Zeitschrift

Architektur + Wettbewerbe 215
Raffinierte Einfamilienhäuser
Architektur + Wettbewerbe 215

Was ist so schön am Eigenheim?

Über die rationale Unschlagbarkeit einer Wohnform.

19. September 2008 - Winfried Moser-Nussgruber
In der TV-Werbung einer bekannten Firma wohnt eine glückliche Familie in einem traumhaften Haus. Die Kinder spielen im Garten, der Vater sitzt im Wohnzimmer, und – unter äußerster Strapazierung geschlechtsspezifischer Stereotype – betritt die Mutter mit einer frischen Kanne Tee die Szenerie. Danach sind alle glücklich. In den Reklamesendungen der Bausparkassen dürfen ausgewählte Paare ihre traumhaften Einfamilienhäuser einer staunenden und neidischen Öffentlichkeit präsentieren. Die Lottogesellschaften zeigen uns in ihren Werbespots, in welcher unzufriedenstellenden Wohnsituation sich ein Ehepaar vor einem Lottogewinn befindet und in welch glücklicher danach. Vorher eine verdichtete Wohnform: Der Hinterhof einer Siedlung, ein Minimalbalkon, auf dem gerade einmal der Frühstückstisch Platz findet, Nachbarn, die höllischen Lärm verursachen, blanker Horror. Danach: Villa, Pool, Cocktail, Ruhe, Sonnenbrille. Jedenfalls keine verdichtete Wohnform mehr.

Es könnte aber auch ganz anders sein. Vorher: Ein missmutig dreinschauender Mann, der Rasen mäht und dauernd Fliegen von seinem schweißgetränkten Gesicht verscheucht, eine entnervte Frau, die in der prallen Sommerhitze Gießkannen schleppt, um ihre Pflanzen zu gießen. Gemeinsame Einsamkeit. Und danach: Geselliges Beisammensein mit den Nachbarn in einer wunderschönen Holzbausiedlung. Man sitzt auf der Gemeinschaftsterrasse, trinkt ein Glas Wein und sieht dem vom Facility Management beauftragten Gärtner dabei zu, wie er sich abmüht. Aber dieses Bild wird uns von der Werbung nicht offeriert, und das ist sowohl Ausdruck als auch Mitgrund für den nachhaltig hohen Status einer der beliebtesten und gleichzeitig schwierigsten Wohnformen unserer Gesellschaft. Die Rede ist vom freistehenden Einfamilienhaus.

Auch wenn es der hohe Status und Verbreitungsgrad dieses Bautyps nicht vermuten lassen: Das freistehende Einfamilienhaus ist weder eine historische Konstante noch bloßer Ausdruck individueller Geschmacksentscheidungen. Vielmehr ist es eine Wohnform, die sich im Rahmen ganz spezifischer historischer Prozesse entwickelt hat. Ihre Entstehung steht in engem Zusammenhang mit der Suburbanisierung, der Entwicklung und dem Aufstieg der Vorstädte. Diese wurden im England des 17.Jahrhunderts mit Prostitution und Rotlichtmilieu assoziiert und noch im Sprachgebrauch des beginnenden 19. Jahrhunderts war die Vorstadt ein Synonym für die schlechten Manieren und die Engstirnigkeit ihrer Bewohner. Niemand wollte freiwillig dorthin.

Mit der industriellen Revolution und insbesondere mit der Entwicklung der Transporttechnik ändert sich das, plötzlich werden die Vorstädte für die Mittelschichten interessant. Das Phänomen Einfamilienhaus, wie wir es heute kennen, entsteht auf dieser Basis. Zu seiner vollen Entfaltung kommt es durch die Entwicklung der modernen Dienstleistungs- und Informationsökonomie, in der die Dezentralisierung der Gesellschaft zu einer Devaluation der Innenstädte und einer intensiven Suburbanisierung führt, also zur Entstehung jenes räumlich unterdeterminierten und damit schwer beschreibbaren Mischgebiets am Rande der urbanen Zentren, das in das vorherrschende Stadt-Land-Schema schwer einzuordnen ist. Die räumliche Trennung zwischen Arbeiten und Wohnen wird vollzogen und mit der Erweiterung der alten, verdichteten und der Entstehung neuer, aufs Wohnen spezialisierter Siedlungsstrukturen geht der Aufstieg des Einfamilienhauses einher. Und dass dieser zu Ende ist, ist kaum anzunehmen, wird doch für das Informationszeitalter eine zunehmende Ortsunabhängigkeit von Arbeit und Freizeit erwartet. Das bedeutet auch, dass das Eigenheim viel Raum benötigt - viel mehr Raum, als wir in der Geschichte jemals fürs Wohnen verbraucht haben. Hier liegt seine größte Schwierigkeit, denn diese Tatsache macht das freistehende Einfamilienhaus ökonomisch, ökologisch und individuell so ressourcenintensiv. Nicht zuletzt durch seinen hohen Platzverbrauch generiert das Eigenheim Individualverkehr und verursacht hohe Energiekosten – problematische Eigenschaften, in Zeiten des Klimawandels.

Marktwirtschaftliche, soziale und technologische Prozesse bilden das Fundament für die Entwicklung des Eigenheims, doch seine kulturelle Bedeutung als dominante Wohnform der Gegenwart wird erst vor seinem ideengeschichtlichen Hintergrund verstehbar – einer Geschichte der kulturellen und politischen Semantik des Einfamilienhauses, deren Wandel von zahlreichen Theoretikern, Politikern, Wirtschaftstreibenden, Stadtplanern und Architekten mitgestaltet wurde. Sie erstreckt sich von den sozial-utopischen und bürgerlichen Sozialreformern des 19. Jahrhunderts über die Architekten der Gartenstädte bis hin zu den konservativen Politikern der Nachkriegszeit und den Marketing-Fachleuten der Finanz- und Baubranchen. Sie alle haben das Eigenheim zu dem gemacht, was es heute ist.

»Das Eigenheim ist eine krisenfeste und wertbeständige Kapitalanlage und Alterssicherung. Das Eigenheim kostet Geld, Mühe und Geduld – wie alles, was Wert im Leben hat. Aber wer diesen Preis zahlt, tut das nicht für eine Mietwohnung, die er durch Kündigung verlieren kann, und für einen fremden Hauseigentümer, sondern für sich selbst und seine Angehörigen. Das Eigenheim verstärkt das Interesse und damit auch das Verständnis der Einzelnen für die Belange der Gemeinschaft. Das Streben nach eigenem Grund und Boden ist von elementarer Kraft und tief in der menschlichen Natur verwurzelt, zumal bei denen, die Mangel und Entbehrungen kennen und zu unterscheiden gelernt haben zwischen wichtigen und weniger wichtigen Dingen. Wir sind durch die Schule der Not gegangen. Daraus erklärt es sich, dass der Heimstättengedanke heute stärker ist denn je und Leistungen zu vollbringen vermag wie kaum eine andere Idee.«

Dieses Zitat stammt aus der Werbebroschüre einer deutschen Bausparkasse des Jahres 1967 und umreißt vortrefflich die Eigenheimideologie, wie sie zu dieser Zeit vorherrscht und bei vielen – vielleicht den meisten – Häuslebauern auch noch heute wirksam ist. Es charakterisiert das eigene Heim als Symbol für bürgerliche Werte wie Kapitalanlage, Vorsorge, Mühsal und Askese als Mittel zur Befreiung von der Abhängigkeit gegenüber dem fremden Hauseigentümer und individuelle Selbstverwirklichung. Bodeneigentum als natürlicher Trieb, Sesshaftigkeit als Durchbruch zu den wahren Werten des Lebens, rationale und irrationale, modernitätsfeindliche Motive werden in einem suggestiven Bild von Echtheit und Bodenständigkeit verdichtet, das vor dem Hintergrund der Unsicherheiten eines wechselnden Berufslebens als Hafen der Sicherheit und Ruhe – eben als »Heim« – erscheinen muss.

Eine weitere Dimension dieses ideellen – und ideologischen – Konstrukts ist die Tatsache, dass das Eigenheim sich hervorragend als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und als Statussymbol eignet, das – je nach sozialer Position und Lebensstil – frei gestalt-, herzeig- und skalierbar ist und dessen Spektrum vom Geranienexzess am Balkon über den Erker des Fertigteilhauses – der eine Reminiszenz an das Schloss ist – bis hin zu der vom Architekten geplanten Villa reicht. Mit einem Haus kann man sich öffentlich ausdrücken, besser als mit einer Wohnung, in der man zumeist hinter einer kollektiven Fassade verborgen ist. Das Haus bezieht seinen Wert als Statussymbol aber nicht nur aus seiner Gestaltbarkeit, sondern im Verborgenen auch aus der Tatsache, dass es Platz verbraucht. Je mehr Platz es verbraucht, umso höher der Status. Das ist so, weil Grundstücke rare Güter sind und damit eine höhere Statuswirkung haben als andere materielle Güter, die inflationär reproduziert werden können. Aber dieser versteckte Zusammenhang ist selbstredend weder Teil der offiziellen Ideologie noch der individuellen Begründungen.

Zu all diesen sozialen, ökonomischen und ideologischen Grundlagen kommen noch weitere – zutiefst menschliche – Faktoren, die stark mit dem eigenen Haus verbunden sind. Ein wichtiger Bereich ist die »eigene Erfahrung«. Sowohl in der Vorstellung als auch in der Realität von Menschen, die ein Haus bauen ist die »eigene Erfahrung« – das heißt hier: etwas mit den eigenen Händen zu schaffen – eine außerordentlich wichtige Komponente der Bindung an ihr Haus. Das Eigenheim ist auch ein Ort der Privatheit und Selbstbestimmung, an dem man nicht nur seine eigenen Erfahrungen sammeln, sondern auch seine eigenen Fehler machen dürfen will. Diese treten in großer Zahl auf und sind unvermeidlich, aber das ist egal, denn der Aufwand, den der Bau und die Instandhaltung eines Hauses bedeutet, führt dazu, dass man zu diesem Objekt eine starke affektive Bindung entwickelt. Es ist nicht nur Arbeit, die hier investiert wird, es sind Affekte. Das – und nicht mangelnde materielle Möglichkeiten – ist wohl eine Erklärung für die Tatsache, dass die Planung von Eigenheimen nur selten bei Architekten in Auftrag gegeben wird.

Erst durch all das Gesagte wird verständlich, warum das Eigenheim eine so starke Anziehungskraft auf die Menschen ausübt und warum sich diese Wohnform so ungebrochen als rational unschlagbar erweist. Doch der französische Soziologe Pierre Bourdieu sieht darin auch eine Gefahr für den Einzelnen. Zwar verspricht das Eigenheim sozialen Aufstieg durch die Aneignung kultureller Symbole, doch kann das Streben nach dem äußerlichen Schein des Aufstiegs sehr leicht zum Fall führen. Oft wird die durch das Eigenheim erhoffte Stabilität bei unvorhergesehenen Veränderungen wie erzwungenem Ortswechsel, Entlassung, Trennung oder Scheidung zum Verhängnis. Außerdem erweisen sich viele Häuser im Fall des Verkaufs nicht als die erwartete Kapitalanlage. Im Gegensatz zur bürgerlichen Hoffnung auf Emanzipation durch Hausbesitz besteht vor allem für die unteren Einkommensschichten die Gefahr, dass ein eigenheimzentrierter Lebensstil, der sich auf Haus und Familie konzentriert, den Rückzug aus dem öffentlichen Leben, aus dem politischen Engagement im Staat und aus der Zivilgesellschaft zufolge haben kann.

Bei aller Kritik sind aber auch Anzeichen eines Kurswechsels bemerkbar. Die Bauparzellen werden zunehmend kleiner und auch die Architektur reagiert mit Platz sparenderen, energieeffizienteren und flexibleren Lösungen auf Zeichen einer Zeit, in der freier Raum immer knapper wird und in der sich Teile der Bevölkerung zunehmend der ökonomischen, ökologischen, raumplanerischen und letztlich auch individuellen Problematik eines unbegrenzten Wachstums des Eigenheimmarktes bewusst werden. Die Pluralisierung der Lebensstile und der tief greifende soziale Wandel der Gesellschaft haben es notwendig gemacht, das wohnungspolitische Ziel des „Eigenheims für alle“ in Hinblick auf eine flexible Anpassung der Wohnformen an veränderte gesellschaftliche – und sich stetig verändernde individuelle – Rahmenbedingungen ganz neu zu bewerten.

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Für den Beitrag verantwortlich: Architektur + Wettbewerbe

Ansprechpartner:in für diese Seite: Arne Barthaw[at]kraemerverlag.com

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