Zeitschrift

steeldoc 02/08
Durchblick
steeldoc 02/08
zur Zeitschrift: Steeldoc
Herausgeber:in: Stahlbau Zentrum Schweiz

Schutzschild gegen die Spuren der Zeit

Fast 5000 Quadratmeter unbehandelter Stahl umhüllen das Sammlungszentrum des Schweizer Landesmuseums wie eine Rüstung. Das archaisch anmutende Material beginnt, die Spuren der Zeit zu tragen – so wie die gelagerten Exponate ihre Spuren in der Zeit hinterlassen haben. Das Gebäude versinnbildlicht das Verhältnis der Schutzhülle zum Inhalt, die Grenze zwischen Vergänglichkeit und Beständigkeit.

1. September 2008 - Evelyn C. Frisch, Elisabeth Schabus
Am Anfang war ein ungenutzter, ehemaliger Militärkomplex in Affoltern am Albis und die auf sieben Depots verteilten Sammlungsbestände der Schweizer Landesmuseen mit rund 800'000 Objekten. Heute ist daraus ein Ort von starker Identität geworden – zum Sammeln, Erhalten und Forschen. Das neue Sammlungszentrum der Musée Suisse Gruppe (MSG) kann nun sämtliche Bestände aufnehmen, die seit der Gründung des Schweizer Landesmuseums vor über 100 Jahren an verschiedenen Orten gelagert werden mussten. Erstmals erhält auch das interessierte Publikum Zugang zu den Depots, Ateliers und dem Labor.

Die ehemalige Zeughausanlage der Landesverteidigung von 1937 wurde bereits1980 saniert und zu einem Komplex aus drei rechteckigen Gebäudekörpern erweitert. Ziel der jüngsten Intervention war es, für die neue Nutzung als Sammlungszentrum des Landesmuseums so viel vorhandene Bausubstanz wie möglich zu nutzen und gleichzeitig einen funktionalen Gebäudekomplex mit zeitgemässem Energiekonzept zu schaffen. Die Hülle des Gebäudes aus massiven, rohen Stahlplatten symbolisiert Kraft und Beständigkeit – paradoxerweise gerade durch den sichtbaren, aber schadlosen Alterungsprozess des Stahls.

Interdisziplinäre Nutzung

Die Anlage fasst die drei bestehenden Gebäudekörper durch Korridore zusammen. Dazwischen liegen zwei Innenhöfe. Der Gebäudekomplex bildet damit ein flexibles System, das an einen Strichcode als moderne Metapher für präzise Zuordnung und Individualität erinnert. Tatsächlich garantiert er für eine Vielzahl hoch spezialisierter Experten optimale Arbeitsabläufe und fördert den interdisziplinären Austausch zwischen Wissenschaftlern, Historikern und Restauratoren. Der grösste monolithische Baukörper ist das eigentliche Objektzentrum, bezeichnet als Gebäude 1. Es gewährleistet auf rund 10'000 Quadratmetern und drei Geschossen optimale klimatische und sicherheitstechnische Bedingungen für die Aufbewahrung der Sammlungsbestände. Im zweigeschossigen Gebäude 2 sind die Ateliers der Konservatoren und Restauratoren sowie das Labor der Konservierungsforschung und Materialanalytik untergebracht. Im Gebäude 3 befindet sich das Dienstleistungszentrum mit zentralem Empfang und den Räumen für die Registrierung, den Leihverkehr und die fotografische Dokumentation. Neben einer Fachbibliothek mit kleinem Lesesaal stehen ein Seminar- und Schulungsraum sowie Arbeitsplätze für Gäste, Mitarbeiter des Landesmuseums sowie für externe Wissenschafter zur Verfügung.

Unbehandelter Stahl in nuancierter Anwendung Identitätsstiftendes Element der ganzen Anlage ist die monolithische Fassade aus unbehandeltem Stahlblech, das bereits nach kurzer Zeit eine rostrote Färbung annimmt. Die 12 Meter hohen und 2,80 Meter breiten Stahlplatten des Objektzentrums sind getrennt durch eine horizontal verlaufende gezackte Linie. Sie repräsentiert die «Höhenabwicklung entlang der Schweizer Grenze», vom südlichsten Grenzpunkt bei Chiasso (232 m ü. M.) bis zum höchsten am Monte Rosa (4633 m ü. M.). Diese Fuge ist nicht nur bautechnisch notwendig, sondern verweist symbolisch auf den Inhalt des Gebäudes: Schweizerisches Kulturgut. Der bestehende Massivbau des Objektzentrums wurde mit einer 30 cm dicken Isolationsschicht verkleidet. Der begehbare Luftraum zwischen dieser Isolationsschicht und der Stahlfassade beträgt 1,30 Meter. Bei der Fassade der Gebäude 2 und 3 handelt es sich um eine Pfosten-Riegel-Konstruktion, bei der die vorhandenen Stahlträger der Tragstruktur als Unterkonstruktion genutzt werden konnten. Hier dient das Stahlblech lediglich als Brüstung.

Bewusst wurde auf die Verwendung von sogenannt «wetterfestem Stahl» verzichtet, jedoch eine entsprechende Schichtstärke für die zu erwartende Korrosionsabtragung berücksichtigt. Bei der konstruktiven Ausbildung der Stahlplattenhalterung wurde darauf geachtet, dass sich kein stehendes Wasser bilden kann. Die Stahlplatten weisen an der Rückseite vertikal ausgerichtete, rundum angeschweisste Einhängelaschen auf, welche bei der Montage in U-förmige Konsolen eingeführt werden, so dass dem abfliessenden Wasser kaum Widerstand geboten wird. Die horizontale Justierung erfolgte mittels Schiften der Konsolen. Der mögliche Ausfall einzelner Aufhängungen im Laufe der Lebensdauer wurde bei der Dimensionierung berücksichtigt. Eine Vielzahl von horizontalen Halterungen übernehmen die vertikalen Lasten.

Ökologische Verantwortung

Ein zentrales Anliegen der Bauherrschaft war die Nachhaltigkeit der Konstruktion und der Nutzung. Das Projekt belegt ausschliesslich bereits bebautes Land. Das Energiekonzept erfüllt den Minergie-P-Standard. Passive, krisenresistente Systeme und die nachhaltige Nutzung von Erdwärme durch Erdsonden sind nicht nur ökologisch vorbildlich, sondern erfüllen auch die hohen Anforderungen der Lagerung musealer Objekte. Der rostende Stahl führt zwar während seiner langen Lebensdauer zu einem gewissen Materialverlust, doch sind diese Korrosionsprodukte von Baustahl im Gegensatz zu denjenigen von höher legiertem wetterfesten Stahl für das Erdreich unbedenklich. Dem massiven Kostendruck wurde mit der Zentralisierung der Ressourcen und einem objektorientierten Entwurfsprozess begegnet, so dass das Projekt schliesslich unter dem Budget der Machbarkeitsstudie abgeschlossen wurde.

In diesem Projekt sind die Bedeutungen von Bewahren und Vergehen sinnbildlich umgesetzt. Der schützenden Hülle und der Einbindung des Objektes in seine Umgebung fallen besondere Bedeutung zu. Der Stahl als sinnliche und lebendige Haut, als Geschichtsträger und als «Werkzeug des Menschen» hat hier seine Bestimmung als Zeitzeuge gefunden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

Ansprechpartner:in für diese Seite: Evelyn C. Frischinfo[at]szs.ch

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