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TEC21 2008|31-32
Aufwind
TEC21 2008|31-32
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Windenergie vor Augen

Sind Windkraftanlagen landschaftsverträglich? Darüber gehen die Meinungen in der Schweiz oder auch in Teilen Süddeutschlands weit auseinander. Für die Vereinigung zur Förderung der Windenergie in der Schweiz (Suisse éole) ist jede Anlage ein Aushängeschild. Für die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) können Windpärke negative Auswirkungen auf Raum und Umwelt mit sich bringen. Eine objektive Antwort kann meist nicht ausformuliert werden. Auch rationale landschaftspflegerische Massnahmen zur Aufwertung des Landschaftsbildes sind letztlich subjektiv geprägt.

4. August 2008 - Joachim Wartner, Nico Lehmann
Menschliche Aktivitäten wirken auf die Landschaft ein, prägen und verändern sie. Dass sie sogar das Besondere und Schützenswerte ausmachen können – wie die vielfältigen Landschaftsbilder der traditionellen Kulturlandschaften beweisen –, ist seit Jahrzehnten unbestritten und wird bei Landschaftsschutzbestrebungen berücksichtigt. Zu den schützenswerten Objekten gehören auch alte Windmühlen. Sie sind heute in vielen Ländern touristische Attraktionen als Zeugnis der Nutzung der Windenergie. Dass sie in der Schweiz weitgehend fehlen, gibt einen Hinweis auf die naturräumliche klimatische Situation: Die Windverhältnisse waren für die Nutzung als Energiequelle nicht ideal. Hier dominiert von alters her das Wasser. Die hohen Niederschlagsmengen und die topografischen Verhältnisse machten das Wasser in der Schweiz zum bedeutendsten Energielieferanten – mit weitreichenden Folgen für den Naturhaushalt und die Landschaft, wie die vielen durch Stauhaltungen irreversibel veränderten Flusslandschaften zeigen. Doch die Nutzung des Wassers zur Stromgewinnung ist politisch gewollt und erreicht eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.

Sichtexponierte Standorte für Windkraftanlagen

Die technische Entwicklung und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machen heute die Windenergienutzung auch in der Schweiz zum Thema. Sie wird damit zum Gegenstand der Raumplanung und rückt auch ins Blickfeld der Landschaftsplanung. Das vom Bund bereits 2004 vorgelegte Konzept Windenergie Schweiz[1] weist 110 Standorte aus, von denen 28 als prioritär bezeichnet werden. Die Übersichtskarte dieser prioritären Standorte zeigt die räumliche Verteilung in der Schweiz (Bild 2): Schwerpunkte sind die Jura-Höhen im Westen, aber auch hochalpine Gebiete. Ins Zentrum der landschaftsplanerischen Betrachtung rücken somit das mittlere und das höhere Bergland. Die zu errichtenden Anlagen sind meist an gegenüber der Umgebung deutlich erhöhten Standorten geplant, die wind- und damit auch sichtexponiert sind. Damit stellt sich die Aufgabe des Landschaftsplaners anders als bei Anlagen in weiten, ebenen bis hügeligen Landschaften wie in der norddeutschen Tiefebene oder in Dänemark.

Um eine Baute landschaftsverträglich zu erstellen, bestehen im Rahmen einer landschaftspflegerischen Begleitplanung (LBP, vgl. TEC21 5 / 2008) grundsätzlich zwei Handlungsbereiche: die Wahl eines optimalen Standortes sowie die Dimensionierung und Gestaltung des Bauwerks und seines Umfeldes. Bei einer Windkraftanlage gibt es mit Ausnahme der Farbgebung kaum noch Gestaltungsmöglichkeiten, da sich die schlanken Betonsäulen gegenüber Gittermasten und anderen Konstruktionen durchgesetzt haben. Die Auswahl des Standortes ist die einzige Möglichkeit, die potenziellen Auswirkungen in den Bereichen der Ökologie und des Landschaftsbildes zu beeinflussen. Daher ist der LBP auf allen Planungsstufen ein grosses Gewicht beizumessen – sowohl bei der Ausweisung von Vorranggebieten in kantonalen Richtplänen als auch bei den nachfolgenden Verfahren der Nutzungsplanung und / oder dem Baubewilligungsverfahren.

Raumplanerische Weichenstellungen durch Vorranggebiete

Neben dem unverbindlichen Bundeskonzept werden zurzeit in vielen Kantonen weitere geeignete Standorte für die Windenergienutzung ermittelt, um diese in der kantonalen Richtplanung zu verankern. Die Planungsstrategie setzt sich zusammen aus einer Positivplanung zur Ermittlung der windgünstigen Gebiete und aus einer Negativplanung, in der Tabu- und Konfliktflächen in Bezug auf die Windkraftanlagenutzung bezeichnet werden. Die fehlende verbindliche Vorgabe des Bundes für die zu berücksichtigenden Kriterien bei der Standortevaluation führt aber zu einer uneinheitlichen Praxis in den Kantonen.

Die Stiftung Landschaftsschutz (SL) hat kürzlich in einem Leitfaden[2] Ausschlusskriterien vorgelegt (siehe Kasten). Darin gelten grosse Landschaftsbereiche von vornherein als Tabugebiete. Hier sind zum Beispiel die grossflächigen nationalen Schutzgebiete aus dem Bundesinventar der Landschaften nationaler Bedeutung (BLN) anzuführen. Die generelle Tabuisierung solcher Gebiete ist jedoch zu hinterfragen, vor allem wenn sie aufgrund bestehender Bauten und Anlagen (z. B. Hochspannungsleitungen, Schneesportanlagen) vorbelastet sind oder gar solche seit Unterschutzstellung hinzugetreten sind. Der Wald wird in der Kriterienliste der SL ebenfalls als Ausschlussgebiet bezeichnet. Mit dieser Vorgabe fallen zahlreiche, aufgrund des Windpotenzials geeignete und landschaftlich durchaus verträgliche Standorte weg – eine Prüfung der ästhetischen Auswirkungen auf das Landschaftsbild wird gar nie durchgeführt. Dass diese Frage fachlich kontrovers diskutiert wird, zeigt die unterschiedliche Praxis im deutschen Bundesland Hessen: In Entwürfen zu verschiedenen Regionalplänen wurde in einem Fall der Wald generell ausgeschlossen und in einem anderen nicht[3].

Aus landschaftsplanerischer Sicht sollte zumindest eine differenzierte Prüfung der Windenergiepotenzialflächen auch in grossräumigen Landschaftsschutzgebieten nationaler und kantonaler Bedeutung einschliesslich des Waldes vorgenommen werden, als hinreichende Grundlage für den Abwägungsprozess. Als methodische Grundlage sei hier auf die Checkliste zur Beurteilung von Landschaftsveränderungen[4] hingewiesen. Um die regionalen Schutz- und Nutzungsbedürfnisse zu berücksichtigen, ist die kantonale Planungshoheit für die Ausweisung von Vorranggebieten in Richtplänen die richtige Kompetenzstelle. Wichtig ist, dass zwischen den Kantonen eine Koordination stattfindet. Ein eigentlicher Sachplan Windenergie des Bundes ist aus Sicht der Landschaftsplanung nicht zwingend, aber wünschenswert.

Landschaftsverträglichkeit im Detail prüfen

Der Entwurf für die Revision der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPV)[5] sieht vor, dass Anlagen zur Nutzung der Windenergie mit einer installierten Leistung von mehr als 3 MW (entspricht etwa drei Windrädern mit einer Nabenhöhe von 60 m) neu der UVP-Pflicht unterstellt werden sollen. Dies ist grundsätzlich zu begrüssen, da hierdurch die Möglichkeit besteht, den Untersuchungsstandard zur Beurteilung der Landschaftsverträglichkeit festzulegen. In der Regel ist zumindest für eine Gruppe von Windrädern eine überlagernde Nutzungszone auszuweisen.[6] In diesen Fällen besteht die Möglichkeit – das Verfahren bestimmen gemäss UVPV die Kantone –, die UVP zweistufig durchzuführen, einmal auf Ebene der Nutzungsplanung und nachfolgend begleitend zum Baugesuch. Dies schafft Planungssicherheit für die Gesuchsteller. Zudem besteht die Chance, die Einflüsse der Anlage auf die landschaftlichen und ökologischen Belange fachlich fundiert zu ermitteln und zu beurteilen (Anwendung Checkliste [4]). Voraussetzung hierfür ist allerdings – wie bei allen Veränderungsvorhaben in der Landschaft –, dass die Bewilligungsbehörden diese Grundlagen auch konsequent einfordern. Dabei darf sich der Untersuchungsrahmen, der zu Beginn des Planungsprozesses in einem Pflichtenheft festgehalten wird, nicht in jedem Fall nur auf vorhandene Inventardaten stützen, sondern muss auf den Einwirkungsraum bezogen und gegebenenfalls ergänzt werden (Schutzwürdigkeit, Einsehbarkeit Landschaft, Fauna: v. a. Vögel, Fledermäuse etc.).

Feinstandort optimieren

An dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass mit ebensolcher fachlicher Sorgfalt bei nicht UVP-pflichtigen Anlagen (Einzelanlage oder Gruppe kleinerer Anlagen) zu verfahren ist. Windkraftanlagen haben eine relative Standortgebundenheit und besitzen bezüglich Wahl des Feinstandortes eine hohe Flexibilität. So kann beispielsweise auf lokale Besonderheiten durchaus Rücksicht genommen und für die Festlegung des Feinstandorts die landschaftsästhetisch zu bevorzugende Lösung berücksichtigt werden. Es empfiehlt sich, frühzeitig einen Landschaftsarchitekten beizuziehen.

Gestaltungs- und Kompensationsmassnahmen

Die Errichtung einer Windkraftanlage führt aufgrund des Anlagentyps mit seiner vertikalen Ausdehnung zwangsläufig zu einer landschaftsästhetisch relevanten Veränderung. Diese wird im Rahmen einer qualifizierten LBP respektive im Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) aufgezeigt. Unter der Annahme, dass mit der Standortwahl ökologische Konflikte und Beeinträchtigungen von Lebensräumen von vornherein ausgeschlossen werden, stellt sich in den meisten Fällen nur noch die Frage nach Kompensationsmassnahmen bezüglich Eingriff ins Landschaftsbild. Hier ergeben sich zwei Handlungsfelder: Windkraftanlagen können aufgrund ihrer Dimension in der Vertikalen nicht «versteckt» werden, gezielt angepflanzte Gehölze können aber die visuelle Wirkung der technischen Anlage beeinflussen. Entsprechend angeordnete Pflanzungen im Nahbereich oft besuchter Standorte (Strassen, Wanderwege, Aussichtslagen) verändern die Sichtachsen und lenken die Blickrichtung des Betrachters – die technische Anlage wird nicht direkt fokussiert. Bepflanzungen beleben zudem das Landschaftsbild und reduzieren die Dominanz der technischen Anlage zumindest aus der Fern- und Mitteldistanzbetrachtung (Bild 4). Für die Pflanzungen sollten die Planer auf die für den Landschaftsraum typischen Elemente zurückgreifen und, sofern vorhanden, bestehende Konzepte zur Landschaftsentwicklung aufgreifen. Diese Massnahmen sind im LBP auszuarbeiten und im Rahmen der UVP zu prüfen. Eine weitere Kompensationsmöglichkeit besteht darin, dass sich die Projektträger zugunsten der Landschaftsentwicklung innerhalb des visuellen Einwirkungsraums oder auch darüber hinaus engagieren. Dies ist denkbar in Form einer (Mit-)Finanzierung von Planungskonzepten oder indem Umsetzungen von Massnahmen aus bestehenden Konzepten unterstützt werden. Als Beispiel sei hier auf den Renaturierungsfonds im Kanton Bern verwiesen.[7] Der quantitative Umfang der zu leistenden Ausgleichsmassnahmen könnte aus der Höhe der geplanten Anlage (Nabenhöhe plus die Hälfte des Rotordurchmessers) abgeleitet werden. Die Dimension der Anlage bildet das Potenzial der Landschaftsbildveränderung näherungsweise ab. Da die Grösse der Anlage in Korrelation zur Leistung steht, ist die MW-Nennleistung als Parameter geeignet. Bei der Bemessung wäre methodisch zu berücksichtigen, dass eine Gruppe von Windrädern (mindestens drei) an sorgfältig ausgesuchten Standorten im Landschaftsbild als weniger belastend einzustufen sind als verstreut liegende Einzelanlagen (auch mit niedriger MW-Leistung). Die Festlegung der Kompensationsleistung pro MW (Ausgleichsfläche oder monetäre Grösse) müsste noch erfolgen und sollte zumindest auf kantonaler Ebene geregelt werden. Eine Gleichbehandlung der Anlagen kann so gewährleistet werden.

Anmerkungen
[1] Bundesamt für Energie; Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft; Bundesamt für Raumentwicklung: Konzept Windenergie, Grundlagen für die Standortwahl von Windparks. Bern 2004
[2] Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (www.sl-fp.ch): Leitfaden für die Planung von Windkraftwerken, Kriterienvorschlag der SL. Bern 2008
[3] Frankfurter Rundschau, 64. Jahrgang, Nr. 151, S. D5: Wind des Wechsels
[4] Maurer R., Häuptli-Schwaller E.; Koeppel H.-D. (1999): Checkliste zur Beurteilung von Landschaftsveränderungen. Arbeitshilfe zur Bewertung der Landschaft und von Veränderungsvorhaben. Grundlagen und Berichte zum Naturschutz Nr. 18. Hrsg.: Baudepartement des Kantons Aargau
[5] Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPV) vom 19. Oktober 1981, Änderungsentwurf zur Vernehmlassung vom 20.12.2007; Vernehmlassungsfrist: 31. März 2008
[6] Die raumplanerischen Verfahren sind in den meisten Kantonen noch nicht abschliessend festgelegt. Hier besteht ein erheblicher Regelungsbedarf, der auch die Koordination unter den Kantonen und mit dem Bund einbezieht
[7] Mit dem 1997 vom Berner Volk angenommenen Renaturierungsfonds können Aufwertungen von Gewässern finanziell unterstützt werden. Gespeist wird der Fonds mit 10% der jährlichen Abgaben für die Wasserkraftnutzung

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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