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TEC21 2008|21
Tunnel Lösungen
TEC21 2008|21
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Tunnelsysteme testen

Der Lötschberg-Basistunnel als Einspurtunnel verfügt über geringere freie Querschnitte als vergleichbare Tunnelbauwerke, weshalb bislang wenige übertragbare Erfahrungen aus anderen Projekten vorliegen. Die Verifizierung der bislang nicht messtechnisch überprüften rohbaurelevanten Projektannahmen hat gezeigt, dass die Annahmen der Planungsgrundlagen richtig waren. Sie können als Vergleichswerte in anderen in zwei Einzelröhren geführten Bahntunnelprojekten in die Projektierung einfliessen und am erstellten Bauwerk überprüft werden.

Die Ingenieurgemeinschaft Lötschberg-Basistunnel (IG-LBT) als Projektierende des Rohbaus (siehe Bild 2 des vorhergehenden Beitrags) hatte von der BLS AlpTransit AG den Auftrag, die Projektannahmen für den Rohbau zu verifizieren, also die theoretischen Berechnungen, die den verschiedenen Gesamtsystemen zu Grunde liegen, in der Praxis zu überprüfen. Dazu wurde ein Versuchskonzept erarbeitet, das mit mehreren, grösstenteils unabhängigen Versuchen die getroffenen Projektannahmen und deren Auswirkungen auf die verschiedenen Gesamtsysteme wie Bahntunnelsystem, Diensttunnelsystem, Entwässerungssystem und Lüftungssystem umsetzt. An unterschiedlichen Stellen im Bahntunnel sowie im Diensttunnel, den Querschlägen und -verbindungen (QS und QV) sowie in der näheren Peripherie des Bauwerks wurden hierfür Messstellen definiert.

Im Rahmen der Inbetriebsetzungsphase des LBT im Frühjahr 2007 wurden umfangreiche Testfahrten mit verschiedenen Zugtypen und Zuggeschwindigkeiten bis 280 km / h durchgeführt. Anhand des diversifizierten Rollmaterials war es möglich, unter betriebsnahen Verhältnissen die verschiedenen Gesamtsysteme (Entwässerungssystem, Aerodynamik etc.) und deren Wechselwirkungen durch Messungen am Bauwerk zu testen. Im LBT wurden hohe Anforderungen bezüglich Sicherheit und Hydraulik an das Entwässerungssystem (Trennsystem mit Tunnelabwasser- und Bergwassersystem) gestellt.

Funktionstüchtigkeit des Entwässerungssystems

Elemente des Tunnelabwassersystems tragen dazu bei, die Explosionssicherheit zu erhöhen und eine geeignete Ereignisbekämpfung zu ermöglichen. Bei der Projektdefinition wurden einerseits Vorgaben bezüglich des oberflächigen Abflussverhaltens bei einer Havarie mit flüssigem Gefahrgut definiert. Andererseits sind mit der Projektierung systematische Vorkehrungen, wie die Quersiphonierung, der Einbau von Retentionsschwellen auf der Fahrbahn und die Einspeisung eines Stetslaufs, getroffen worden. Die Quersiphonierung unterbindet den Luftaustausch zwischen der Tunnelatmosphäre und dem Tunnelabwassersystem. Bautechnisch wurde sie zwischen den Einlaufschächten und -rinnen in der Fahrbahn sowie den Kontrollschächten der Tunnelabwasserleitung realisiert. Die in einem Abstand von rund 84 m versetzten Retentionsschwellen verhindern eine gross-flächige Ausbreitung der Lachen bei einem Ereignis mit flüssigem Gefahrgut. Beim Stetslauf handelt es sich um Bergwasser, welches mit einem Volumenstrom von rund 5 l / s in die jeweilige Tunnelabwasserleitung eingespeist wird. Der Stetslauf erhöht die Explosionssicherheit durch das Verlöschen der Flammenfront und die Unterbindung der Explosion und garantiert zudem das Auftreten niedriger Druckwerte (rund 1 bar) im Fall von Explo sionsereignissen im Tunnelabwassersystem. Mit den Versuchen zum Entwässerungssystem galt es, Aussagen zum Abflussverhalten bei einem Havariefall mit flüssigem Gefahrgut und über die Abflusswirksamkeit des Stetslaufs zu formulieren sowie qualitative Aussagen zum Verhalten in den Schächten bei Zugsdurchfahrten zu dokumentieren.

Versuchsanordnung und -durchführung am Entwässerungssystem: Für die Simulation des Havariefalls sind zwei repräsentative Tunnelquerschnitte ausgewählt worden. Bei diesem Versuch wurde einerseits das oberflächige Abflussverhalten (Lachenausbreitung, Wasserstand zwischen den Retentionsschwellen) mittels Beobachtungen und einfachen manuellen Messungen registriert. Anderseits wurde das Abflussverhalten im Leitungssystem durch Messung der Abflusshöhe und des Volumenstroms mittels Venturidüsen und Niveaumessungen (Drucksonden, Echolote) ermittelt (Bild 2). Die Abflussdaten wurden bei jeder Messstelle mit einem autarken Datalogger aufgezeichnet. Der Havariefall – in den Projektvorgaben als zweiphasiger Prozess modelliert (1. Phase: Freisetzungsrate Q = 125 l /s während 10 Minuten; 2. Phase: Freisetzungsrate Q = 25 / s während 110 Minuten) – erforderte die Bereitstellung von 240 m³ Wasser. Die Bereitstellung des Gesamtvolumens bedingte eine aus zwei Lösch- und Rettungszügen sowie fünf zusätzlichen Kesselwagen bestehende Zugskomposition. Die Simulation des Havariefalls wurde während jeweils eines Tages bei jeder Versuchsstelle durchgeführt (Bilder 1 und 3). Die Verifikation des Stetslaufs erforderte die Erfassung des Volumenstroms jeweils bei den Einspeisungs- und Austrittstellen aus dem Tunnel. Für die Ermittlung des Volumenstroms wurden ebenfalls Durchflussmessstellen (Venturidüsen und Drucksonden) mit autarken Dataloggern installiert. Um das Abflussverhalten im Tunnelabwassersystem während Zugdurchfahrten zu registrieren, wurden im Abstand von rund 2 km Niveaumessungen (Drucksonden) in den Kontrollschächten eingebaut. Mit diesem Versuchsaufbau konnten Aussagen über die Füllstände der Siphons sowie über allfällige durch Zugdurchfahrten implizierte Wellenbewegungen formuliert werden. Die für den Versuch installierten Datalogger registrierten Daten über mehrere Tage und ermöglichten eine für die Inbetriebsetzungsphase repräsentative Auswertung.

Resultate der hydraulischen Messungen und Vergleich mit den Projektannahmen: Die Simulation des Havariefalls im Basistunnel hat ergeben, dass Differenzen zu den Vorgaben und zu den im Rahmen des Detailprojektes «Entwässerungskonzept» erstellten numerischen Simulationen der EPFL vorliegen. Dies ist v. a. auf Abweichungen bei den Modellannahmen von der Realität zurückzuführen (z. B. kann durch Undichtheiten der Retentions schwellen das zur Verfügung stehende Retentionsvolumen nicht vollständig ausgeschöpft werden). Die hydraulischen Prozesse (Verweildauer bei der Retention und Ableitung) sind in Wirklichkeit tendenziell günstiger als bei den theoretischen Betrachtungen. Unter Einbezug der sicherheitsrelevanten Aspekte gilt es, die Ereigniskräfte für die realen Verhältnisse zu sensibilisieren. eim zweiten Versuch haben die Beobachtungen während rund fünf Tagen aufgezeigt, dass der Stetslauf grundsätzlich in sämtlichen Tunnelabwasserleitungen abflusswirksam ist. Die durch die Zugdurchfahrten hervorgerufenen Druckschwankungen im Bahntunnel wiesen geringfügige Auswirkungen auf die Wasserspiegellage in den Kontrollschächten auf. Die kurzzeitige Veränderung der Wasserspiegellage hat jedoch keinen Einfluss auf die für die Sicherheit erforderliche Quersiphonierung. Des Weiteren konnten teilweise geringe Wellenbewegungen vermutet werden (Bild 5). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Einfluss von Zugdurchfahrten die Siphonierung im Allgemeinen nicht massgeblich beeinträchtigen wird. Zudem gewährleistet der Stetslauf – neben der Erhöhung der Explosionssicherheit – eine stetige Nachfüllung der Siphons in den Tunnelabwasserschächten.

Beurteilung und Empfehlung: Im Allgemeinen haben die Versuche aufgezeigt, dass das Entwässerungssystem funktional den Anforderungen entspricht. Um die Resultate, beispielsweise der Auswirkungen von Druckschwankungen im Bahntunnel auf das Entwässerungssystem, zu erhärten, sind Versuche bei Zugfahrten während des Betriebszustandes anzustreben.

Drainage-Belüftung bei Erdgasvorkommen

Die im Verlaufe mehrerer Jahre im LBT durchgeführten Erdgasmessungen belegen, dass eine geringe, in einzelnen Tunnelabschnitten mässige Ausgasung des Gebirges vorliegt. Diese Ausgasung tritt nur in wenig belüfteten Bergwasserdrainageleitungen, in Bohrlöchern oder in abgeschlossenen, unbelüfteten Räumen auf. Im freien Querschnitt konnte bei der herrschenden Luftzirkulation nie Gas festgestellt werden. Mit Ausnahme bei Querverbindung Nr. 19 konnten zudem in der Bergwasserentwässerung nirgends und zu keinem Zeitpunkt (Methan-) Gaskonzentrationen festgestellt werden, die im Bereich eines Alarm- oder gar eines Explosionswertes liegen.

Aus diesem Grund wurde beschlossen, die Bergwasserdrainage bei Querverbindung Nr. 19 mittels der Druckdifferenz zwischen Dienststollen und Bahntunnel zu belüften. Basierend auf Machbarkeitsuntersuchungen sowie auf Messungen in einer Versuchsstrecke wurden Vorgaben zur Umsetzung dieser Erdgasbelüftung festgelegt.

Versuchsanordnung und -durchführung bei den Gasmessungen: Die Messkampagnen des Gasexperten zeigten, dass die gemessene Erdgaskonzentration wesentlich von den herrschenden, zum Teil meteorologisch bedingten Druckverhältnissen im Tunnel abhängt und grossen Schwankungen unterworfen ist. Unter dieser Voraussetzung kann die Funktionalität der Erdgasbelüftung nicht abschliessend mittels Erdgasmessungen nachgewiesen werden. Der Nachweis kann hingegen mittels Überprüfung des auftretenden Luftaustauschs (Strömungsgeschwindigkeit) im Entwässerungssystem erfolgen.

Hierauf basierend wurden 2 Messszenarien, eines ohne Bahnbetrieb während zukünftiger Betriebsphasen ohne Zugverkehr (Nacht, Erhaltung etc.) und eines mit Bahnbetrieb während Betriebsphasen mit Zugverkehr, definiert. Die im Laufe der Messkampagne erfassten Messorte in der Bergwasserdrainage bei Querverbindung Nr. 19 sind in Bild 7 dargestellt.

Resultate der Gasmessungen und Vergleich mit den Projektannahmen: In den betrachteten Bereichen der Bergwasserentwässerung wurde ein ausreichender Luftwechsel mit Strömungsgeschwindigkeiten zwischen ca. 0.3 m / s und 3.8 m / s gemessen (Bilder 4 und 6). Ohne Bahnbetrieb bestand eine starke Abhängigkeit des Luftwechsels in der Bergwasserentwässerung von der lüftungsbedingten Druckdifferenz zwischen Dienststollen und Bahntunnel. Mit Bahnbetrieb dominieren die zugbedingten Druckschwankungen den Luftaustausch in der Bergwasserdrainage (Bild 8). Eine diesbezügliche Beeinträchtigung der Erdgasbelüftung konnte aber nicht festgestellt werden. Aufgrund der Erdgasbelüftung wurden nur in einzelnen Entwässerungsschächten und zudem unkritische Methankonzentrationen erfasst.

Beurteilung und Empfehlung: Anhand der Messungen konnte die ausgelegte Funktionalität der Erdgasbelüftung des LBT nachgewiesen werden.

Im Zusammenhang mit allfälligen künftigen wirtschaftlichen Optimierungen der Betriebslüftung muss auch die Erdgasbelüftung auf einen ausreichenden Luftaustausch in der Bergwasserentwässerung bei reduzierter Druckdifferenz zwischen Dienststollensystem und Bahntunnel überprüft werden.

Druckschwankungen im Tunnel

Zugbedingte Druckschwankungen in Bahntunnels entstehen insbesondere während der Zugein- und -ausfahrt in oder aus dem Tunnel, der Zugdurchfahrt durch Querschnittsänderungen (z. B. bei Spurwechseln) und der unmittelbaren Zugvorbeifahrten. Sie breiten sich entlang der Bahntunnelröhren aus und können über Öffnungen wie Spalte, Lüftungsöffnungen, offene Klappen etc. in benachbarte Hohlräume übertragen werden. Als Hohlräume gelten z. B. Querschläge, Kavernen, Zugangsstollen, Schränke, Entwässerungsrohre, Kabelkanäle und -schächte. Dabei wirken Kräfte auf die Wandungen oder Abschlüsse (beispielsweise Querschlagtüren, Schaltschränke) ein. Im Bahntunnel befindet sich der Oberflächen-Kabelkanal (OKK). Durch zugbedingte Druckschwankungen treten kurzzeitig Kräfte auf die Abdeck platten des OKK auf. Da die Abdeckplatten des OKK lose aufgelegt sind, stellt sich die Frage, ob zugbedingte Druckschwankungen zu einem Abheben der Schachtdeckel führen können. Öffnungen zwischen den OKK-Deckeln (Spalte) sowie regelmässige grössere Aussparungen zwischen dem OKK und dem Bahntunnel bewirken einen Druckausgleich. Dadurch wird verhindert, dass aufgrund von Druckunterschieden zwischen dem Kabelkanal und der Bahntunnelröhre die OKK-Deckel abheben und den Zugverkehr gefährden.

Versuchsanordnung und -durchführung zur Messung zugbedingter Druckschwankungen: An drei Orten im LBT erfolgten Messungen zugbedingter Druckschwankungen sowie der resultierenden Auswirkungen auf OKK-Abschlüsse (Bilder 9 und 10).

Resultate der Luftdruckmessungen und Vergleich mit den Projektannahmen: An den drei Messorten im Tunnel bleiben die maximalen Druckschwankungen bezogen auf den Normaldruck in Tunnel / QV / QS für den Extremfall eines Höchstgeschwindigkeitszuges (vZug ≈ 280 km / h) unterhalb der Projektannahmen. Als Beispiel werden in Bild 11 die gemessenen Druckabweichungen vom Normaldruck für den Bahntunnel bei QV 46 sowie für den angrenzenden Querschlag dargestellt. Im ausgewählten Zeitintervall von ca. 12 h erfolgten Messfahrten mit bis zu 280 km / h. Die Druckänderungen in der Bahntunnelröhre werden nur gedämpft über die Lüftungsöffnungen übertragen. Der extreme Druckabfall (von Pos 1: ca. 1.5 kPa, zu Pos 2: ca. –2.5 kPa) aufgrund der unmittelbaren Zugvorbeifahrt beträgt in der Bahntunnelröhre ca. Δp = 4 kPa, während die maximalen Druckschwankungen im Querschlag | pmax | = 2.5 kPa betragen. Die Druckänderungen im QS 46 betragen im ungünstigsten Fall dagegen nur ca. Δp = 0.8 kPa (rote Linie), die Messung erfolgte im QS in der Nähe des QS-Abschlusses. Druckschwankungen werden über die Lüftungsöffnung nicht nur in ihrer Amplitude gedämpft, sondern auch in ihrem zeitlichen Verlauf beeinflusst. Daraus ergeben sich Druckdifferenzen über den QS-Abschluss von maximal Δpmax = /–2.8 kPa.

Für gemischten Zugverkehr (Personen-, Güter- und weitere Testzüge) sind die zugbedingten Druckschwankungen sowie die resultierenden Auslenkungen der OKK-Deckel für einen Messzeitraum von 20 Tagen in Bild 12 dargestellt. Während des Messzeitraumes sind die Auslenkungen der OKK-Deckel aufgrund zugbedingter Druckschwankungen in der Grössenordnung von ca. 5 mm, was auf die Lagefestigkeit der betrachteten OKK-Deckel zurückzuführen ist. Diese liegen lose auf und neigen aufgrund geringer Unebenheiten zu Auslenkungen um die Ruhelage (kippeln). Grössere Auslenkungen oder einseitiges Abheben der Schachtdeckel wurden für keinen der Messorte festgestellt.

Beurteilung und Empfehlung: Für die vorliegende Betriebsphase liegen die maximal auftretenden Druckabweichungen vom Normaldruck in Tunnel, QV und QS innerhalb der Projektannahmen.

Die untersuchten Vorgaben an den Rohbau konnten durch Messungen bestätigt werden. Treten keine Abweichungen vom Grundlagendossier auf, so sind die Beanspruchungen von Einbauten aufgrund zugbedingter Drucklasten unproblematisch. Bei zukünftigen Abweichungen von den Projektgrundlagen (beispielsweise durch verändertes Rollmaterial) ist eine erneute messtechnische Verifizierung der Projektannahmen zu prüfen.

[Christoph Schlotter, dipl. Bauing. FH, Projektleiter Versuchsprogramm, IG LBT, p. A. Emch Berger AG Bern

Andreas Busslinger, Dr. sc.nat., dipl. Naturwissenschafter ETH, Versuchsleiter Funktionstüchtigkeit Drainage-Belüftung in Bereichen mit Erdgasvorkommen, IG-LBT, p. A. HBI Haerter AG Bern

Bernd Hagenah, Dr.-Ing., Dipl.-Physiker, Wirtschaftsingenieur (FH) / SIA, Versuchsleiter zur Bestimmung der Druckschwankungen im Tunnel, IG-LBT, p. A. HBI Haerter AG Bern

Roger Kolb, dipl. Bauing. FH / NDS FH BWL / UF, Versuchsleiter Funktionstüchtigkeit Entwässerungssystem, IG-LBT, p. A. Emch Berger AG Bern

Urs Stoller, Leiter Projektierung, BLS AlpTransit AG]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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