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TEC21 2008|22
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Getäfertes Zelt

Ob Rockkonzerte, Theateraufführungen oder Bankettanlässe: Das im November 2007 eingeweihte Pentorama in Amriswil erlaubt die Durchführung der verschiedensten Veranstaltungen.

26. Mai 2008 - Anita Simeon
Diese multiple Nutzung stellt erweiterte Anforderungen an das Gebäude, unter anderem an dessen Akustik. 2004 hatte die Gemeinde Amriswil daher einen Wettbewerb initiiert, der den Neubau einer Festhütte auf dem Areal des bestehenden Gebäudes vorsah. Mit ihrer bauphysikalisch wie architektonisch bemerkenswerten Lösung setzten sich Müller Sigrist Architekten aus Zürich gegen 139 Konkurrenten durch. Am Samstag spielt die Militärmusik auf, am Donnerstag findet ein Fest des heimischen Handballklubs statt, und am Freitag gibt es einen Live-Auftritt von Pandora, einer albanischen Schönheit, zu deren Ehren das Pentorama auch schon mal zum Pandorama umgetauft wird. Die neue Festhütte soll allen möglichen Anlässen Platz bieten. Das Betreiberkonzept geht auf: Die Veranstalter geben sich die Klinke in die Hand.

Multifunktionalität war bereits im Wettbewerb ein zentrales Kriterium. Müller Sigrist Architekten aus Zürich entschieden sich für ein im Grundriss fünfeckiges Gebäude, dessen Höhenentwicklung an ein Zeltdach erinnert. Der Zenit der Dachkonstruktion – ein Stahlgerippe, das auf den vor Ort betonierten Wänden liegt – befindet sich im Schwerpunkt der grossen Festhalle. Die Zentrizität des Saales ermöglicht unterschiedliche Bespielungen. Die Möblierung kann auf die Bühne oder zum Zentrum hin ausgerichtet sein. Bei einem Konzert ohne Bestuhlung können an verschiedenen Orten Menschengruppen entstehen, die den Saal unhierarchisch in dichtere und weniger dichte Zonen unterteilen. Dementsprechend erhalten auch die Öffnungen im Saal eine einheitliche, gleichmässige Verteilung. Die Bühnenöffnung hat die gleichen Masse wie das Fenster zur Landschaft und der Ausschnitt zur Galerie.

Herausforderung an die Akustik

Die Ungerichtetheit des Saales kommt auch der Akustik zugute. Würde man die Fläche in ein Rechteck zur Bühne hin organisieren, hätten die hinteren Ränge Mühe, die Protagonisten auf dem Podium zu verstehen. Obwohl die Geometrie des Raumes sich positiv auf die Akustik auswirkt, waren zusätzliche akustische Massnahmen erforderlich. Die Architekten haben dies jedoch nicht als bautechnisches Übel betrachtet, sondern die akustischen Elemente auch in optischer und architektonischer Sicht integriert. «Natürlich haben wir auch Standardprodukte untersucht, aber wir sind zusammen mit der Bauherrschaft zu dem Schluss gekommen, dass eine Neuentwicklung, die an die speziellen Gegebenheiten des Gebäudes angepasst wird, in dieser Grössenordnung gerechtfertigt ist», meint Architekt Peter Sigrist. Zusammen mit Spezialisten – Amstein und Walthert AG in Zürich für die Planung und BBF Fehraltorf für die Ausführung – entwickelten die Architekten ein Akustiksystem, das für das polygonale Gebäude und die geforderte Multifunktionalität massgeschneidert ist. So fand man während der Entwicklung heraus, dass die Aufteilung des Lochanteils in den Platten für die akustischen Werte weniger bedeutend ist als der prozentuale Anteil der Lochung an sich. Ob kleine Perforationen oder grössere Schlitze macht im Gebrauch wenig Unterschied.

In Absprache mit der Bauherrschaft wählten die Architekten etwa 20 cm lange Schlitze mit einer Breite von gut 1 cm. Diese Art Öffnung unterstreicht die Längsrichtung der Täferung, welche für die Innenverkleidung der Zeltstruktur gewählt wurde. Peter Sigrist: «Das traditionelle Element der Täferung erschien uns in dieser ländlichen Umgebung angebracht – einerseits als Analogie zu den getäferten Stuben der Region, andererseits verstärken die langen, schmalen Bretter die Fokussierung der Holzverschalung zur Spitze des Zeltes hin. Im Gegensatz zur traditionellen Täferung in Massivholz haben wir uns für die moderne Ausführung in lackierten Holzfaserplatten entschieden.» Die Farbgebung unterstützt ebenfalls die Sogwirkung zum Dachmittelpunkt. Die Farbe hat dagegen gemäss Peter Sigrist keinen akustischen Einfluss: «Ich glaube nicht, dass die Farbgebung eine massgebende Auswirkung auf die Hörempfindung des Publikums hat. Uns war wichtig, die innere Haut von der äusseren Hülle aus Kupfer zu unterscheiden. Nach etlichen Simulationen der Saalabwicklung im Modell haben wir uns mit der Bauherrschaft für die gebaute Variante entschieden.» Auch die Dimensionierung der Schalungseinteilung und das Design des Lochbildes wurden im Modell überprüft.

Reflexion und Absorption

Eine gelochte Oberfläche wirkt jedoch noch keine akustischen Wunder. Massgebend ist die Ausformung der Flächen hinter den Löchern. Gut zwei Drittel der Oberflächenabwicklung sind mit zwei Schichten Vlies und Mineralwolle hinterlegt. Diese weichen Materialien absorbieren die Schallwellen praktisch komplett. Die Konstruktion wurde von der Empa schalltechnisch geprüft. In einem abgeschlossenen Raum mit bekannten Nachhallzeiten wurde eines der neuen Deckenelemente eingebracht und die Veränderung gemessen. So konnten die Absorptionskoeffizienten ermittelt werden. Diese Werte wurden mit jenen von bekannten Konstruktionen verglichen, und die absorbierende Wirkung wurde danach beurteilt: Im Vergleich mit Standardprodukten kann die neu entwickelte Konstruktion bestens mithalten. Die vorgehängte Schicht ermöglicht ausserdem die unsichtbare Führung technischer Installationen.

Damit die Tonalität des Saales jedoch nicht zu dumpf wird, wurden in der Decke zusätzlich zwei reflektierende Zonen eingebaut. Die eine befindet sich 2 m von der Bühne entfernt und weist eine Breite von 8 m auf, die andere ist im hinteren Teil des Saales angebracht und ist vor allem für die Reflexion der Schallwellen in Richtung Galerie zuständig (siehe Bild 9). In diesen Bereichen wurde auf die schalldämmende Mineralwolle verzichtet, stattdessen wurde hinter der Lochung eine reflektierende Sperrholzplatte verlegt. An den Wänden reicht die absorbierende Konstruktion von der Decke bis zu einer Höhe von 2 m über dem Saalboden. Dazu die Architekten: «Eigentlich wäre es besser, wenn die Wände vollständig absorbierend wären, aber die Bauherrschaft bestand aus betrieblicher Sicht auf einem harten Hintergrund im für Besucher zugänglichen Bereich. Sie hatte Angst, dass das Vlies und die Mineralwolle mit spitzen Gegenständen aus den Löchern gezupft würden.» Dieses Eingeständnis an die Sicherheitsvorkehrungen fügt dem Akustikgleichgewicht jedoch keinen erheblichen Schaden zu, denn im Vergleich zu einer Tonhalle, wo die Nutzung klar vorgegeben ist und alle Bauteile auf ihre Akustik hin überprüft werden müssen, steht bei der multifunktionalen Nutzung des Pentoramas vor allem die Behaglichkeit im Vordergrund.

Vibrierende Membranen

Die Anforderungen an die Behaglichkeit des Gebäudes beginnen schon beim Eingang. Im Gegensatz zum Saal wurden die Oberflächen in diesem Gebäudeteil roh belassen, der Sichtbeton reflektiert die Schallwellen in höchstem Masse. Damit sich aber die Worte der Besucher in der Pause auch in diesem Teil des Gebäudes nicht überschlagen, waren hier schallabsorbierende Massnahmen erforderlich. Die Architekten wollten jedoch in diesem Bereich nicht auf die Reduziertheit der Oberflächen verzichten, und so wurden die akustischen Mittel im Leuchtenbereich eingefügt. Die grossmassstäblichen Leuchtkörper an der Decke wurden mit einer für Schallwellen durchlässigen Spezialfolie bespannt. Die Absorption erfolgt in der dahinter liegenden Ebene mittels an der Decke montierter Mineralwollplatten. Diese Lösung entspricht darüber hinaus dem Thema der Eingangshalle, in der die Künstler Monica Germann und Daniel Lorenzi aus Zürich in Analogie zu den früheren Textilfabriken in der Region schnittmusterähnliche Zeichungen an die Wände aufbrachten. Das Pentorama ist als Ganzes durchkomponiert – und obwohl der trichterförmige Eingang einem Megafon ähnelt, ist die Tonlage des Innenraumes an jede denkbare Veranstaltung bestmöglich angepasst.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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