnnetz auf das Mischsystem ausgelegt, da der Wegfall der Steigungen einerseits der verstärkten Umlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene dienen soll, andererseits im Personenverkehr schnelle und attraktive Verbindungenangeboten werden können. Der Lötschberg-Basistunnel und die doppelspurige Lötschberg- Bergstrecke bilden zusammen ein Gesamtsystem. Dieses ermöglicht die gewünschte Steuerung der Verkehrsflüsse. So war es betrieblich möglich, die erwähnten verspäteten Züge über die Bergstrecke umzuleiten. Die aufgezeigten Stabilitätsprobleme stehen einer Grossinvestition eines durchgehend zweispurigen Ausbaus gegenüber.

Durch den Ausbau der Betriebszentrale der BLS in Spiez, von wo aus die BLS den gesamten Zugverkehr zwischen Gümligen Süd und Domodossola sowie auf der Rhonetallinie zwischen Brig und Siders steuern und optimieren kann, wurde versucht, mit betrieblichen Massnahmen die Probleme zu lösen. Gegen einen Vollausbau spricht auch, dass die mit einem Ausbau im Tunnel geschaffene Kapazität nur dann genutzt werden kann, wenn die Zulaufstrecken die zusätzliche Kapazität auch bewältigen können. Die Kapazität und Stabilität eines Bahnnetzes darf nicht nur lokal betrachtet, sondern muss in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden. Wie oben erwähnt ist das System heute austariert. Das heisst, dass in die Zulaufstrecken im Norden und im Süden mehrere Milliarden Franken investiert werden müssten, um Basis- und Scheiteltunnel auslasten zu können.

Schliesslich ist ein Vollausbau in nächster Zeit auch deshalb nicht vorgesehen, weil die Lötschberg-Simplon-Achse auch bei einem Doppelspurausbau nicht zu einer Flachbahn für den Güterverkehr wird. Die Südrampe des Simplontunnels weist grosse Steigungen auf, die entsprechende kostenintensive Traktionsleistungen erfordern. Es gibt somit – bei beschränkten finanziellen Mitteln – verschiedene Gründe gegen einen kurzfristigen Vollausbau der zweiten Röhre; längerfristig könnte dies aber anders sein.

Ausblick

Im Gesetzesprojekt zur zukünftigen Entwicklung der Bahninfrastruktur (ZEB), das im laufenden Jahr im Parlament behandelt wird, sind aus Gründen der finanziellen Ressourcen nur die vordringlichsten Infrastrukturausbauten aufgenommen. Deshalb ist der Ausbau des Lötschberg-Basistunnels darin nicht enthalten. Bei einem weiteren Ausbauschritt des schweizerischen Eisenbahnnetzes gilt es, nachfragegerecht für die verschiedenen Zugsarten / -typen (Fernverkehr, Regionalverkehr, Güterverkehr, Unterhaltsverkehr) mit den unterschiedlichen Fahreigenschaften (Geschwindigkeit, Beschleunigung, Masse usw.) marktgerechte Bahntrassees bereitzustellen und die damit verbundenen Infrastrukturen zu planen. Mittelfristig würde die Realisierung einer Erweiterungsoption zu ZEB, die jedoch nicht finanziert ist, eine weitere Verdichtung des Personenverkehrsangebots zwischen Bern und dem Wallis ermöglichen. Mit dieser Erweiterungsoption könnten zudem alle Güterzüge via Lötschberg- Basistunnel geführt werden. Dazu wäre es notwendig, den Rohbauabschnitt zwischen Ferden und Mitholz im Lötschberg-Basistunnel bahntechnisch auszurüsten. Die dafür erforderlichen Investitionen belaufen sich gemäss heutigen Schätzungen auf rund 460 Millionen Franken. Die Prüfung der Erweiterungsoptionen zu ZEB ist im Rahmen der Erarbeitung der Folgebotschaft zur Gesamtschau FinöV vorgesehen.

Fazit

Die Verkehrsnachfrage des neuen Lötschberg-Basistunnels ist nicht nur erfreulich, sondern übertrifft alle Erwartungen. Das neue Bauwerk und die bahntechnischen Installationen funktionieren zuverlässig und sicher. Bei den hohen Kosten von 4.3 Milliarden Franken (Preisstand 1998) eines solchen Werks muss dies so sein. Die weitere Entwicklung, d. h. der zweiröhrige Ausbau, ist damit eine Frage der Zeit, der finanziellen Möglichkeiten und des politischen Willens.

[Toni Eder, Vizedirektor Bundesamt für Verkehr]
Anmerkungen
[1] Bundesbeschluss über den Bau der schweizerischen Eisenbahn-Alpentransversale, Artikel 5 bis Buchstabe b (SR 742.104)
[2] Der Güterverkehr ist gemäss Bundesgerichtsentscheid, soweit dies mit den betrieblichen Anforderungen zu vereinbaren ist, über die Neubaustrecke zu leiten und darf in der Zeit von 22.00–06.00 Uhr nicht über die alte Strecke via Langenthal–Burgdorf geleitet werden

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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