Zeitschrift

TEC21 2008|39
Vom Hochwasser lernen
TEC21 2008|39
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Überlastfall einplanen

Mit flussbaulichen Massnahmen lassen sich Hochwasserschäden reduzieren. Eine Studie zeigt, dass sich beim Hochwasser vom August 2005 vor allem Massnahmen bewährt haben, die im Überlastfall nicht schlagartig versagen. Untersucht wurden auch Brücken, die je nach Ausbildung unterschiedlich anfällig sind für einen Verschluss durch Schwemmholz.

15. September 2008
Nach dem Hochwasser vom August 2005 wurde die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) beauftragt, die Wirksamkeit flussbaulicher Massnahmen sowie die Ursachen für die Zerstörung mehrerer Brücken systematisch zu untersuchen.[1] Hieraus sollen Lehren für die Verbesserung bestehender und die Planung zukünftiger Massnahmen gezogen werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Erkenntnisse der Studie zusammengefasst.

Viele Flüsse transportierten während des Hochwasserereignisses vom August 2005 grosse Mengen an Schwemmholz. Das Holz blieb an einer Vielzahl von Brücken hängen und führte im schlimmsten Fall zu einer vollständigen Verlegung des Abflussquerschnittes, einer sogenannten Verklausung. Infolge des resultierenden Aufstaus vor den Brücken traten die Flüsse über die Ufer. Der zusätzliche Strömungsdruck zerstörte mehrere Brücken vollständig. An Flüssen wie der Kleinen Emme oder der Grossen Melchaa traten bei 40 % der Brücken Probleme mit Schwemmholz auf. An der VAW wurde untersucht, warum es zu diesen Problemen kam und inwieweit die Brückenkonstruktion einen Einfl uss hatte. Ursache für eine Verklausung waren fast immer die zu kleinen Durchfl ussquerschnitte der Brücken. Das Holz prallte an die Brücke, blieb hängen oder verkeilte sich zwischen den Pfeilern. Nachfolgend antransportiertes Holz wurde im bereits reduzierten Abfl ussquerschnitt wiederum zurückgehalten. Im Extremfall waren die Brücken komplett mit Holz verlegt. Die während des Hochwassers transportierten Stämme waren bis zu 20 m lang und damit in vielen Fällen grösser als die lichte Breite der Brücken. Es ist somit nicht verwunderlich, dass diese an Brücken hängen blieben, speziell wenn infolge der hohen Abfl üsse unter der Brücke kaum ein Freibord vorhanden war.

Anfällige Fachwerkbrücken

Bei mehreren Brücken kam es jedoch zu Schäden, obwohl die Holzabmessungen deutlich kleiner als deren Lichtraumprofil waren. Eine nähere Betrachtung ergab, dass viele davon als Fachwerk oder offene Konstruktion ausgeführt waren. Das Tragwerk begünstigte also in diesen Fällen das Hängenbleiben von Holz. Ein anschauliches Beispiel dafür sind vier aufeinanderfolgende Brücken in Sarnen. Das Schwemmholz passierte die ersten drei ohne Probleme und blieb erst bei der Eisenbahnbrücke hängen, die daraufhin vollständig zerstört wurde.[2] Neben der kleineren lichten Höhe im Vergleich zu den weiter oben liegenden Brücken hängt dies vermutlich massgeblich mit ihrer Fachwerkausbildung zusammen (Bild 3). Bei den flussaufwärts liegenden Brücken traten infolge einer glatten Ausbildung der Untersicht sowie einer gleichmässigen Gerinnegestaltung keine Schäden auf. Bei einem Neubau sollte die Gefährdung durch Schwemmholz in die Planung mit einbezogen werden. Fachwerkausbildungen, offene Konstruktionen sowie untergehängte Werkleitungen sind an Flüssen mit Schwemmholzgefährdung nicht zu empfehlen. Um bei bestehenden Brücken ein schadloses Weiterleiten des Holzes zu erreichen, wurden in den letzten Jahren verschiedene Methoden angewandt. Eine Möglichkeit besteht darin, den Abflussquerschnitt durch ein Anheben der Brücke zu vergrössern. Dies kann sowohl mittels eines permanenten als auch eines temporären Anhebens, wie beispielsweise in Brig, erreicht werden (Bild 1). Bei bestehenden «Problembrücken» kann mittels baulicher Massnahmen versucht werden, das Hängenbleiben von Holz zu verhindern. Die Verschalung der Stirnseite mittels eines Stauschildes[3] und eine glatte Ausbildung der Brückenuntersicht können das Risiko einer Verklausung mindern. Zurzeit werden an der VAW Modellversuche durchgeführt, die eine bessere Quantifizierung des Verklausungsrisikos in Abhängigkeit der Schwemmholzabmessungen und der Brückenausbildung ermöglichen werden (Bild 5).

Überlastete Rückhaltebauwerke entlasten

Rückhaltebauwerke für Geschiebe und Schwemmholz sollen kritische Gewässerabschnitte entlasten und Verlegungen an gefährdeten Querschnitten, wie beispielsweise Brücken, von vornherein verhindern. Die dafür genutzten Rechen und Geschiebesammler müssen so konstruiert sein, dass sie bei den unterschiedlichen zu erwartenden Ereignissen wirksam sind. Beispielsweise sind bei Rutschungen oder Murgängen im Einzugsgebiet andere Materialzusammensetzungen zu erwarten als bei Gerinneerosion. Der unterschiedlich starke Schwemmholzanfall bei verschiedenen Ereignissen stellt eine zusätzliche Schwierigkeit für die Auslegung der Bauwerke dar. Für die Untersuchung wurden 17 während des Hochwassers vom August 2005 stark belastete sowie gut dokumentierte Geschiebesammler ausgewählt. Es konnte festgestellt werden, dass diese überwiegend entsprechend ihrer Dimensionierung wirksam wurden und somit vielerorts Schäden verhinderten. In sechs Fällen waren die zugeführten Geschiebemengen jedoch höher als in der Projektierung angenommen. Durch diese Überlastungen wurden an verschiedenen Flüssen erhebliche Materialmengen ins Unterwasser eingetragen. An Engstellen und Abschnitten mit geringem Transportvermögen kam es dadurch zu Schäden, wie zum Beispiel am Buoholzbach bei Oberdorf im Kanton Nidwalden. Dieser Sammler wurde mit etwa 70 000 m³ Geschiebe belastet, wohingegen die projektierte Rückhaltekapazität nur 20 000 m³ betrug. Zwar konnten sogar rund 30 000 m³ zurückgehalten werden, die darüber hinaus eingetragenen Materialmengen führten jedoch unterhalb des Sammlers zum Ausbruch des Buoholzbachs, wodurch in einem Gewerbegebiet grosse Schäden durch Wasser und Geschiebe entstanden.Die Abschätzung von potenziellen Geschiebefrachten während Hochwasserereignissen ist sehr schwierig und ungenau. Ab bestimmten Niederschlagsintensitäten kann durch grundlegende Änderungen der ablaufenden Prozesse plötzlich eine starke Zunahme der transportierten Geschiebemengen auftreten, beispielsweise infolge Hangrutschungen oder dem Ausbrechen von Flüssen aus vorhandenen Verbauungen. Eine beliebige Erweiterung bestehender Rückhaltekapazitäten ist jedoch unter anderem wegen landschaftsplanerischen und wirtschaftlichen Aspekten nicht möglich. Vielmehr ist es erstrebenswert, die Anlagen so zu gestalten, dass sie auch im Überlastfall ein optimiertes, gutmütiges Verhalten zeigen, das heisst nicht schlagartig versagen.

Ein positives Beispiel hierfür ist die Erweiterung des Geschiebesammlers am Humligenbach oberhalb von Wolfenschiessen im Kanton Nidwalden. Dieses Bauprojekt wurde im Juli 2005 fertig gestellt. Bereits kurz nach Vollendung konnte der Sammler seine Wirksamkeit unter Beweis stellen. Nach Erreichen eines Rückhaltevolumens von etwa 12 000 m³ kam es wie vorgesehen zu einer selbsttätigen Ableitung des Materials in ein Gebiet mit geringem Schadenspotenzial (Bild 4). Insgesamt wurden rund 5500 m³ Geschiebe im Wald und in der angrenzenden Landwirtschaftsfläche abgelagert. Im Unterwasser des Sammlers waren hingegen keine Schäden durch Geschiebeeintrag zu verzeichnen.

Gutmütige und weniger gutmütige Blockrampen

Blockrampen werden seit etwa zwei Jahrzehnten vermehrt anstelle von Abstürzen gebaut. Die Vorteile liegen auf der Hand: Sie sind relativ naturnah sowie eher durchgängig für Fische und andere Wasserlebewesen. Nach einigen Versagensfällen sind jedoch Zweifel an der Belastbarkeit dieser Bauwerke aufgekommen. Beim Hochwasser vom August 2005 wurden mehrere Blockrampen in der Schweiz beschädigt oder zerstört (Bild 6). Als besonders problematisch hat sich dabei eine in den letzten Jahren vielfach verwendete Bauweise erwiesen, bei der die Blockrampe direkt an einen bestehenden Absturz, beispielsweise ein Betonwehr, angeschlossen ist. Das im Hochwasserfall unterschiedliche Setzungsverhalten des starren Absturzbauwerks und der aus einzelnen Felsblöcken aufgebauten Rampe bewirkt, dass sich am Übergang ein Absatz bilden kann. Daraus resultiert eine zusätzliche, nicht geplante Belastung für die Rampenblöcke, die in mehreren Fällen zur Zerstörung der Rampe geführt hat. Beispiele sind die Blockrampen an der Simme bei St. Stephan (Kanton Bern) und bei Malters (Kanton Luzern). Auch Blockrampen sollten zukünftig nur noch so gestaltet werden, dass sie bei Überlastung nicht schlagartig versagen, sondern sich durch Verformung an die Überlastsituation anpassen können. Die Bauweise der aufgelösten unstrukturierten Blockrampen mit einer sohlenparallelen Pufferzone aus Blocksteinen im Oberwasser soll genau dieses gutmütige Verhalten bewirken (Bild 7). Beim untersuchten Hochwasser konnte sich diese Bauweise bewähren. Die aufgelöste Blockrampe am Zusammenfluss von Kander und Simme (Kanton Bern) wies nach einem lang andauerndem Abfluss oberhalb des Bemessungshochwassers lediglich eine Verformung auf (Verringerung des Gefälles), blieb ansonsten jedoch intakt.

Flussaufweitungen bei Hochwasser

In der Schweiz sind in den vergangenen Jahrhunderten die meisten Flüsse begradigt und in feste seitliche Begrenzungen gefasst worden. Neben überwiegend positiven Effekten, wie zum Beispiel der relativ hohen Sicherheit grosser Landstriche vor Überflutung, sind in jüngerer Zeit verstärkt problematische Aspekte ins Blickfeld des Flussbaus geraten. So zeigt sich, dass durch die infolge der Querschnittsreduzierung erhöhte Sohlenbelastung stellenweise andauernde Erosionstendenzen resultieren. Auch zeigen die Ereignisse der letzten Jahre, dass die Hochwassersicherheit einiger Flüsse nicht mehr ausreichend ist. Deshalb, und wegen der verstärkten Einbeziehung ökologischer Aspekte, werden die flussbaulichen Korrektionen stellenweise erneut korrigiert, unter anderem durch den Bau von Aufweitungsstrecken. Den Gewässern soll durch diese Flussaufweitungen wieder mehr Raum gegeben werden.

Während des Hochwassers vom August 2005 wurden die Schweizer Flussaufweitungen an der Thur und an der Emme mit einem 5- bis 20-jährlichen bzw. 100- bis 200-jährlichen Hochwasser belastet. Das Verhalten der acht untersuchten Aufweitungen war dabei uneinheitlich. Die Hochwassersicherheit der betroffenen Flussabschnitte wurde zwar nicht verringert, die erwünschte Absenkung der Wasserspiegellagen trat jedoch auch nicht überall ein. Vielmehr zeigte sich, dass hierfür eine gewisse Länge der Aufweitungsstrecke notwendig ist, die nicht überall gegeben ist. An einigen Aufweitungen an der Emme kam es zu Seitenerosionen und damit zur erwünschten eigendynamischen Verbreiterung des Flusses. Die festgelegten Interventionslinien, ab deren Erreichen zusätzliche Massnahmen zur Ufersicherung notwendig werden, wurden dabei nirgendwo tangiert. Die Sohlenlage in den Aufweitungsstrecken erhöhte sich leicht, was zur Stützung der erosionsgefährdeten Flussstrecken förderlich und gewünscht ist. Ober- und unterhalb der Aufweitungen gab es jedoch sowohl Flussstrecken mit Sohlenerhöhung als auch solche mit Erosionstendenz. Eine längerfristige Untersuchung der VAW ergab, dass durch den Bau von Aufweitungen allein eine übergeordnete Erosionstendenz in Flüssen nicht gestoppt werden kann.[4]

Teilweise kam es in den Aufweitungen zu ausgeprägten Änderungen der Sohlentopografie. Dieses dynamische Verhalten ist wichtig für die Qualität des Gewässers als Habitat für aquatische Lebewesen (Bild 8).

[Markus Promny, Dr. Ing., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich
Lukas Schmocker, dipl. Bauing. ETH, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich]

Anmerkungen:
[1] VAW 2008: Ereignisanalyse Hochwasser 2005. Bericht Nr. 4240, 4241, 4242. Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich, Zürich (unveröff entlicht)
[2] belop GmbH, Amt für Wald Raumentwicklung Obwalden, 2006: Ereignisdokumentation Unwetter 22./23. August 2005, Kanton Obwalden
[3] Lange D. und Bezzola G.R., 2006: Schwemmholz – Probleme und Lösungsansätze. VAW-Mitteilung 188, H.-E. Minor, ed., Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich, Zürich
[4] VAW 2007: Morphologische Entwicklungen von Flussaufweitungen. Bericht Nr. 4234. Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich, Zürich (unveröff entlicht)

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: