Zeitschrift

TEC21 2008|22
Architektur hören
TEC21 2008|22
TEC21 2008|22
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Das Mysterium der Akustik

Man hat mich gefragt, ob der Bösendorfer Saal in Wien erhalten werden solle. Der Frager ging wohl von der Voraussetzung aus, dass es eine Frage der Pietät wäre, einen Saal, der in der Musikgeschichte nun eine so grosse Rolle gespielt hat, nicht zu demontieren. Aber diese Frage ist nicht eine Sache der Pietät, sondern eine Frage der Akustik. Diese Frage will ich nun beantworten. Es war gut, dass ich gefragt wurde, sonst hätte ich die Antwort mit ins Grab genommen.

26. Mai 2008 - Adolf Loos
Seit Jahrhunderten beschäftigen sich die Architekten mit Fragen der Akustik. Sie wollten sie auf konstruktivem Wege lösen. Sie zeichneten gerade Linien vom Tongeber nach der Decke und meinten, dass der Schall wie eine Billardkugel im selben Winkel von der Bande abspringe und seinen neuen Weg nehme. Aber alle diese Konstruktionen sind Unsinn. Denn die Akustik eines Saales ist nicht eine Frage der Raumlösung, sondern eine Frage des Materials. Einen akustisch schlechten Saal kann man durch weiche Stoffe, durch Vorhänge und Wandbespannungen verbessern. Ja, ein mitten durch die Wand gespannter Zwirnsfaden kann die Akustik eines Raumes völlig verändern oder verbessern.

Das aber sind Surrogate. Denn diese weichen Stoffe saugen den Ton auf und nehmen ihm seine Fülle. Da wussten die Griechen besser Bescheid. Unter den Sitzen ihrer Theater hatten sie in gleichen Abständen Kammern angebracht, in denen sich jeweils ein grosses metallenes Becken befand, das mit Trommelfell bespannt war. Sie versuchten, den Ton zu verstärken, nicht ihn zu schwächen. Und der Bösendorfer Saal hat die herrlichste Akustik, ohne alle Vorhänge, mit geraden, nackten Mauern.

Also gilt es wohl, einen neuen Saal zu bauen, mit den genauen Abmessungen des alten Saales, um den Anhängern der bisherigen Akustiktheorie recht zu geben, und aus demselben Material, um mir recht zu geben? Das Resultat: Der Saal wäre vollständig unakustisch. Man hat diese Versuche schon gemacht. In Manchester wurde der berühmte Bremer Konzertsaal genau kopiert, der als der Best-akustischste berühmt ist – mit negativem Erfolg. Aber bisher war jeder neue Saal akustisch schlecht. Manche erinnern sich an die Eröffnung der Wiener Hofoper. Man klagte damals, dass es mit der Wiener Gesangskunst durch das unakustische Haus für immer vorbei sei. Und heute gilt die Oper als das Muster eines akustischen Theaters.

Haben sich unsere Ohren geändert? Nein, das Material, aus dem der Saal besteht, hat sich geändert. Das Material hat durch vierzig Jahre immer gute Musik eingesogen und wurde mit den Klängen unserer Philharmoniker und den Stimmen unserer Sänger imprägniert. Das sind mysteriöse molekulare Verbindungen, die wir bisher nur am Holz der Geigen beobachten konnten.

Um einen Raum akustisch zu machen, muss man also darin Musik machen? Nein, das genügt nicht. Gute Musik muss man drinnen machen. Denn die Seelen der Menschen kann man wohl betrügen, aber nicht die Seele des Materials. Säle, in denen man bisher nur Blechmusik gespielt hat, bleiben ewig unakustisch. Aber, so fein empfindlich ist die Seele des Materials: Man lasse durch acht Tage eine Militärmusik-Kapelle im Bösendorfer Saal schmettern, und die berühmte Akustik des Raumes ist sofort beim Teufel – wie die Geige eines Paganini durch einen Stümper sofort ruiniert werden würde. Überhaupt wird Blechmusik vom Baumaterial nicht gut vertragen. Daher ist immer die eine Seite des Opernhauses weniger akustisch – da wo das Blech spielt. Säle, in denen nie Blechinstrumente spielen, weisen mit der Zeit die beste Akustik auf. Im Mörtel des Bösendorfer Saales wohnen die Töne Liszts und Messchaerts und zittern und vibrieren bei jedem Ton eines neuen Pianisten und Sängers mit. Das ist das Mysterium der Akustik des Raumes.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: