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TEC21 2008|29-30
Gegenwind
TEC21 2008|29-30
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Unkomfortabel

Wind auf Plätzen, zwischen Gebäuden, unter Dächern oder vergleichbaren Aussensituationen kann lästig sein. Bauten haben einen wesentlichen Einfluss auf die Windgeschwindigkeiten. Um diese in der Planung abschätzen zu können, sind detaillierte Studien erforderlich. Dabei ist der Komfort – im ingenieurtechnischen Sinne – eine wichtige Grösse.

21. Juli 2008 - Jacques-André Hertig
PlanerInnen müssen zahlreiche Fallkategorien für Erscheinungsformen des Winds unterscheiden (Bilder 6 bis 10). Die vertrauteste Kategorie ist der Wind in Fussgängerzonen, auf Plätzen, (Dach-)Terrassen oder entlang von Strassen und Sportplätzen. Insbesondere verursachen Überdachungen bei Plätzen, aber auch Tunnels oder Unterführungen, die natürlich durchlüftet werden, eine Beschleunigung des Windes, die sich beispielsweise als Luftzug bemerkbar macht. So tritt der Wind in unterirdischen Passagen und Verbindungsgängen zwischen den Gebäuden teilweise (unerwünscht) ausgeprägt auf. Ebenso auf Brücken, wo er die Kippsicherheit von Fahrzeugen gefährden kann, oder in Stadien, wo Zonen mit Durchzug entstehen können. Schneeverwehungen treten an unerwünschten Orten auf, oder Zonen mit kalter Luft sorgen für Ärger. Verschiedene Fallkategorien stehen in Verbindung mit dem Unfall- oder Brandschutz und müssen in der Planung analysiert werden. Komfortansprüche sollten ebenfalls bereits in den ersten Planungsschritten eines Projekts diskutiert werden, da nachträgliche Anpassungen sehr kostspielig sein können.

Berücksichtigung von Komfort

Der Begriff des Komforts im Zusammenhang mit Winderscheinungen wird von Fachleuten heute allgemein anerkannt[1],[2],[3]. Menschen, die sich beispielsweise in der Nähe von grossen Gebäuden, in Unterständen oder auf offenen Plätzen aufhalten, dürfen demnach keinen Windgeschwindigkeiten ausgesetzt werden, die sie als unangenehm empfinden (Bild 4). Als noch komfortabel wird grundlegend ein Wind unter 6 m/s verstanden, je nach Tätigkeit und Situation werden aber höhere Windgeschwidigkeiten akzeptiert (Bild 5)1. Dank architektonischen Dispositionen zu Beginn der Bauphase ist der Aspekt des Benutzerkomforts während starker Windböen heutzutage relativ gut kontrollierbar – Durchzug und unerwünscht hohe Windspitzen können mit betrieblichen und mit baulichen Massnahmen verhindert werden.

Ein relatives Kriterium für die Beurteilung

Um Lösungen für den unzureichenden Komfort einer Anlage zu finden, wird in einem ersten Schritt eine klimatologische Analyse des Standorts durchgeführt. Diese liefert statistische Windgeschwindigkeiten je nach Tages- und Jahreszeit. Alsdann wird beurteilt, welche Schutzmassnahmen getroffen werden müssen. Allenfalls lassen sich betriebliche Lösungen (z.B. Grenzwert im Sport oder Schutzmassnahme im Brandfall, wie Durchlüftung im Gebäude oder in hinterlüfteter Fassade reduzieren) finden. Müssen bauliche Massnahmen getroffen werden, sind weiterführende Untersuchungen erforderlich. Sie beschäftigen sich mit der Evaluation des jeweiligen Komfortniveaus im Zusammenhang mit den gemessenen Windgeschwindigkeiten. Dabei wird die mittlere jährliche Windgeschwindigkeit mit verschiedenen Geschwindigkeitsstufen verglichen (Bild 4).

Einfache Berechnungen, deren Basis auf den Formeln der SIA-Norm 260 beruht, liefern durchaus zufriedenstellende Ergebnisse für wirkungsvolle Sicherheitsmassnahmen bezüglich Komfort. Auch die Entwicklung numerischer Modelle ist so weit fortgeschritten, dass deren Anwendung die Qualität des Komforts beispielsweise von dem Wind ausgesetzten Fussgängerzonen bestimmen kann. Diese Resultate können mit Windkanalversuchen verifiziert werden[2],[3]. Sie werden oft für eine Problemanalyse beigezogen und um die vorgeschlagenen Massnahmen zu testen – vornehmlich aber, um die Tragsicherheit zu garantieren. Zusätzliche weiterführende Untersuchungen bezüglich Benutzerkomfort – d.h. Gebrauchstauglichkeit – würden aber zu Einsparungen bei den Baukosten führen. Zumal Messserien der Windfelder auf Bodenhöhe bereits heute in die Windkanalversuche integriert werden und somit kein erhöhter Aufwand verursacht wird. Das Mass für Komfort kann auch rechnerisch ermittelt werden. Es erlaubt, die örtlich durch den Luftzug erzeugten Behinderungen zu erfassen. Die Definition des Komforts an der Stelle, wo die Störung zu bestimmen ist, ergibt sich aus folgender Gleichung[1]: siehe Illustration.

wobei _Uref und σref die mittlere Windgeschwindigkeit und die Standardabweichung der Variation der Windgeschwindigkeit für den betrachteten Ort ohne störende Gebäude bedeuten. Gleichermassen sind _U und σ die mittlere Windgeschwindigkeit und die Standardabweichung der Variationen der Windgeschwindigkeit an der Stelle mit störendem Objekt. Dieses Kriterium ist somit nicht absolut[1], sondern relativ und vergleicht den Zustand der Umgebung einmal mit und einmal ohne Gebäude (Bild 11).

Wind auf einem offenen Platz

Am Beispiel eines Verwaltungsgebäudes werden die Auswirkungen auf die unmittelbare Umgebung untersucht und die Windeinwirkung auf die Fassaden analysiert. Um die Komfortveränderung ausserhalb des Verwaltungsgebäudes zu bestimmen, werden drei Windrichtungen berücksichtigt: Föhn (Bild 13), S- bis SW-Wind (Bild 14), Bise (Bild 15). Die IngenieurInnen stellten fest, dass die vom Gebäude provozierten Wirbel nur von der Windgeschwindigkeit an der Gebäudespitze abhängen. Der Einfluss kann mit Hilfe der in der SIA-Norm 261 enthaltenen Formeln berechnet werden. Diese Schätzung beruht auf dem Verhältnis des durch den Wind verursachten Staudrucks an der Spitze des Gebäudes und desjenigen 2 m über Boden. Einbussen des Komforts treten nur dann auf, wenn der Wind aus ungünstiger Richtung (je nach Ort veränderlich) ausreichend stark (mindesten 25 km/h) bläst. Ausserdem ist die Windbeschleunigung lokal begrenzt und kann durch bauliche Massnahmen wie Windbrecher und Wände oder durch pflanzliche Anlagen eingeschränkt werden. Diese Problemstellung kann auch mit Windkanalversuchen oder anhand numerischer Berechnungen mit den erst kürzlich entwickelten CFD-Modellen (Computational Fluid Dynamics)[4] angegangen werden.

Wind in offenen Gebäudedurchgängen

Die Luftströmungen in offenen Gebäudedurchgängen sind abhängig vom Druckunterschied der beiden betroffenen Fassaden. Er lässt sich mit der in der SIA-Norm enthaltenen Druckbeiwerttabelle berechnen. Diese Druckbeiwerte der Fassaden (Δcp) hängen von der Wind - richtung und der Windgeschwindigkeit ab. Um deren Verteilung zu ermitteln, benutzen die Ingenieure die sogenannte Windrose (Bild 3). Für einen bestimmten Ort zeigt sie auf einem Kreis bei jeder Gradeinteilung (enspricht der Windrichtung) die Windwahrscheinlichkeit. Aus meteorologischen Messungen wird die mittlere Windgeschwindigkeit für jeweils eine Dauer von 10 min berechnet, dabei müssen die Daten aus der Meteomessstation für den betrachteten Punkt am Gebäude inter- bzw. extrapoliert werden. Die ermittelten Daten werden nach Windklasse (z. B. Klassen von 1 m/s) und Windsektor (normalerweise 10-Grad- Sektoren) geordnet und in einer Wahrscheinlichkeitstabelle, mit 25 Geschwindigkeitsspalten und 36 Sektorenzeilen, dargestellt. Diese Tabelle zeigt für jede Windklasse und jeden Windsektor die Häufigkeit bzw. die Auftretenswahrscheinlichkeit des Windes in der entsprechenden Gebäudeöffnung. Diese Tabelle wird dann in Form der Windrose als vektoriellesDiagramm dargestellt. Sind die massgebende Windrichtung aus der Windrose und die entsprechenden Druckbeiwerte der Fassaden (Δcp) mit dem dazugehörigen dynamischen Druckbeiwert aus den Tabellen der SIA-Norm ermittelt, können die Druckdifferenzen berechnet werden. Damit lassen sich schliesslich die Luftströmungen in den geplanten Gebäudeanlagen interpretieren und deren Auftretenswahrscheinlichkeiten eruieren. Solange diese Wahrscheinlichkeiten kleiner bleiben als die geforderten Komfortkriterien (Bilder 4 und 5), sind keine Massnahmen erforderlich. Andernfalls sind betriebliche oder bauliche Vorkehrungen zu treffen: Türen, Schiebetüren, Vorhang, Luftvorhang, Hindernis usw. Sind solche Massnahmen bereits in der frühen Planungsphase berücksichtigt, können erhebliche Kosten in der Ausführung gespart werden. Die weiterführenden Untersuchungen in Bezug auf die Gebrauchstauglichkeit im Sinne des Benutzerkomforts können nicht zuletzt auch ein grösseres Vertrauen in die Auswahl der Standorte der Bauwerke und die Realisation der Aussenanlagen schaffen.

Anmerkungen
[1] CSTB, Centre scientifique et technique du bâtiment: Aerodynamique, REEF – Volume II. Sciences du bâtiment, April 1980
[2] Beranek,W. J.: General rules for the determination of wind environment. Wind Engineering, Proceedings of the Fifth International Conference, Fort Collins Colorado, Juli 1979, S. 225–234
[3] Beranek,W. J.: Determination of the wind environment around building configuration. Colloque Construire avec la vent, Nantes, 15.–19. Juni 1981, S. II–1–1 bis II–1–15
[4] Blocken and Carmeliet: Pedestrian Wind Environment around Buildings: Literature Review and Practical Examples, Journal of Thermal Envelope and Building Science, 28/2004, S. 107–159
[5] Beispiele aus den Referenzprojekten von Hertig und H&L SA: Studien für Projekte wie Zollgebäude Boncourt, Letzigrund-Stadion Zürich, Stade de La Praille Genf, Herti-Eisstadion Zug usw.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

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