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TEC21 2008|29-30
Gegenwind
TEC21 2008|29-30
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Windexponiert

Zur Ermittlung der Windkräfte, die auf gewöhnliche Bauwerke einwirken, sind die SIA-Normen ein einfaches und bewährtes Hilfsmittel. Bei speziellen Bauwerken stossen sie jedoch an ihre Grenzen. Für die Konstruktion und Bemessung solcher Tragwerke sind weiterführende Untersuchungen erforderlich. So können Messungen am Modell im Windkanal aussagekräftige Ergebnisse liefern.

Wind und Böen nehmen Menschen – im Gegensatz zu anderen Einwirkungen auf Tragwerke – direkt wahr, sei es als angenehme Brise oder als zerstörerischen Sturm. Windstärke und Windrichtung ändern sich ständig und sind kaum voraussehbar. Für die Arbeit des Tragwerks- oder Fassadenplaners müssen diese komplexen Verhältnisse vereinfacht werden. Im Normenwerk des SIA wird dabei so vorgegangen, dass der Wind als statisch wirkende Kraft behandelt wird, in die die dynamische Wirkung auf die Bauwerke mit einem Beiwert eingerechnet wird. Bei Strukturen, die nicht schwingungsanfällig sind, ist dieser Wert gleich eins, deshalb kann das Verfahren nach der SIA-Norm im Allgemeinen einfach und konsistent eingesetzt werden. Bei speziellen Problemen wird auf die erforderlichen Vorgehensweisen verwiesen.

Auf Gebäude oder Gebäudeteile wirkende Windkräfte werden anhand von äusseren Gegebenheiten (Standort, Lage und Geometrie des Bauwerks) und des Schwingungsverhaltens des Tragwerks ermittelt. Sofern die entsprechenden Parameter eines Bauwerks durch die Angaben in den Normenwerken abgedeckt sind, können diese ohne weitere Untersuchungen übernommen werden. Ist dies nicht der Fall, wird eine Interpolation und Interpretation erforderlich, die jedoch nicht ohne weiteres die erforderliche Genauigkeit und Sicherheit erzielt. Dies gilt insbesondere für Bauwerksformen, die nicht im Anhang der SIA-Norm aufgeführt sind (Bild 2), für schwingungsanfällige Strukturen (Bild 3) und für Bauwerke an exponierter Lage (Bild 1). In diesen Fällen drängen sich weiterführende Untersuchungen und Berechnungen auf.

Untersuchungen im Windkanal

Die spezifischen Angaben für die Kräfte auf aussergewöhnliche Bauwerksformen und für das Schwingungsverhalten von Tragwerken können in Windkanalversuchen ermittelt werden. Dazu wird ein Modell des Bauwerks in einem Windkanal untersucht. Durch das Anordnen von Hindernissen wird im Kanal ein Windprofil erzeugt, das dem real zu erwartenden entspricht. Das Modell wird sowohl als Solitär als auch umgeben von den vorhandenen und den in Zukunft zu erwartenden Nachbarbauten untersucht (Bilder 4 und 5). Das Modell ist mit Sensoren ausgestattet, die die entstehenden Druckkräfte auf die Oberfläche messen. Aus diesen Ergebnissen können mit Hilfe von Umrechnungen und statistischen Auswertungen die statischen Windkräfte auf das reale Bauwerk ermittelt werden. Da die Steifigkeit und das Schwingungsverhalten des Windkanalmodells nicht denen des effektiven Bauwerks entsprechen, sind für die Ermittlung der dynamischen Bauwerksreaktion weitere Schritte erforderlich. Dazu wird ein äquivalentes Stab- oder FE-Modell des Tragwerks erstellt und in einer Computersimulation mit den gemessenen Lastzeitreihen belastet. So können die dynamischen Effekte untersucht und quantifiziert werden. Mit diesen Untersuchungen wird eine höhere Planungssicherheit erzielt, weil realitätsnahe Windkräfte angesetzt werden können. In diversen Fällen können dadurch die Trag- und Fassadenkonstruktionen optimiert werden.

Bis heute ist es nur begrenzt möglich, Windkanalversuche durch rein rechnerische Simulationen zu ersetzen. Solche sind im Hochbau jedoch auch nur selten erforderlich, weil die Windkanalversuche schnell und im Verhältnis zu den Bausummen kostengünstig durchgeführt werden können. Im Weiteren können bei einer Windkanaluntersuchung zusätzlich die Windverhältnisse in den umgebenden Freiflächen simuliert und gemessen und bei der Planung der Nutzung der Aussenräume verwendet werden (siehe dazu auch Artikel «Unkomfortabel» Seite 18 ff.).

Lokale Windverhältnisse

Bei exponierten Standorten reicht die Ermittlung des Referenzstaudrucks mit den Angaben aus den Normen nicht mehr aus. Hier bietet sich für die Ermittlung der Windverhältnisse neben Windkanalversuchen auch das Auswerten der Messwerte von lokalen Windmessstationen an. Da Windmessdaten im Allgemeinen nicht direkt am Bauplatz vorhanden sind, müssen umliegende Messstationen herangezogen und die Werte extrapoliert und mit bekannten Angaben bei ähnlichen Lagen abgeglichen werden. Diese Untersuchungen sind von ausgewiesenen Fachleuten durchzuführen, weil die richtige Interpretation der Daten grosse Erfahrung verlangt.

Tragsicherheit: Wind oder Erdbeben

Mit der Ermittlung von realitätsnahen Windkräften und den zugehörigen Bauwerksreaktionen ist ein wichtiger Teil der erforderlichen Arbeit für den Tragwerksentwurf getan. Der Nachweis der Tragsicherheit erfolgt danach gemäss den entsprechenden Konstruktionsnormen. Neben dem Wind ist auch die Einwirkung von Erdbeben zu untersuchen. Vereinfacht gilt bei Hochhäusern, dass bei einem weichen Tragwerk eher die Windeinwirkung massgebend ist. Eine steife, gedrungene Tragstruktur ist dagegen eher empfindlich gegenüber Erdbeben. Da bei den in der Schweiz üblichen Hochhausabmessungen nicht ohne weiteres erkennbar ist, welche Bemessungssituation massgebend wird, müssen beide Einwirkungen untersucht und einander gegenübergestellt werden. Ab einer gewissen Gebäudehöhe wird weise für die Gesamtstabilität am Gebäudefuss die Windbeanspruchung dominant. Bei der Abstufung der Aussteifungswände ist aber zu beachten, dass in den oberen Geschossen trotzdem die Erdbebenbeanspruchung für die Tragwerksbemessung massgebend werden kann. Im Zuge der Einführung erhöhter Erdbebenanforderungen wurden verschiedene Gebäude bezüglich ihrer Erdbebensicherheit überprüft, ohne dass der Wind beachtet wurde. Eine gemeinsame Betrachtung der beiden Bemessungssituationen ist jedoch unabdingbar.

Gebrauchstauglichkeit: Eine Frage des Komforts

Da es sich bei Wind um eine dynamische Einwirkung handelt, sind neben den Deformationen auch die Schwingungen und Beschleunigungen des Gebäudes zu untersuchen und zu beurteilen. Gerade Letztere werden von den Menschen direkt wahrgenommen. Die zulässigen maximalen Beschleunigungen werden mit der Auftretenswahrscheinlichkeit des Windereignisses gekoppelt und sind, im Gegensatz zu den Deformationen, nicht in der Norm geregelt. Sie müssen darum direkt mit der Bauherrschaft festgelegt werden. Auf Grund von weit reichenden Abklärungen über die Wahrnehmung und das Wohlbefinden von Gebäudebenutzern werden in der Literatur verschiedene Grenzwerte, die sich von «nicht spürbar» über «lästig» bis «unzulässig» erstrecken, angegeben. Sie sind abhängig von der Nutzung des Bauwerks. Bei einer Büronutzung sind beispielsweise grössere Beschleunigungen tolerierbar als bei einem Wohngebäude (Bild 5). Das müssen die Planer bei der Projektierung gebührend berücksichtigen, da die Tragstruktur im Allgemeinen später kaum oder nur sehr aufwendig verstärkt werden kann.

Bei einer Untersuchung des Windkomforts auf den Freiflächen im Aussenraum werden die Zonen unterschiedlicher Windgeschwindigkeiten in einem Plan dargestellt und mit der vorgesehenen Nutzung abgeglichen (Bild 9). Bereiche mit unangenehmen Windverhältnissen scheiden beispielsweise für Strassencafés aus. Zonen mit gefährlich hohen Windgeschwindigkeiten zwischen zwei eng beieinanderstehenden Gebäuden können durch geschicktes Platzieren von Hindernissen wie Bäumen, Vordächern oder Skulpturen auf dem grossen Platz entschärft werden (Bilder 7 und 8). Anhand der Untersuchungen kann ausserdem beurteilt werden, ob bei einer Eingangssituation mit Turbulenzen und Aufwinden zu rechnen ist, sodass eine allfällige Anpassung der Gebäudeform erwogen werden kann (Bild 8).

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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