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TEC21 2008|24
Masse in Bewegung
TEC21 2008|24
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Mobile Fans

Die Fans der 16 europäischen Teilnehmerländer werden ihre Mannschaften zur Fussball-Europameisterschaft in die Schweiz und nach Österreich begleiten. Die erwartete Menschenmasse wird die Verkehrssysteme stark belasten. Bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren in Deutschland untersuchten die Autoren dieses Artikels das Mobilitätsverhalten der europäischen Fans. Die hier präsentierten Erkenntnisse wurden bei der Planung der Verkehrsabwicklung während der Euro 08 in der Schweiz und in Österreich berücksichtigt.

«Die Welt zu Gast bei Freunden» hiess das Motto der Fussballweltmeisterschaft 2006. Aber wie bewegt man die Welt ausserhalb der Stadien – werden die Zuschauer aus aller Welt die verschiedenen Verkehrsangebote nutzen? Kann man Fussballfans so lenken, dass Verkehrssysteme effizient genutzt werden? Kommen die vielfältigen Informationen bei ihnen an? Diese und viele andere Fragen stellte man sich im Vorfeld der WM 2006 in Deutschland. Aufbauend auf den Befragungen zum Fifa-Confederations-Cup 2005 konnte im Rahmen des Projektes «Verkehrs- und Eventmanagementmassnahmen zur Fifa-WM 2006» die Mobilitätsforschung fortgeführt werden. Zu diesem Zweck wurden europäische WM-Zuschauer befragt. Ziel des Projekts war es, die Wirkungsweise und die Akzeptanz der umfangreichen verkehrlichen Massnahmen zur WM 2006 zu untersuchen. Das Projekt wurde vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert. Kooperationspartner waren die Technischen Universitäten aus Berlin und Kaiserslautern.

Die WM-Besucher

Rund 40 % der Karten der «public sales» wurden ins Ausland verkauft, die meisten davon in die Teilnehmerländer. Besucher aus Grossbritannien, den Niederlanden oder aus Schweden verwandelten die zwölf Spielorte in bunte Fahnenmeere. Die vielen mexikanischen Fans in den Zügen oder die feiernden Südkoreaner auf Leipzigs Strassen zeigten, dass die Fuss - ballanhänger nicht nur aus dem europäischen Ausland nach Deutschland reisten. Nach der Auswertung der 6300 Interviews stand fest: Der durchschnittliche ausländische WMZuschauer war männlich, zwischen 25 und 35 Jahre jung und hatte meist einen höheren Bildungsabschluss. Dies vermutlich, da die Kosten für Anreise, Übernachtung und Ticket nicht gerade günstig waren. Die Besucher der Fussballweltmeisterschaft waren nicht mit den Zuschauern vergleichbar, die regelmässig Bundesligaspiele besuchen. An den Fanfesten traf man zudem viele ausländische Fans, die keine Eintrittskarte besassen, aber trotzdem das WM-Gefühl geniessen wollten.

Zum Spielort reisen

Wie sah das Mobilitätsverhalten der Zuschauer aus? Bei der Wahl des Verkehrsmittels für den Weg zum Spielort unterschieden sich die einzelnen Nationalitäten: Franzosen fuhren am liebsten mit dem Auto. Schweden und Schweizer nutzten die Bahn häufiger als andere Nationen, das Auto war jedoch auch bei diesen Nationen das meistbenutzte Verkehrsmittel. Die Niederländer stellten die meisten Reisebusnutzer. Zwei Drittel der Portugiesen und Spanier flogen zum Spielort. Bei den europäischen Gästen aus den Nachbarländern Deutschlands dominierte der motorisierte Individualverkehr, Zweidrittel fuhren mit dem Auto zum Spielort. Die Eisenbahn wurde von etwa einem Fünftel der Reisenden genutzt, was über den im Freizeitverkehr bekannten Werten liegt. Zuschauer, die aus anderen europäischen Ländern zur Weltmeisterschaft anreisten, taten dies in erster Linie mit dem Flugzeug oder mit dem Auto. Etwas verfälscht wurde das Bild durch die dauerhaft in Deutschland lebenden ausländischen Fans und durch Besucher, die nicht am jeweiligen Spielort übernachteten, sondern aus anderen Städten anreisten.

Der Weg zum Stadion

Auf dem Weg innerhalb des Spielortes zum Stadion wurde der Erfolg der verschiedenen lokalen Nahverkehrskonzepte deutlich. Ziel der Verkehrskonzeptionen in den zwölf Spielorten und dem gemeinsamen Vier-Farben-Wegeleitsystem war, dass entsprechend den Vorgaben aus dem Umweltkonzept mehr als die Hälfte aller Zuschauer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Stadion fahren. Die vorhandenen Infrastrukturen der öffentlichen Verkehrssysteme sollten gleichmässig und effizient ausgelastet werden, da durch die vielfältigen räumlichen Anforderungen der Fifa nicht immer die im Bundesligabetrieb üblichen Parkplätze nutzbar waren. Zudem wurde die räumliche Trennung von Fangruppen bei High-Risk-Matches mit Hilfe der unterschiedlichen Wegeführung zum Stadion vorbereitet. Auf dem Ticket wurde der jeweilige Sitzplatz einer Farbe zugeordnet, die ausserhalb des Stadions dem Zuschauer den entsprechenden Weg zuwies.

Teure Infrastrukturerweiterungen, die nur für den Zeitraum der Weltmeisterschaft genutzt worden wären, sollten vermieden werden. Deshalb wurde mit Hilfe von gezielten Verkehrsmanagementmassnahmen die vorhandene Kapazität der einzelnen Verkehrssysteme intelligent genutzt (vgl. Artikel «Fliessender Verkehr»).Vergleicht man die Anteile des motorisierten Individualverkehrs bei der Stadion- und bei der Spielortanreise, fällt auf, dass der Anteil bei der Stadionanreise deutlich niedriger ist. Vor allem die Übernachtungsgäste liessen ihr Auto stehen und fuhren mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Stadion. Wegen der unterschiedlichen Verkehrskonzepte in den einzelnen Spielorten variierte der Modal Split auf dem Weg zum Stadion. (Mit Modal Split ist die prozentuale Aufteilung der Benutzer auf die verschiedenen Verkehrsmittel gemeint.) Das Olympiastadion in Berlin ist zum Beispiel sehr gut mit U- und S-Bahn erreichbar. Parkplätze waren am Stadion nicht vorhanden, sondern erst am weiter entfernten Messegelände. Der PW-Anteil war dementsprechend mit 7 % der ausländischen Zuschauer sehr gering. Frankfurt verfügt neben der guten Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln (S-Bahn und Tram) über viele Parkplätze im Umfeld des Stadions. 33 % der ausländischen Gäste reisten mit dem Auto an.

Insgesamt fiel bei den ausländischen Gästen auf, dass sie auch längere Wege zu Fuss zurücklegten, beispielsweise aus der Leipziger Innenstadt oder vom Hauptbahnhof zum Zentralstadion (ungefähr 20 min Fussweg). Im Vergleich zu den deutschen Zuschauern nutzten die ausländischen Gäste wesentlich häufiger das Taxi. Im Umfeld der Stadien führte dies zu Problemen, da Taxistandplätze fehlten.

Die sehr frühe Anreise der Fans zu den Stadien überraschte die Planungsakteure. Deutlich früher als «normale» Bundesligabesucher erreichten die ausländischen Zuschauer die Arenen. Demzufolge mussten die Zusatzangebote im Nahverkehr früher als geplant anrollen. Je später das Spiel angepfiffen wurde, desto mehr Zuschauer kamen früher zum Stadion. Rund 20 % der Befragten waren schon fünf Stunden vor dem Anpfiff um 21 Uhr am Stadion. Der gleiche Effekt war während der Gruppen- und Finalphase erkennbar – je wichtiger die Spiele wurden, umso früher kamen die Fans.

Informationsquellen

Bei internationalen Sportgrossveranstaltungen ist es wichtig, die Zuschauer vor und während des Aufenthalts mit den notwendigen Informationen zum ÖV-Angebot zu versorgen. Nur durch die offensive Information über die Angebote lässt sich das Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel fördern. Im Vorfeld informierten sich die ausländischen Gäste hauptsächlich über das Internet. Die Anreiseinformationen, die jeder Zuschauer mit seinem Ticket erhielt, waren ebenfalls hilfreich.

Mehr ausländische als deutsche Fans haben sich während der Reise informiert. Dabei nutzten sie vorrangig Stadtpläne und Hinweisschilder zu den Stadien. Moderne Hilfsmittel wie Navigationsgeräte unterstützten die Fans, aber auch Passanten und freiwillige Helfer wurden häufig angesprochen. Gerade die Fangruppen, die orts- und sprachunkundig sind, müssen mit Hilfe von verschiedenen Informationskanälen geleitet werden. Damit ist ein Lenken von Verkehrsströmen mit dem Ziel der effizienten staufreien Nutzung von Verkehrssystemen möglich.

Neben dem sportlichen Erfolg, den friedlichen Fans und dem guten Wetter konnte der Verkehr seinen wichtigen Beitrag zum guten Gelingen der Fussball-WM in Deutschland beitragen. Diesen Erfolg wünschen wir der Euro 08 auch.

[Christian Canis, TU Berlin, FG Schienenfahrwege und Bahnbetrieb, ccanis@railways.tu-berlin.de
Markus Engemann, Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft, markus.engemann@dvwg.de]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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